Wenn bei uns jemand stirbt, dann gibt es in der Nacht vor dem
Begräbnis das „Nachtwachen“. Hierzu treffen sich die Verwandten und
Bekannten des verstorbenen Menschen in der Kirche und beten den
Rosenkranz um die Person „hinüber zu begleiten“…Früher war die
Sitzordnung in der Kirche so, dass die Männer rechts und die Frauen
links vom Gang saßen.
Es gibt einen „Vorbeter“ der die Einleitung spricht- meist in einer
immer gleichbleibenden Tonlage und etwas schleppend, wodurch eine leicht
tranceartige Stimmung erzeugt wird.
Er beginnt mit dem Beten und die anderen Männer auf seiner Seite
fallen dann in die Gebete mit ein. Etwa ab der Hälfte eines Gebetes
übernehmen die Frauen auf der anderen Seite und beten weiter,
es entsteht durch das hin-und-her- wandern dieses „Singsangs“ so
etwas wie eine „energetische ACHT“ im Raum. Die Acht steht für die
Unendlichkeit, die endlose Schleife, die sich immer wiederholt,
genährt von den tiefen Stimmen der Männer und den höheren Stimmen
der Frauen, verstärkt durch das ständige wiederholen der immer selben
Worte.
Ich durfte heute während der Nachtwache für eine liebe Verstorbene
zum ersten Mal fühlen und „sehen“ was während des Nachtwachens passiert.
Ich ließ mich in den Sog der Gebete fallen und reiste auf
schamanische Weise zu der Verstorbenen um zu sehen, was es bei ihr
bewirkt.
Als die Menschen in der Kirche zu beten begannen und diese
Endlos-Schleife entstand, die immer hin und her wanderte zwischen den
betenden Menschen, da wurde die Verstorbene aufmerksam auf uns,
sie drehte sich zu uns um und verabschiedete sich von einzelnen
Personen, von ihren Angehörigen, von Freunden und Bekannten.
In den Momenten, wo beide Gruppen (Männer und Frauen) gleichzeitig
beteten, entwickelte sich aus der energetischen ACHT ein KREIS und aus
dem Kreis entstand eine Spirale, die die Verstorbene weg
zog, Richtung Totenreich.
Da diese Sequenzen aber nur kurz waren, kam sie immer wieder zurück und war den betenden Menschen sehr nahe.
Ich bat die Verstorbene zu mir, reichte ihr die Hände, und fragte
sie, ob sie mir noch etwas zu sagen hätte, bevor sie geht. Sie erzählte
mir von einem Geschenk, das sie mir zu Lebzeiten einmal
gemacht hatte und erklärte mir, was ich damit machen müsse, damit es
mir im Leben weiterhilft. Ich bedankte mich und wünschte ihr alles Gute
für ihren Weg, wir weinten ein bisschen und ich fiel
wieder in die Gebete mit ein.
Ich hörte gleichzeitig, wie die Menschen beteten: „Das ewige Licht
leuchte ihr“ und sah, dass sie eine Laterne trug. Je öfter der Satz in
der Kirche wiederholt wurde, desto kräftiger leuchtete
das Licht in der Laterne.
Nachdem der Rosenkranz fast zu Ende gebetet war, rief der Vorbeter
alle Heiligen auf und besiegelte mit einem immer wiederkehrenden „BITT
FÜR SIE“ damit den Kreis, der sich zu einer Spirale
formte und die Verstorbene wieder weg zog von uns. Ich sah sie in
Richtung einer Brücke gehen, die über einen Fluss führte und kurz war
ich in Versuchung geraten, mit ihr zu gehen, da holte mich
mein Krafttier zurück indem es meine Kleidung mit den Zähnen packte
und mich zurück holte. Ich fiel wieder in die Gebete mit ein und trennte
mich von der Vorstellung, mit zu gehen.
Gegen Ende der Nachtwache beteten wieder beide Gruppen gleichzeitig
und ich sah, wie die Verstorbene ihren schon vor Jahren gestorbenen Mann
antraf, den sie innig umarmte und küsste und mit dem
sie Hand in Hand immer weiter in die Ferne rückte, die leuchtende
Laterne in der Hand.
„Das ewige Licht leuchte ihnen“…
Die Menschen verließen die Kirche und gingen nach Hause.
Am nächsten Tag konnte das Begräbnis stattfinden.
Sonja Raab