Deutsche Welle: »Niemand wagt es, laut zu protestieren«

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    • Deutsche Welle: »Niemand wagt es, laut zu protestieren«

      Immer
      konform mit dem Kanzleramt: Bei der Deutschen Welle dürfen nur
      »geeignete« Journalisten Kommentare schreiben. Gespräch mit Jonas Jones,
      das Pseudonym eines ­anonym bleiben wollenden Redakteurs des deutschen
      Auslandssenders Deutsche Welle (DW)


      [i]Sie
      sind Redakteur bei der Deutschen Welle (DW), die in etwa 30 Sprachen
      per Hörfunk, TV und Internet die Weltöffentlichkeit über die deutsche
      Sicht der Dinge informiert. Diese Rundfunkanstalt ist zwar
      öffentlich-rechtlich, gleichwohl aber staatlich dominiert – gibt es in
      aktuellen Krisen Vorgaben für die Berichterstattung?
      [/i]

      Aktuell ist z.B. die Vorgabe, den Begriff »Referendum« – gemeint ist
      die Abstimmung in der Ost­ukraine – immer in Anführungszeichen zu
      schreiben oder mit dem Zusatz »illegal« oder »sogenannt«. Dieser
      unsinnige Eingriff in unser journalistisches Vokabular ist ein Beispiel
      für direkte Zensur. Im Duden wird das Wort »Referendum« als
      Volksentscheid über eine bestimmte Frage definiert – dieser Terminus
      ist also weder positiv noch negativ besetzt.



      Jetzt sind aber alle Journalisten der DW gezwungen, dieses Referendum
      schon per Wortwahl zu desavouieren. Das schlägt sich nicht nur in den
      Kommentaren nieder, sondern auch in normalen Berichten, die eigentlich
      neutral und ohne jede Meinungsäußerung sein sollten. Sogar in Interviews
      wird es als selbstverständlich unterstellt, daß die Abstimmung illegal
      war. Das ist Vorgabenjournalismus, der niemandem weiterhilft.

      [i]Wird die verfassungswidrig zustande gekommene Kiewer Regierung auch als »sogenannt«, »selbsternannt« oder »illegal« bezeichnet?[/i]
      Nein, in diesem wie in anderen Fällen wird das offizielle Vokabular
      des Kanzleramts übernommen. Erst wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel
      (CDU) den Begriff »sogenannte Kiewer Regierung« verwendet, werden Sie
      ihn auch im DW-Programm finden. Momentan wird höchstens erwähnt, daß es
      sich um eine »Übergangsregierung« handelt.


      [i]Wie kommen solche Vorgaben zustande, wer legt sie fest? Und wie werden sie durchgesetzt?[/i]
      Die DW ist sehr hierarchisch strukturiert. Der Chefredakteur
      konferiert täglich mit den Hauptabteilungsleitern, die geben die
      Vorgaben an die Abteilungsleiter weiter, die sie wiederum an die
      einzelnen Redakteure durchreichen. Die Sprachregelung zum
      ostukrainischen Referendum kam von Chefredakteur Alexander Kudascheff.
      Ich kann mir kaum vorstellen, daß er das nicht mit dem neuen
      Intendanten Peter Limbourg abgesprochen hat.

      [i]In
      den meisten deutschen Medien wird Rußlands Staatspräsident Wladimir
      Putin dämonisiert. Ihm werden ausschließlich hinterhältige Absichten
      unterstellt – daß aber Hunderte US-Söldner in der Ukraine auf seiten
      der Regierung im Einsatz sind, wird meist nicht erwähnt. Wie berichtet
      die DW über Putin?
      [/i]

      Ähnlich wie die meisten Medien in Deutschland; die Kommentare dürfen
      nur Redakteure schreiben, die als dafür »geeignet« gelten. Dann hört
      man natürlich ständig Phrasen wie »Autokrat«, »Machtpolitik«, oder
      »Träume von der alten Sowjetherrlichkeit«.



      Es ist absurd, daß von den über tausend Journalistinnen und Journalisten
      bei der DW kein einziger diese Krise anders kommentieren könnte. In
      der Berichterstattung kommt es allerdings hin und wieder vor, daß
      manche Gesichtspunkte abweichend von den offiziellen Vorgaben
      dargestellt werden. Ich erinnere mich an eine meiner Meinung nach schon
      fast geniale Reportage vom Maidan-Platz in Kiew, als dort überall
      Aufkleber mit dem Text »Nazi only« zu finden waren. Derartige Berichte
      sind leider seltene Ausnahmen.

      [i]Werden Sprachregelungen, wie Sie sie schildern, von den einzelnen Ressorts oder den Redakteuren widerspruchslos hingenommen?[/i]
      Nein, die Kollegen debattieren heftig darüber, viele Ressort- und
      Redaktionsleiter sind auch dagegen. Am Ende wird es aber so gemacht, wie
      es der »Big Boss« verfügt hat. Niemand wagt es aber, laut zu
      protestieren – zur Zeit wird die DW nämlich umstrukturiert, hier rollen
      ohnehin schon Köpfe. Viele Kolleginnen und Kollegen fragen sich, ob sie
      im kommenden Jahr noch bei der DW sind und wenn ja, was ihre Aufgabe
      sein wird.



      Zur Strukturreform gehört die Einführung eines Nachrichtenkanals in
      englischer Sprache, der rund um die Uhr ausgestrahlt wird. Der Intendant
      preist diesen Kanal gerne als »Flaggschiff« der DW an. Für uns
      Mitarbeiter klingt das eher zynisch, wir fragen uns, ob die DW jetzt den
      tendenziösen Stil englischsprachiger Sender wie CNN oder BBC
      übernimmt.

      [i]Und wenn Sie sich als Redakteur nicht an die Sprachregelungen halten?[/i]
      Ich hoffe, daß ich nie erfahren werde, was in einem solchen Fall
      passiert. Viele versuchen die Vorgaben zu umgehen, indem sie z.B.
      weniger problematische Synonyme benutzen. Es ist halt ein fruchtbarer
      Boden für die Zensur, wenn man als Journalist eine Familie mit zwei
      Kindern ernähren muß und auf Basis von Zeitverträgen arbeitet.
      Irgendwann ertappt man sich bei der Selbstzensur – weil man seinen Job
      behalten will, schreibt man so, daß es keinen Anstoß erregt. Gute
      Journalisten gibt es bei der DW massenweise – große Rebellen sind mir
      bisher aber nicht aufgefallen.
      Quelle :tlaxcala-int.org/article.asp?reference=12261
      Deutscher mit fehlendem Migrationshintergrund .