Leonberg - Am Sonntag, dem 13. Februar 2011, entscheiden die Berliner Bürger über die Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge der Berliner Wasserbetriebe. Diese Verträge entpuppten sich als Raubzüge gegen Kommunen und Bürger. SPD-Mitglied und Aktivistin des Berliner Wassertisches, Gerlinde Schermer, erläutert die finanziellen Gefahren für Bürger und Kommunen und ruft zum Widerstand gegen Public Private Partnership (PPP) auf.
Von: Paul Hüber, 09.02.11
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FA: Frau Schermer, was können wir unter PPP verstehen?
Public Private Partnership (PPP) oder auf Deutsch Öffentlich-Private Partnerschaft ist eine Privatisierungsmaßnahme öffentlicher Betriebe, wie die Berliner Wasserwerke an RWE und Vivendi. Somit werden elementare Bestandteile unserer Daseinsvorsorge zu einem Finanzprodukt. Aufgrund der Gewinnmaximierung muss der Bürger mit Preissteigerungen und fehlende Investitionen in der Infrastruktur rechnen. 3,3 Millionen Berliner sind an das Monopol der Berliner Wasserbetrieb gebunden. Bis heute stiegen die Gebühren für Wasser um 35 Prozent. Der Endverbraucher ist einem nicht abwählbaren Unternehmen ausgeliefert.
Hinzu kommt noch, dass der private Investor eine garantierte Rendite über die gesamte Vertragslaufzeit zugesichert bekommt. Diese Verträge sind dazu noch geheim und daher schwer anzufechten. Kennzeichnen von PPP-Verträgen sind also: lange Laufzeiten, garantierte Renditen für die privaten Investoren und Geheimverträge.
Hinter Public Private Partnership (PPP) steht die Ideologie, dass Privatunternehmen alles besser können als der Staat. Dieser muss nichts mehr besitzen und muss nur noch Dienstleistungen bestellen. Private Investoren steigen meist mit dem Versprechen zu sanieren in öffentliche Betriebe ein und zum richtigen Zeitpunkt wieder aus. Die Idee zu PPP kommt übrigens aus England.
FA: Und wie steht England nun da?
Speziell bei der Privatisierung von Wasserbetrieben ist es so gewesen, dass Investoren eingestiegen sind, aber nicht in die Infrastruktur wie das Wasserleitungssystem investierten. Die vertraglich festgeschriebene Rendite musste aber dennoch gezahlt werden. Schlussendlich haben sich die Investoren aus dem Geschäft zurückgezogen und die Londoner haben immer noch ihr altes viktorianisches Rohrleitungsnetz. Ich sage immer: Der Gott der Wasserindustrie ist die Rendite.
FA: Wird dieses Problem nicht von der deutschen Politik erkannt?
Die Kommunalpolitiker denken nicht über ihre Legislaturperioden hinaus. Die Volksvertreter stehen vor dem Problem, ihre Haushaltslöcher stopfen zu müssen. Alles was über ihre Legislaturperiode hinaus kommt, scheint egal zu sein. Aber gerade in der Daseinsversorge, wie die Wasserversorgung, muss langfristig geplant werden. Wir sind auf Wasser, Wohnen, Bildung, Energie und Gas angewiesen.
FA: Vor welchen Problemen stehen die Kommunen?
Die Kommunen wurden durch massive Steuerrechtsabänderungen vor erheblichen finanziellen Problemen gestellt. Viele große Betriebe müssen weniger Unternehmenssteuern zahlen, das führt zu sinkenden Steuereinnahmen. Die Kommunen müssen aber ihre Leistungen gegenüber der Bevölkerung trotzdem erbringen. Aufgrund dieser misslichen Lage kamen die Kommunen auf eine Idee - sie veräußerten verschiedenste Vermögenswerte. Heute liegt Public Private Partnership im Trend. Angeblich werden private Unternehmer und Kommunen gleichberechtigte Partner. Aber zwischen Politik und Wirtschaft entsteht ein Zielkonflikt. Die Wirtschaft hat nur Gewinne im Auge und die Kommune hat die Verpflichtung für die Bevölkerung zu sorgen. Und das kann nicht funktionieren, davor warne ich.
FA: Haben die Kommunen keine Finanzstrategen, die dieses schlechte Geschäft für Bürger und Kommunen erkennen?
Welche Strategen? Im öffentlichen Dienst wurden massiv Stellen abgebaut. Außerdem fehlt es wohl an Weitsichtigkeit, die Politiker denken wohl nicht über die vier Jahr ihrer Legislaturperiode hinaus. Wichtig sind momentane Einnahmen, die investiert werden können.
FA: Also schauen die Finanzstrategen nicht über die Jahresschlussbilanz raus?
Es gibt diese Finanzstrategen in der öffentlichen Verwaltung nicht. Es gibt nur Politiker, die vor der Situation stehen, wie sie ihren Haushalt aufstellen und die Dienstleistungen gegenüber den Bürger weiterhin erfüllen können. In dieser Notsituation bieten sich Berater von der Kapitalseite an und empfehlen PPP. Aber das kann keine Lösung sein. PPP-Verträge gehen über 30 Jahre, in den geheimen Verträgen sind Renditen fest garantiert, die aus dem Haushalt der Kommunen bezahlt werden müssen. Kommunen stellen diese Renditen, also ihre Verbindlichkeiten, nicht in ihrer Bilanz dar. Man sieht also diese Schulden im Haushalt nicht. Besser wäre es, wenn Kredite aufgenommen würden. Außerdem besteht zwischen Unternehmen aus der freien Wirtschaft das Problem der gezielten Preisabsprache.
FA: Preisabsprachen? Greift da das Kartellamit nicht wenn Preisabsprachen stattfinden?
Ja, aber nicht effektiv genug. Es wäre für den Bürger besser, wenn der Staat weiterhin die natürlichen Monopole besitzt, denn eine Regierung kann abgewählt werden, ein privates Unternehmen nicht. Die wesentliche Verantwortung und Geschäftsführung wird in private Hand gegeben. Der Bürger hat keine Einflussnahme mehr. Daher sollten wir eben Betriebe, die die existenzielle Grundversorgung gewährleisten, rekommunalisieren.
FA: Was kann der Bürger dagegen tun?
Es gab verschiedene Bürgerinitiativen gegen Public Private Partnership, die auch erfolgreich PPP verhindern konnten. Aber in der Regel wird die Problematik nicht erkannt. Die Kommunalpolitiker stimmen für PPP, obwohl sie den gesamten Sachverhalt nicht überschauen. Dazu kommt natürlich noch die Beeinflussung durch Beratungsfirmen. In der Kommunalpolitik wird oftmals nur Ja gesagt, da Englische Begriffe nicht verstanden werden. Die Politiker stehen eben vor der Frage, wie sie ihren Haushalt aufstellen. Außerdem kommt nun erschwerend hinzu, dass die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert wurde.
FA: Gibt es alternativen wie Kommunen wieder zu Geld kommen können?
Die Kommunen sind verarmt, weil die Politik der Bundesregierung es zugelassen hat, dass die Steuereinnahmen der Kommunen sinken. Auch die Spreizung zwischen Reich und Arm ist zu groß. So viele Menschen müssen von 400 Euro leben und da kommt keine Lohnsteuer rein. Es fehlt einfach an Steuereinnahmen. Wir brauchen einen Schutzschirm für die Kommunen. Wir brauchen günstige Kredite für die Kommunen, um privatisiertes Eigentum zurückzuerwerben.
Sie fragten was der Bürger dagegen tun kann? Am 13. Februar ist ein Volksentscheid über die rückwirkende Offenlegung aller Geheimverträge. Über das von uns errungen Informationsfreiheitsgesetzt sind bereits alle Inhalte zukünftiger PPP Verträge offenzulegen. Nun wollen wir auch rückwirkende alle PPP-Geheimverträge offenlegen, um die völlig überhöhten Renditen anzufechten.
Hinweis: Ein weiteres Interview zum Thema auf Nexworld.TV
[IMG:http://yooco.de/templates/core/images/smilies/arrow.gif] AZW-Kalendereintrag zum Volksentscheid:
Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge bei den Berliner Wasserbetrieben
Alles Wissen ist vergeblich ohne die Arbeit, und alle Arbeit ist sinnlos ohne die Liebe. ♥ [Khalil Gibran]