Straffrei kiffen
Senatsbeschluss: Bis zu zehn Gramm Haschisch oder Marihuana darf man k?nftig dabei haben
Eva Doroth?e Schmid
Vor knapp einem Jahr sah es noch so aus, als ob Berlin zum Mekka f?r Joint-Raucher werden k?nnte. Denn das Abgeordnetenhaus pl?dierte mit ?berw?ltigender Mehrheit von SPD, PDS, FDP und Gr?nen f?r die - nach Schleswig-Holstein - freiz?gigste deutsche Regelung, was den straffreien Besitz der Cannabisprodukte Haschisch und Marihuana angeht. Das Parlament forderte den Senat auf, dass jemand, der bis zu 15 Gramm der Droge hat, nicht strafrechtlich verfolgt wird. Bei einem Besitz von bis zu 30 Gramm sollte von der Verfolgung noch abgesehen werden k?nnen. Doch daraus ist nichts geworden. Der Senat verabschiedete gestern eine neue Cannabis-Richtlinie - mit deutlich geringeren Grenzwerten.
Eine Menge von zehn Gramm f?r den Eigenverbrauch soll demnach grunds?tzlich straffrei bleiben. Bisher waren es sechs Gramm. Dar?ber hinaus kann die Staatsanwaltschaft k?nftig von einer Strafverfolgung absehen, wenn der Konsument nicht mehr als 15 Gramm Haschisch (das gepresste Harz der Cannabispflanze) oder Marihuana (getrocknete Cannabisbl?ten) bei sich hatte. Ausgenommen von diesen Regelungen sind F?lle, in denen das ?ffentliche Interesse die Strafverfolgung gebietet. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn durch den Konsum des Rauschgifts Jugendliche verf?hrt wurden oder wenn jemand seinen Joint auf Spielpl?tzen oder Schulh?fen raucht.
Die neue Cannabis-Richtlinie sieht au?erdem vor, dass Polizisten und Staatsanw?lte den ertappten Konsumenten die Angebote der Drogenhilfe nahe bringen sollen - und wenn gew?nscht, sollen sie den Kiffern gleich den Kontakt zum Drogenberater vermitteln.
Die zun?chst vom Parlament geforderten Grenzwerte wurden reduziert, weil die Staatsanwaltschaft Bedenken angemeldet hatte. Sie argumentierte, dass in Berlin zunehmend Cannabisprodukte mit hohem Wirkstoffgehalt sichergestellt worden sind. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs muss der Besitz von Cannabis mit mehr als 7,5 Gramm des Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) als Straftat behandelt werden. "Teilweise soll es in Berlin wohl Funde mit 50-prozentigem THC-Gehalt gegeben haben", sagt Thomas Kleineidam, drogenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Mit dem Grenzwert von 15 Gramm halte man sich an die Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof, sagte Andrea Boehnke, Sprecherin der Senatsjustizverwaltung.
Die Landesdrogenbeauftragte Elfriede Koller meinte, eigentlich st?nde die neue liberale Richtlinie gegen den Trend - "denn seit zwei Jahren sieht man Cannabis auf Grund von Studien, die einen Zusammenhang zwischen Schizophrenie und Kiffen belegen, wieder kritischer". Koller glaubt, dass von der ?nderung vor allem an Jugendliche das falsche Signal ausgehen k?nnte. "Wir sagen denen, das ist verboten, aber wenn ihr es trotzdem macht, dann passiert nichts", so Koller.
An Urteil von 1994 gebunden
Allerdings sei man an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1994 gebunden, das festlegt, dass zwar der Handel verboten bleibt, dass aber geringe Mengen zum Eigenkonsum straffrei bleiben sollten. Nach Kollers Angaben haben 37 Prozent aller Berliner 15- und 16-J?hrigen schon einmal Cannabis probiert. Koller sch?tzt die Zahl aller Berliner Kiffer auf rund 200 000.
Senatssprecher Michael Donnermeyer sagte, der Senat wolle Cannabis nicht bagatellisieren, es gehe bei der neuen Richtlinie vor allem um eine Entlastung der Justiz. Die Polizei wird durch die neue Richtlinie allerdings nicht entlastet. "Es wird in jedem Fall ermittelt, beschlagnahmt und vernichtet", erkl?rte Justizsprecherin Andrea Boehnke.
Bei Rauschgiftermittlungen war die Polizei in den vergangenen zwei Tagen recht erfolgreich: Sie entdeckte und beschlagnahmte zwei Plantagen mit Hanfpflanzen. Die Beamten hatten das Cannabis auf den Hausfluren gerochen und gingen ihrer Nase nach, teilte die Polizei mit. Dabei fanden sie in der Wohnung eines 34-J?hrigen aus Reinickendorf am Dienstag eine Aufzuchtanlage f?r rund 100 Pflanzen. Bereits am Montag hatte die Polizei bei einem 46-J?hrigen in Tempelhof insgesamt 4,7 Kilogramm Marihuana entdeckt. Er hatte eine Plantage mit professioneller L?ftungs- und Bew?sserungstechnik in einem abgetrennten Teil eines Zimmers aufgebaut. Dort fand die Polizei 180 abgeerntete Blument?pfe. Beide M?nner werden trotz der neuen Richtlinie wohl nicht mit einer Einstellung ihres Verfahrens rechnen k?nnen.
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/berlin/436790.html