Er ist einer der ganz Gro?en in der deutschen Medizin. Fritz Kemper, langj?hriger Professor der Universit?t M?nster, gilt international als begnadeter Toxikologe, versierter Berater und renommierter Publizist.
Krebsforschungszentrum in Heidelberg: Nie mehr Geld von den Tabakkonzernen
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Krebsforschungszentrum in Heidelberg: Nie mehr Geld von den Tabakkonzernen
Seine wissenschaftlichen Leistungen und die Mitarbeit in h?chsten Medizinergremien belohnte die Bundes?rztekammer mit ihrer wertvollsten Auszeichnung, der Paracelsus-Medaille. Der Geehrte habe sich um das deutsche "Gesundheitswesen in hervorragender Weise verdient gemacht", lobten die Laudatoren. Bundespr?sident Johannes Rau verlieh Kemper 2002 das Gro?e Verdienstkreuz mit Stern.
Der emeritierte Professor, mit 78 Jahren immer noch Herausgeber und Pr?sident verschiedener Fachzeitschriften und Gesellschaften, h?tte hochdekoriert seinen Ruhestand genie?en k?nnen, wenn da nicht Thilo Gr?ning w?re. Der Berliner Forscher ist Hauptautor einer vergangene Woche im "American Journal of Public Health" erschienenen Studie ?ber den Einfluss der Tabakindustrie auf die deutsche Medizinerelite.
Und die Autoren lassen Professor Kemper nun in ganz anderem Licht erscheinen: Er sei ein wichtiger Verb?ndeter der Zigarettenmultis in der Wissenschaftsszene, hei?t es. Er habe Hand in Hand mit Firmenmanagern gearbeitet. In einem Jahr habe er laut interner Dokumente 20 000 Dollar vom Reynolds-Konzern kassiert, die er ?ber Aktivit?ten deutscher Wissenschaftler und Politiker informiert habe. Man mochte sich: Ein Reynolds-Gesandter habe sich laut der Studie nach einem Besuch beim "lieben Fritz" ganz "ungeheuer" f?r das Essen bedankt.
Kemper kann sich heute nur noch an eine "befristete Beratungsvereinbarung" mit R. J. Reynolds (Camel) erinnern, in der es "um toxikologische Fragestellungen" gegangen sei. Er habe nie ein "pers?nliches Verh?ltnis zu Firmen der Tabakindustrie" gehabt und unterst?tze zudem alle Bestrebungen, um die ?ffentlichkeit ?ber "Sch?den des Tabakrauchens" zu informieren.
Die Kooperation von Medizinern mit "Big Tobacco" war lange effektiv. Mit "ungeheurem Erfolg" habe es die Tabakindustrie ?ber Jahrzehnte geschafft, renommierte deutsche Wissenschaftler in gro?er Zahl zu finden, die in ihren Ver?ffentlichungen die Beweise f?r die t?dlichen Auswirkungen des Qualmens "manipulieren und verdrehen", lautet das Res?mee der Gr?ning-Studie.
Mindestens 80 zumeist hochrangige Klinikprofessoren h?tten sich "im W?rgegriff der Tabakindustrie" befunden, weil sie Forschungsgelder annahmen. Denn fast immer waren die Zusch?sse an Vorgaben gekn?pft, die die Auftraggeber bestimmten - ein Lehrst?ck f?r gekaufte Wissenschaft. Internisten, Toxikologen oder Pneumologen, die sich im Hauptberuf um die Heilung von Raucherkrankheiten bem?hten, wurden quasi im Nebenjob Teil der Gesch?ftsstrategie der Zigarettenkonzerne.
Deutschland war nach den USA die wichtigste Operationsbasis der Tabaklobby. Schon 1975 gr?ndete der Verband der Cigarettenindustrie (VDC) den "Forschungsrat Rauchen und Gesundheit". Als Vorsitzenden gewann der VDC ausgerechnet Dietrich Schm?hl, damals ein Direktoriumsmitglied des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg. Eine absurde Konstruktion: Der Professor stand der wichtigsten deutschen Institution gegen den Rauchertod vor - und war gleichzeitig Verteiler der Tabakgelder. Die Investition lohnte sich f?r die Lobbyisten: F?r den anfangs 14 Mann starken Forschungsrat rekrutierte Schm?hl das Who's who deutscher Klinikprofessoren.
Nach au?en h?ngte sich das Gremium stets den Mantel der wissenschaftlichen Unabh?ngigkeit um. In Wirklichkeit war der Forschungsrat, wie Gr?ning nachweist, eine Art Selbstbedienungsladen. In der ersten Schaffensperiode gingen 73 Prozent der 15 Millionen Mark an die eigenen Mitglieder oder an kooperierende Organisationen. Die Industrie hatte alles unter Kontrolle. Der Vorteil des Forschungsrats sei, sagte ein Firmenvertreter in einer vertraulichen Sitzung, dass die Industrie auf alle Forschungsvorhaben und deren Ver?ffentlichung "eine bedeutsame Einflussnahme aus?ben" k?nne.
Jene Wissenschaftler, die von der Politik geh?rt wurden, waren f?r die Industrie von besonderem Wert. Die Zuwendung zeigte Wirkung: In kaum einem anderen Land werden die Gefahren des Rauchens ?hnlich runtergeredet wie in Deutschland. Mit 32,5 Prozent Rauchern in der Gruppe der ?ber 15-J?hrigen ist Deutschland weit oben in der EU, bei den Raucherinnen liegt das Land auf einem Spitzenplatz. Die Verharmlosung des Rauchens, sagt Martina P?tschke-Langer, Leiterin des Zentrums f?r Tabakkontrolle der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Heidelberg, habe dazu beigetragen, dass Deutschlands Anti-Raucher-Strategien im internationalen Vergleich "weit hinterherhinken".
Die Lobby hat offenbar ganze Arbeit geleistet - das kann Thilo Gr?ning aufgrund seiner Quellen schl?ssig nachweisen. Als Gastforscher am Londoner Institut f?r Hygiene und Tropenmedizin untersuchte er systematisch firmeninterne Dokumente der Tabakindustrie. Ende der neunziger Jahre hatten sich Multis wie Reynolds verpflichtet, s?mtliche Firmenunterlagen zu ver?ffentlichen, weil sie die ?ffentlichkeit ?ber die wahren Risiken des Rauchens get?uscht hatten. ?ber 40 Millionen Seiten stellten die Unternehmen daraufhin ins Internet (http://legacy.library.ucsf.edu).
Eindrucksvoll ist daraus die Strategie der Konzerne zu erkennen. Weltweit agierten die Firmen nach einer Art vierstufigem Masterplan. Erstens: Sie wollten Wissenschaftler f?r sich gewinnen; zweitens: Sie wollten sich Gef?lligkeitsdienste sichern; drittens: Sie wollten andersdenkende Wissenschaftler in die Isolation dr?ngen; viertens: Sie wollten m?glichst viele Arbeiten ver?ffentlichen, um tabakfeindlichen Studien etwas entgegensetzen zu k?nnen.
Daf?r machten sie sich die hohe "Glaubw?rdigkeit" der Medizinprofessoren zunutze. Neben der zentralen Vergabe von Forschungsgeldern durch den VDC kooperierten einzelne Tabakfirmen noch separat mit Wissenschaftlern. Nach Firmendokumenten erhielt etwa Hans Marquardt, der damalige Leiter des Instituts f?r Toxikologie am Universit?tskrankenhaus Hamburg-Eppendorf, im Jahr 2001 eine ?berweisung von 13 816 Dollar von Philip Morris (Marlboro). Wof?r Marquardt das Geld bekam, bleibt offen, er war f?r eine Stellungnahme nicht erreichbar. Klar ist, dass der Wissenschaftler ?hnlich wie Kemper als Mitglied eines Wissenschaftskomitees der EU sehr einflussreich war.
Der Tabakkonzern Reynolds wiederum kontaktierte 1975 Helmut Schievelbein, den damaligen Vorstand des Instituts f?r Klinische Chemie am Deutschen Herzzentrum M?nchen, da dieser h?ufig vom "deutschen Parlament, anderen Wissenschaftlern und Journalisten" befragt w?rde.
Die Anbahnungen verliefen nach festem Muster. Anfangs verlangte "Big Tobacco" Untersuchungen, um die angebliche "Diskriminierung" des Rauchers in der Gesellschaft bek?mpfen zu k?nnen. Dann wollte man Ergebnisse, um leichtere Zigaretten besser vermarkten zu k?nnen. Schlie?lich dr?ngelte man die Forscher, die Gefahren des Passivrauchens abzustreiten.
So begab sich auch Helgo Magnussen, ?rztlicher Direktor des Krankenhauses Gro?hansdorf bei Hamburg und eine Koryph?e der Lungenheilkunde, in die F?nge der Zigarettenindustrie. Zwischen 1989 und 1993 erstellte der ehemalige Pr?sident der Deutschen Gesellschaft f?r Pneumologie mehrere Studien und stellte daf?r, so errechnete Gr?ning, ?ber 420.000 Mark in Rechnung. Sein Ergebnis, dass zumindest kurzzeitiges Passivrauchen bei Kindern mit Asthma keinerlei gesundheitliche Auswirkung zeige, nutzte die Zigarettenindustrie, um die Gefahr des Mitrauchens zu verharmlosen. Magnussen sagt heute, die Ergebnisse habe er in "hochrangigen Wissenschaftsjournalen publiziert. Dennoch muss mit Fehldeutungen gerechnet werden, sofern eine Forschungsf?rderung durch die Tabakindustrie erfolgt".
Wenn Untersuchungen nicht nach Gutd?nken interpretiert werden konnten, versuchte die Tabaklobby, sie schlicht verschwinden zu lassen. So fand Gr?ning in den Unterlagen folgenden Vorgang: Franz Adlkofer, der Organisator der deutschen Tabakforschung, habe seinen Kollegen in den USA versichert, dass eine Studie ?ber Nikotin als Krebsverursacher "verheimlicht", eine andere Studie "garantiert nicht ver?ffentlicht" w?rde. Im Vorfeld eines Anti-Raucher-Tags der WHO schw?chten die Vertreter der Industrie auch schon mal die Rede eines Wissenschaftlers ab. Der Professor, ehemaliger Ordinarius an der Universit?t Heidelberg, hatte seinen Vortrag zuvor der Tabaklobby zum Korrekturlesen gegeben.
Die Rolle f?hrender deutscher Kliniker sei "schockierend", sagt die WHO-Vertreterin P?tschke-Langer, "vermutlich w?rden heute viel weniger Menschen am Tabak sterben, wenn Mediziner die Erkenntnisse ?ber die Folgen des Rauchens ernst genommen h?tten". Doch die Medizinerschaft beginnt erst langsam umzudenken. Erstmals hat Anfang November mit dem Krebsforschungszentrum in Heidelberg eine deutsche Forschungsst?tte einen ethischen Code verabschiedet, nach dem es kein Geld mehr von der Tabakindustrie annehmen darf.
Herbert Remmer, ehemaliger Leiter des Instituts f?r Toxikologie an der Universit?t T?bingen, war einer der wenigen, die fr?hzeitig auf die fatale Wirkung des Industriegeldes hingewiesen hatte. Im R?ckblick sei er "dankbar", dass er niemals Zusch?sse von der Zigarettenindustrie bekommen habe, schrieb der Professor an den Forschungsrat, dadurch habe er sein "Gewissen nicht mit Forschungsgeldern belastet, deren Annahme ich heute bereuen w?rde".
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Drohendes Tabakwerbeverbot erregt die Gem?ter
Der Generalanwalt am Europ?ischen Gerichtshof empfiehlt, die Klage Deutschlands gegen das Tabakwerbeverbot der EU abzuweisen. Als Folge drohen den Werbemedien Verluste in Millionenh?he.
Nach einer EU-Richtlinie soll Werbung f?r Tabakerzeugnisse weitgehend verboten werden. Dagegen hatte die alte Bundesregierung geklagt. Der Generalanwalt am Europ?ischen Gerichtshof (EuGH), Philippe L?ger, hat sich nun f?r die Rechtsm??igkeit der EU-Richtlinie eines Tabakwerbeverbots ausgesprochen, was wiederum zu heftigen Reaktionen beim Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) sowie den Verlegerverb?nden BDZV und VDZ gef?hrt hat. ?Sollten sich die EuGH- Richter in ihrer f?r Oktober erwarteten Gerichtsentscheidung dem Votum L?gers anschlie?en, w?rde dies nicht nur eine neue dirigistische Grundlage f?r Werbeverbote auch in anderen Branchen schaffen, sondern gleichfalls einen gro?en Schritt weiterer Machtkonzentrationen der EU zu Lasten der 25 Mitgliedsstaaten ausl?sen?, so Georg Wronka, Hauptgesch?ftsf?hrer des ZAW. Br?ssel k?nne dann, angeh?ngt an die EU-Kompetenz f?r den Binnenmarkt, die bisher in den H?nden der Mitgliedsstaaten verantwortete Gesundheitspolitik an sich ziehen.
Das Tabakwerbeverbot kostet nach ZAW-Angaben allein Zeitungen und Zeitschriften, Sponsorempf?ngern und Online-Diensten 118 Millionen Euro im deutschen Werbegesch?ft. ?Rechnet man die Folgen der nun bef?rchteten und teilweise vorbereiteten Zensur-?bergriffe der EU bei weiteren Branchen wie alkoholische Getr?nke, Lebensmittel und Pkw hinzu, m?ssten die Medien von einem bedrohten Werbevolumen von insgesamt 2,7 Milliarden Euro ausgehen, was zur Zeit 14 Prozent der Netto-Werbeeinnahmen der Medien entspricht?, warnt Wronka.(kaz)
Quelle: http://www.acquisa.de/newsDetails?newsID=1...8&d_start:int=1