Was war.
*** "Information wants to be free and Code wants to be wrong." Das ist kein Witz, sondern die Passphrase zum Verständnis unseres Alltags. Inmitten von schrottreif designter Elektronik und miserabel programmierter Software lebt es sich blendend, weil es immer etwas zu berichten gibt. Meistens bleibt es ja bei einem harmlosen "Information wants to be free", obwohl Stewart Brand den Satz auf einer der ersten Hackerkonferenzen in einen wichtigen Kontext stellte:
"On the one hand information wants to be expensive, because it's so valuable. The right information in the right place just changes your life. On the other hand, information wants to be free, because the cost of getting it out is getting lower and lower all the time. So you have these two fighting against each other."
Ohne teure, abgeschottete Information kann es keine freie Information geben, ohne Computer für alle auch nicht. In den USA eröffnet das Computer History Museum bald seine Ausstellung unter dem nachdenklich stimmenden Slogan "Revolution: The First 2000 Years of Computing": Nochmal 2000 Jahre werden wir nicht haben, den Murks zu korrigieren. Denn die Entwicklung hat nicht mit IBM begonnen und endete nicht mit der M9, die in dieser Woche gefeiert wurden. Wer, wenn nicht Steve Wozniak mit seinem großen Ego, kann die Fehlentwicklung auf den Punkt bringen:
"I didn't design this computer to make a lot of money and start a company. I wanted to accelerate the world advancement in the social revolution."
*** Nun hat der Stresstest in der schönen heilen Welt der Wissensarbeiter begonnen. Wikileaks hat nach Kriegsvideos und Kriegsberichten damit begonnen, Informationen zu veröffentlichen, die niemals frei sein wollten. Informationen, die bestätigen, was wir aus ungezählten Romanen gelernt haben: dass Politiker lügen, dass stolze Bayern unberechenbare Querköpfe sind und dass Militär und Diplomatenkorps Teil ein und derselben Kriegsmaschinerie sind.
*** Sofort wurde die Maschinerie aktiv, wurde in den USA das Verbot für Regierungsangestellte und Vertragsnehmer erlassen, Wikileaks aufzusuchen. Denn in der Logik der Macht sind diese Informationen nach wie vor als geheim klassifiziert. Nur die entsprechend geprüften Geheimnisträger können sich frei im Internet bewegen. Auf Wikileaks hat Amazon reagiert und kurzerhand alles Gerede von den Segnungen des Cloud Computing als Unfug enttarnt. Wer jetzt nicht Zweifel an der Cloud hat, hat keinen Verstand mehr, dessen er sich bedienen kann, um die Marktinteressen der Cloudanbieter zu analysieren. Nach Amazon zog EveryDNS den Stöpsel, danach PayPal. Alle drei fanden flugs passende Passagen in ihren Geschäftsbedingungen, damit der Infrastruktur-Krieg mit einem legalen Mäntelchen drapiert werden konnte. So enthüllt der Stresstest, dass "Terms of Service" im Informationskrieg immer auch "Terms of War" sind.
*** Informationen wollen frei sein und frei gesetzte Informationen lassen sich nicht wieder einfangen. Ebenso verdächtig wie die unsäglichen amerikanischen Appelle, Wikileaks plattzumachen, ist das Gejammer der Wikileaks-Aktivisten über ihre hier und da abgedrehte Web-Präsenz. Als ob es keine Angebote wie Cablesearch oder Statelogs geben würde, die bestens die Korruption in Afghanistan und andere Dinge dokumentieren. Sie erfüllen bestens die wahnwitzigen Vorstellungen einer Hacker-Ethik, der Datenfreiheit über alles geht. Gäbe es wirklich diese Hacker-Ethik, dann müssten die US-Depeschen unredigiert im Netz zu finden sein, dann wären die Wikileaks-Aktivisten Feiglinge und all jene, die den "Gegenverschwörer" Assange unterstützten, mindestens Idioten, die nicht merken, dass die von Wikileaks "geschwärzten" Namen für eine kleine Erpressung gut sind. Abseits der gedankenlos beschworenen Hacker-Ethik sollte man sich einmal Gedanken darüber machen, ob es teils verschlüsselte Dokumente geben kann. Vielleicht hört dann auch der Unsinn auf, Wikileaks als die gefährlichste Website der Welt zu bezeichnen und Hacker als kleine Götter mit einem sozialen Hau zu porträtieren.
*** Im Informationskrieg ist nicht so sehr die Rolle der amerikanischen Außenministerin erstaunlich, sondern die lahme Reaktion von Präsident Obama. Der, in seinem Wahlkampf mit Abstand der weltbeste Blackberry-Benutzer, hat gegenüber seinen eigenen Informationsbeschaffern den Krieg verloren, als er seinen Blackberry unter die Aufsicht von Spion&Spion stellte. Im Sinne der Leakonomy und dem Gedröhn ist Obama eine lahme Ente, die 90 Milliarden Dollar für einen Geheimdienst ausgibt, der sich im Falle der chinesischen Kampfjets genauso schwer geirrt hat wie offenbar bei den Urananreicherungsanlagen von Nordkorea, was die US-Depeschen belegen sollen. So kommt zu den üblichen Verdächtigen, zu Israel und den USA nun ausgerechnet China auf die Liste möglicher Stuxnet-Produzenten. Sehen wir die Morgenröte eines neuen Krieges, der nicht gerechtfertigt zu werden braucht? Das Aurora-Experiment lässt grüßen.
Was wird.
Zarte Morgenröte über Dresden, wo dieser Tage ein Teil der deutschen Regierung die IT-Industrie umgarnt und umgekehrt. Der 5. nationale IT-Gipfel tagt und diskutiert hübsche Sachen wie "Cool Silicon" und Vertrauen im Internet. Man guckt vom Bitkom prämierte Filme zur digitalen Identität 2020, wenn Schule einfach nur geil ist und man verabschiedet ein neues Strategiepapier Deutschland Digital 2015. Während an der Elbe noch aufgebaut wird, spülen sie schon im IT-Gipfelblog die Reste-Interviews hinunter. Am Dienstag sollen dort die 20 besten Blogger Deutschlands gleichzeitig vom Gipfel berichten. Gleich nach dem Abstieg aus diesen schwindelnden Höhen, beginnt das besinnungslose Weihnachten: Jeder siebte Deutsche will für das Fest Spiele-Software kaufen. Vorbei die Zeiten, in denen liebevoll mit Lego seziert wurde oder die Eisenbahn durchs Wohnzimmer fuhr. Nun muss Junior Trainz ran und World Of Warcraft.
Große Aufregung in der Blogosphäre über den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag für 2011, nach dem Web-Angebote mit einer vermeintlich freiwilligen Alterskennzeichnung versehen werden sollen. Kinder von 6 bis 80 Jahren kann man auch mit einem ordentlichen deutschen Schachtelsatz vom WWWW abhalten. Gott ist tot, schrieb Kant aus Kinderschutzgründen und um seinen Diener Lampe nicht zu verdrießen, so:
"Wenn der Weltbau mit aller Ordnung und Schönheit nur eine Wirkung der ihren allgemeinen Bewegungsgesetzen überlassenen Materie ist, wenn die blinde Mechanik der Naturkräfte sich aus dem Chaos so herrlich zu entwickeln weiß und zu solcher Vollkommenheit von selber gelangt: so ist der Beweis des göttlichen Urhebers, den man aus dem Anblicke der Schönheit des Weltgebäudes zieht, völlig entkräftet, die Natur ist sich selbst genugsam, die göttliche Regierung ist unnöthig, Epikur lebt mitten im Christenthume wieder auf, und eine unheilige Weltweisheit tritt den Glauben unter die Füße, welcher ihr ein helles Licht darreicht, sie zu erleuchten."
Nun bringt es der Kunstweltbau mit sich, dass nächste Woche der Kataklysmus beginnt. Wenn der Nikolaus mit seinen verdächtigem Sack verschwunden ist, geht es zu Mitternacht los mit dem Plattmachen von Dungeons. Mit dem neuen Abenteuer wird der Jugendschutz ad absurdum geführt, weil das Spielprogramm mit einem Subprogramm zur Förderung der Onlinesucht ausgebaut wurde. Erstmals gibt es Dinge, die man nur durch den Aufstieg in einer Gilde bekommen kann. Also muss man viel spielen und dem sozialen Druck in einer Gilde begegnen, weil man die Gilde selbst durch fehlende Online-Zeit sonst am Erreichen der Prämien behindert. Mit der alles zerstörenden Katastophe bekommt die Debatte um Online-Sucht von Kindern neuen Stoff, der das Gerede vom Jugendmedienschutz entlarvt. "Man weiß über die menschliche Natur nur das eine mit Sicherheit, dass sie sich verändert", meinte schon der große Oscar Wilde, und strafte damit all das Gerede von der Unmöglichkeit des menschlichen Denkens in der digitalen Welt Lügen, bevor es überhaupt aufkam. (Hal Faber) / (jk)
Quelle: Heise.de Newsticker
Die Vollkommenheit ist unerreichbar. Gewiß ist die Vollkommenheit unerreichbar. Sie hat nur den Sinn, deinen Weg wie ein Stern zu leiten. Sie ist Richtung und Streben auf etwas hin.
- Antoine de Saint-Exupéry, Die Stadt in der Wüste
- Antoine de Saint-Exupéry, Die Stadt in der Wüste