Wissen und Glauben

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    • Wissen und Glauben

      Hallo ihr Lieben.

      Nach einem Kurzurlaub und einer netten Grippe derren Auswirkungen mich derzeit noch zu plagen pflegen,
      wollte ich mich nun wieder bei euch melden.
      Heute entführe ich euch in die philosophische Welt mit dem Thema "Wissen und Glauben",
      deren Text ich auch auf aufzurwahrheit.com zur Diskussion stelle.
      Wissen und Glauben, ein Thema auf welches wir immer wieder treffen werden.
      Lasst euch von dem leicht provokanten Stil nicht aufs Glatteis führen. ;)

      Wissen und Glauben
      Mancherlei Bräuche sind unter den Menschen und vielerlei Mittel. Während Artemon den Epileptikern des Nachts Quellwasser aus dem Hirnschädel eines Ermordeten zu trinken gab, sollten diese, nach andern, aus gleichsam lebenden Bechern, das Blut der sterbenden Gladiatoren schlürfen, wohingegen Antaios aus dem Schädel eines Erhängten Pillen gegen den Biß tollwütiger Hunde bereitete, Apollonius schmerzendes Zahnfleisch mit dem Zahn eines Erdolchten ritzte und Meleton angab, mit der Galle des Menschen den Grauen Star heilen zu können.

      Wir, als einer späteren Zeit entsprossen, wähnen uns von solchem Aberglauben frei und glauben dafür an die Albernheiten unserer Wissenschaft. Denn ich will hier gar nicht reden von Räucherstäbchen in den Ohren, welche alle physischen und selischen Verunreinigungen aus dem Körper ziehen sollen, von Geistheilern, welche durchs Telefon über Entfernungen von vielen hundert Kilometern ihre Patienten gesundbeten, von denen, die zu jeder Gelegenheit ihr Pendel befragen, oder denen Wahrsagerinnen aus Kugeln und Karten die Zukunft lesen. Was wir allein unseren approbierten Ärzten glauben, wird schon reichen, uns bei späteren Generationen als ein finsteres Zeitalter gelten zu lassen.

      Wir glauben ihnen und sind ihnen wie Zauberern ergeben, obschon ihre Mittel oft weiter von der Natur entfernt sind, als das getrocknete, in Essig gelöste und getrunkene Hirn eines Kamels, die Asche des Rückgrats einer Hyäne mit der Zunge und dem rechten Fuß eines Seehundes unter Zusatz von Stiergalle, gekocht und auf das Hyänenfell gestrichen, um der Fußgicht beizukommen. Doch ist gegen unseren Glauben, wo er nicht schadet, sowenig einzuwenden wie gegen den unserer Ahnen, und ohne diesen Glauben hätten die alten wie die neuen Magier wenig auszurichten. Überall ist die Natur durchdrungen von Verwandtschaften und Wirksamkeiten, ein jedes Ding hat Einfluß auf ein anderes, und dort, wo starke Energien menschlicher, geistiger Beschwörung hinzutreten, muß sich die Wirkung bis ins Wunderbare steigern. Diese Energien können durch Konzentration, wie bei den Wunderheilern, oder durch Masse bei den Heeren der Chemiker und Pharmazeuten hervorgebracht werden, die Wirkungen sind jedesmal erstaunlich.

      Obwohl jeder heute vorgibt, von allem Aberglauben frei zu sein, war die Belustigung des Volks an Roman- und Filmgeschichten über Gespenster, Hexen, Ungeheuer, alchemistisch hervorgebrachte Menschenteufel und was dieser Art mehr ist, niemals größer. Unsere Nachwelt wird uns deswegen mit unserer Vorwelt in einen Topf werfen, zumal auch die Ängstlichkeit und Schreckhaftigkeit vor realen Ungeheuern nicht abgenommen hat: Wasser, Luft und Erde, samt allen unseren Speisen glauben wir vergiftet von den Machenschaften der Chemiker, und wir zittern wie Tyrannen und Despoten, die überall Verrat und Mord wittern. Dionysios, der König von Syrakus, verkroch sich des Nachts in eine Dachkammer, zog die Leiter hoch und versperrte die Luke mit fünffachen Riegeln.

      Wir fürchten uns vor dem Kohlendioxyd, einem unsichtbaren, geruchlosen Gas, einem natürlichen Bestandteil unserer Atemluft, der Grundlage allen Lebens, dem Nährstoff der Pflanzen und also auch der Tiere und Menschen. Wir konstruieren Szenarien, in denen eine Vermehrung des Kohlendioxyds die Welt in ein Treibhaus verwandle und wir von den Wassern der schmelzenden Eisberge als einer neuen Sintflut ersäuft würden.

      Im Orakel von Amon beobachteten die Priester, daß die immer brennende Lampe von Jahr zu Jahr weniger Öl brauchte und schlossen daraus, daß die Jahre kürzer würden. Heute brauchen unsere Lampen und Maschinen immer mehr Öl, und die Inquisitoren schließen, es müsse die Erde zunehmend sich erwärmen und bald im Dampfkessel des bösen Geistes gekocht werden. »Der Aberglaube gehört zum Wesen des Menschen und flüchtet sich, wenn man ihn ganz und gar zu verdrängen denkt, in die wunderlichsten Ecken und Winkel, von wo er auf einmal, wenn er einigermaßen sicher zu sein glaubt, wieder hervortritt« sagt Goethe dazu.

      Auch die echten Wundertaten sind heute nicht seltener als zu biblischen Zeiten, und mancher Gottbegnadete verdient, dereinst in die Reihe der Heiligen gestellt zu werden. So entdeckt nach eigener schwerer Krankheit eine russische Frau die Gabe, in die Körper der Menschen blicken zu können. Sie scheut von da an keine Mühe, sämtliches Wissen der Medizin sich anzueignen, welches in Verbindung mit dieser seltenen Gabe den Menschen Heil bringen kann, und weiht ihr Leben ganz ausschließlich diesem Berufe. Besser als irgend ein medizinischer Apparat sieht sie den inneren Körper des Leidenden und erkennt, weil alles in natülichem Zustande, besser als der Chirurg was fehlt und wie zu helfen ist. Auch vermag sie aus dem Bild einer ihr unbekannten, weit entfernten, vielleicht schon gestorbenen Person die genauesten Daten über dieselbe zu lesen, vor allem was Krankheit und Tod betrifft. Doch sei dies nur am Rande erwähnt. Viele Geistheiler üben ihre Kunst allein mittels Gedankenkraft, wobei die gewöhnliche Einwendung, ein solches miraculum hätte nur Erfolg, sofern der Patient selbst daran glaube - was eigentlich heißen soll, der Heilkünstler sei ein Scharlatan und der Kranke ein Hypochonder - von einer erfolgreichen und weitum berühmten Gesundbeterin aus meiner Gegend einmal trefflich erwidert wurde: Nein, glauben muß der Kranke nicht daran, denn das Vieh, mit welchem die Bauern täglich zu mir kommen, glaubt auch nicht daran, und ich mache es doch gesund.

      Obwohl solche Talente nicht selten vorkommen, weiß doch kaum einer, wie er sie ansehen soll, wenn nicht mit einer Mischung aus Unglaube und Sensationslust. Einige wohl nehmen ein Zeichen Gottes darin wahr, mit dem uns angedeutet werden soll, daß unsere gewöhnliche, irdische, dem Verstand und den Sinnen unterworfene Erkenntnis nur einen kleinen Teil seines unendlichen Machtbereiches erfaßt; einige spüren darin eine Anregung zur philosophischen Betrachtung, daß alle Dinge an geheimen, uns unsichtbaren Fäden aneinanderhängen, welche durch keine Mauer zerschnitten, durch keine noch so große Entfernung gelöst werden. Deshalb meint Kant: Es scheint fast nichts befremdlicher zu sein, als daß die Geistergemeinschaft nicht eine ganz allgemeine und gewöhnliche Sache ist, und das Außerordentliche betrifft fast mehr die Seltenheit der Erscheinungen, als die Möglichkeit derselben. Unsere Skepsis gegen alle Wunder beruht aber in der Regel auf Kleingläubigkeit, weil wir andern kein Licht zugestehen, wo bei uns selbst Finsternis herrscht; nur in seltenen Fällen zweifeln wir aus Angst, von einem Scharlatan betrogen zu werden.

      Ich selbst schwanke zwischen unumschränkter Leichtgläubigkeit in der Theorie und einem kleinlichen Vergnügen, im konkreten Falle sämtliche Unstimmigkeiten aufzuspüren und den Zauber eines Wundermittels, einer Wundertat zu zerschlagen. Einerseits glaube ich fest, daß Wunderkräfte mit derselben Sicherheit wirken können wie die gewohnten Naturkräfte, daß ein losgelassener Stein so gut zum Himmel streben kann, wie er sonst zur Erde fällt, und um die Wundertaten Jesu Christi und andere biblische Geschehnisse für wahr zu halten, brauche ich keinen der in Mode gekommenen archäologischen Indizienbeweise. Selbst wenn man seine Worte für bedeutender hält als seine Taten, sehe ich doch keinen Vorteil, an der Wirklichkeit dieser Taten zu zweifeln.

      Andererseits braucht man mir nur von einem Wundermittel oder Wundertäter oder einer neuen Methode zum Glücklichwerden vorzuschwärmen (vor allem die Frauen lassen sich mit Leidenschaft darauf ein), so überkommt mich gleich jener unwillkürliche Drang, nach tausend Gründen zu stöbern, wie die angeführten Erfolge ebensogut auf bloßer Einbildung beruhen könnten und die Phänomene auch auf ganz andere Weise zu erklären, wenn nichts mehr hilft, als Zufälle zu nehmen wären und ob das Ganze nicht vielleicht das Werk eines Scharlatans sei. Wenn in diesen Dingen bei den einen zuviel Leichtgläubigkeit und Schwärmerei ist, so bei mir zu viele Skepsis und Kleingläubigkeit. Zuweilen habe ich den Verdacht, es könne Mißgunst mitspielen auf diejenigen, welche Fähigkeiten und Empfänglichkeiten besitzen, die mir selbst abgehen.

      Zu wünschen wäre eine vollkommene Leichtgläubigkeit, die so weit geht, daß sie uns vor jeglicher Scharlatanerei beschützt, indem wir eine Sache ausschließlich nach dem Guten beurteilen, welches sie bewirkt und, soweit möglich, nach der Güte des Willens, von welchem sie ausgegangen. D.h. wir sollten geradeweg alles glauben, was man uns vorführt, wenn es nur irgendwo gut oder sinnvoll zu sein scheint. Ob die Sinne oder der Verstand bei der Aktion getäuscht werden, ist nicht wichtig, denn sie sind ohnehin zu unbeständig, als daß wir sie zu höchsten Richtern bestellen sollten.

      Es ist heute gar nicht zu fürchten, daß zuviel an Übersinnliches geglaubt wird. Zu gründlich haben die Herren Aufklärer und Wissenschaftler inzwischen das Volk umerzogen und ihm alles abspenstig gemacht, was nicht mit den Sinnen zu tasten, mit Apparaten zu messen oder mit Formeln zu berechnen ist. Allerdings brauchen sie zuweilen unerbittliche Dogmatik und beißenden Spott zur Einschüchterung, daß wenigstens öffentlich keiner mehr wagt, an Geister und Wunder aller Art zu glauben, und in der Tat macht sich heute jeder verdächtig, ein Schwächling des Verstandes zu sein - mithin die größte Schmach unserer jetzigen Zeit - wenn er Dinge für möglich hält, die sein Physiklehrer nicht erklären kann.

      Ebenso störrisch wie in Ciceros Schrift über die Wahrsagung treten die Parteien für oder wider eine Möglichkeit höherer Wahrnehmung auf. Die Leugner glauben an ihren Verstand und an das Zeugnis der Sinne, obwohl sie täglich erfahren können, daß der Verstand nur ein Werkzeug der Neigung ist und eben nur dort eingesetzt wird, wo diese ihn haben will, daß die Sinne nur einen kleinen Ausschnitt der Welt vermitteln und auch diesen noch in stets wechselndem Lichte, so daß ein und derselbe Gegenstand sich aus jeder neuen Perspektive als ein anderer zeigt. Obschon sie allen Glauben von sich weisen und auf Verstand und Wissen pochen, bilden sie, eben deswegen, in unserer Zeit die hauptsächliche Masse der Leichtgläubigen.

      Auf der anderen Seite stehen die Wundergläubigen und werden verspottet als schwächliche Phantasten und Träumer, abergläubische Weiber und Einfaltspinsel. In der Tat sind sie oft sehr empfänglich für neue Heilsverkünder (deren es heute nicht weniger gibt als zu biblischen Zeiten, auch wenn sie jetzt als "Psychologen" und "Esoteriker" auftreten), für Wunderdoktoren mit neuen und alten, jedenfalls exotischen Mittelchen, und leicht gehen sie schlauen Vertretern auf den Leim, die ihnen versprechen, ihre Wohnung zu entmagnetisieren.
      In ihrer Gesamtheit sind sie heute allerdings eher von untergeordneter Bedeutung, verglichen mit denen, die urteilslos an die Vorteile schnellerer Autos und Computer, modischer Kleidung und an die Theorien der Wissenschaftler glauben. Mit diesen wird nämlich die Wirtschaft umgetrieben und unvergleichlich mehr Umsatz erzielt als mit esoterischen Büchern oder Zaubersteinen zur "Belebung" des Trinkwassers.

      Für diejenigen, die eine Geisterwelt und göttliche Sphäre nicht leugnen, scheint mir keine angenehmere Vermittlung zwischen der irdischen Welt und der himmlischen denkbar, als allerlei wunderbare Geschehnisse, Weissagungen, Träume, Deutungen des Vogelflugs und der Eingeweide von Opfertieren, Wunderheilungen, Auferstehungen vom Tode, Gedankenvermittlungen über Kontinente hinweg, Verwandlung von Wasser in Wein und Orakel für die Mächtigen, sich bei ihrem Tun in Acht zu nehmen. Ist es dabei von Bedeutung, wieviele solcher Begebenheiten erfunden sind? Was gewinnen wir, wenn wir versuchen, alles auf physikalische Ursachen zurückzuführen - so oft erfolglos - anstatt manches auf göttliche?

      Es wird oft angeführt, daß der Geisterglaube die Menschen ängstige und sie sich, dank Aufklärung und Wissenschaft, heute bei einer Sonnenfinsternis nicht mehr zu fürchten bräuchten. Dafür haben ihnen die Wissenschaftler jetzt eingeredet, sie müßten sich vor dem Kohlendioxyd, vor dem Ozonloch und vor den ultravioletten Strahlen der Sonne fürchten. Der standhafte, sichere Charakter wird seine Festigkeit im Glauben an Geister und Wunder nicht verlieren, hingegen der schwache und unsichere muß auch als Physiker ein ängstliches Dasein führen.

      Wir haben auch eifrige Wissenschaftler, die sich mit Ernst an die Erforschung der Wunder und Seltsamkeiten machen. An der Universität Freiburg, am eigens dafür eingerichteten Lehrstuhl für Parapsychologie, läßt Professor Bender etwa eine begabte Träumerin dreitausend ihrer Träume aufschreiben, und zusammen überwachen sie, wie einmal dieses, einmal jenes Detail eines Traumes sich später in der Lebenswirklichkeit wiederfindet. Ein amerikanischer Gelehrter verbringt sein wissenschaftliches Leben damit, hellsehende Personen Spielkarten erraten zu lassen, um aus den Resultaten Statistiken zu erstellen, mit welchen die Möglichkeit des Hellsehens zu beweisen wäre.

      Schopenhauer war für solche Bemühungen dankbar, denn sie schienen ihm geeignet, metaphysische Zusammenhänge durch empirische Belege zu stützen. Daran mag immerhin etwas Wahres sein, doch ist mir bislang keiner begegnet, der aufgrund solcher Wundernachweise zu einer vernünftigen Einsicht über das Höhere gelangt wäre, vielmehr sehe ich nur, wie allein diejenigen, die über das Höhere vernünftig denken, auch derartige Wunderlichkeiten des Lebens in einem harmonischen Ganzen mit der Welt zu sehen im Stande sind.

      Von Geistheilern und Gesundbetern abgesehen würde ich deswegen der Meinung Kants beitreten, es seien all diese Verbindungen zur Welt der Geister zwar real aber im Grunde nutzlos und gar der Gesundheit des Verstandes schädlich. So denke ich, daß etwa Prophezeihungen keinen realen Nutzen bringen, außer daß sie uns, nachdem sie eingetroffen, unsere Verbindung zum Göttlichen offenbaren. Von einem prophetischen Traum, oder einer solchen Eingebung im Wachen, können wir nicht das mindeste auf die Zukunft schließen, denn ob darin etwas vorhergesagt und was aus den vielen vorübergegangenen Bildern dies sei, wissen wir erst, nachdem es sich tatsächlich ereignet haben wird. Bis dahin bleibt die Ungewißheit, die Unsicherheit und zuweilen die Angst, den Verstand in Gegenden zu beschäftigen, für die er nicht genügend ausgerüstet ist - und die Gefahr, ihn dabei zu verlieren.

      Doch selbst angenommen, ein guter Wahrsager träfe in der Regel das Künftige. Was kann es ihm oder seinem Klienten nützen? Kann er sich vorbereiten, das Unheil abzuwenden oder das Glück zu beschleunigen? Wenn das Wahrgesagte gilt, so wird es sich ereignen, unwiderruflich, unbarmherzig. Wie hätte sich Cäsar vor den Iden in Acht nehmen sollen, wie auf den Traum seines Weibes und ihr Flehen, an diesem Tage zuhause zu bleiben, wie auf den Seher, der ihm Unheil verkündete, wie auf die vielen Zeichen, welche seinen Tod vorkündeten hätte er reagieren sollen? Waren die Prophezeiungen wahr, so konnte er ihrer Vollstreckung nicht entrinnen, waren sie falsch, so hatte er nichts zu fürchten; eine Beschäftigung damit war in jedem Falle sinnlos. Nicht zu Unrecht antwortete er, noch am Tage vor dem Attentat, auf die Frage nach dem besten Tod, es sei der unerwartete.

      Dem Agamemnon brachte nichts Gutes als er seinem Traume folgte, denn es war ein trügerischer Traum - obwohl direkt von Zeus gesandt. Hektor achtete nicht die Warnung des Vogelschauers und mußte trotzig die Erfüllung hinnehmen. Nikias hatte Pech, indem er die Orakel achtete, Crassus, indem er sie verachtete, Marius wurde durch den Glauben an die Wahrsagerei gerettet, Oktavius ins Verderben geführt. So wird man leicht die ganze Wahrsagerei und was damit zusammenhängt für ein Unwesen oder doch für etwas völlig Nutzloses erachten - womit mein Verstand denn auch völlig übereinstimmt - allein mein Herz sich wehren will. Zwar bin ich überzeugt, daß noch kein Orakel dem Menschen unmittelbaren Nutzen brachte, noch keine Tat dadurch zum besseren gelenkt wurde - doch scheint mir andererseits nicht unbedeutend, ob Gott sich in gerader Verbindung, durch Wunder und Prophezeihungen an uns wendet, oder ob er uns die Natur als Rätselbild vorlegt, aus dem wir seinen Willen und seine Größe selbst erforschen sollen.

      Die Geschichte schiene mir jedenfalls ärmer, wäre nicht aus dem Leben eines jeden bedeutenden Mannes wenigstens eine Gegebenheit überliefert, die uns zeigt, wie sich das Göttliche auf unmittelbarem Wege, über Eingebungen und Zeichen in den Gang der Dinge gemischt und seinen Willen kundgetan. Wären wir allein über die Natur mit dem Höchsten verbunden und müßten aus allen gegebenen Verhältnissen erst mühsam Begriffe abstrahieren, filtrieren und kombinieren, um daraus wieder zu interpretieren, was uns die Gottheit sagen will, es bliebe eine gedankenkühle, geheimnislose Welt, als fehlte das Herzklopfen des Verliebten, der von seiner Angebeteten unerwartet angesprochen wird.

      Werden wir aber nicht selbst ausgewählt, die göttlichen Worte mit Ohren zu hören, so könnte uns auch schon die Vorstellung, daß es anderen geschieht, daß es überhaupt tatsächlich geschieht, erbaulich sein und uns genugtun. Denn wo immer es geschieht, ist es ein Zeichen, daß der Mensch in unmittelbarer Verbindung mit dem Allesumfassenden steht. Letztlich geht es darauf hinaus, daß wir das Metaphysische als einen Geist wie den unseren erfahren, einen Willen wie den unseren und eine Sprache gebrauchend wie die unsere. Das schafft eine Vertrautheit, wie sie abstrakte Metaphysik kaum bieten kann.

      Plato bezweifelt allerdings, ob Menschen mit gesundem Verstand überhaupt fähig sind, Weissagungen zu empfangen. Kein Mensch, der voll bei Sinnen ist, sei eines gottbegeisterten und wahren Seherspruchs fähig, sondern nur dann öffne sich die höhere Wahrnehmung, wenn entweder seine Geisteskraft im Banne des Schlafes gebrochen, oder wenn er durch Krankheit oder irgendeine Art von Verzückung geistesschwach geworden sei. Hingegen die von einem Seher oder Verzückten getanen Aussprüche mit scharfem Verstande aufzufassen, das sei Aufgabe eines Mannes, der im Besitze seiner vollen Geisteskraft ist, und dieser könne dann die hellseherischen Äußerungen mit der Schärfe seines Verstandes prüfen und entscheiden, inwieweit und für wen sie Anzeichen eines künftigen oder vergangenen oder gegenwärtigen Glückes oder Unglückes seien. Dagegen stünde es dem vom Wahnsinn Befallenen und noch darin Befindlichen nicht zu, seine eigenen Traumgesichte und Äußerungen zu beurteilen.
      Diese Arbeitsteilung, wie sie Plato will, scheint nötig, doch bleibt als Schwierigkeit, die Grenzlinie auszumachen, wer ein Kranker oder Verzückter und wer ein Gesunder ist - und geraten diese Zustände nicht oft genug in der selben Person durcheinander?

      Zu wünschen wäre eine vollkommene Leichtgläubigkeit in allem Guten und Nützlichen, und, wenigstens in der Theorie, darf ich sie mir zugute halten. Jedoch in anderen Dingen, die sonst leicht geglaubt werden, läßt mich die Treuherzigkeit im Stich. Worin ich weder Nutzen, noch Schönheit, noch Größe finde, will sich mein Gemüt nicht bereden lassen, wo Mode und die große Menge lauthals Wahrheiten verkünden, ungeachtet jeder Brauchbarkeit, läßt sich meine Euphorie nicht wecken, und manche Dogmen unserer Zeit reizen mich zum Widerspruch.
      Die Vollkommenheit ist unerreichbar. Gewiß ist die Vollkommenheit unerreichbar. Sie hat nur den Sinn, deinen Weg wie ein Stern zu leiten. Sie ist Richtung und Streben auf etwas hin.
      - Antoine de Saint-Exupéry, Die Stadt in der Wüste
    • Hast du denn den Kontext verstanden in dem dieser Satz steht, bzw. in Gesamtzusammenhang?
      Vielleicht ist es ja grade etwas "anders gemeint als grad von dir verstanden". ;)

      Als Anreiz: Ich spiele gerne mit teils kontrovers zueinander stehenden Thesen
      um als Produkt aus diesen ich nenne es mal dreist "Gedankenspielchen" neue Hypothesen
      und vielleicht auch eine "Erweiterung" des jeweils individuellen Horizontes zu provozieren.
      Um es in Klartext zu sagen:
      Nur Glauben reicht mir nicht aus, erst wenn man versteht und um der Dinge weiß,
      der kann sie sich zu nutze machen, mit ihnen umgehen und tritt in eine erweiterte Firm der Welt hinein.

      Daher gehören Wissen und Glauben IMMER zusammen un niemals nur das eine oder das andere.
      Denn beides alleine führt zu Irrwegen, Begrenzungen und letztlich zu Stillstand,
      was nicht nur im übertragenen Sinne den Tod einer Sache bedeutet.

      Vielleicht entdeckt ihr ja meine "Spielereien". ;)
      Die Vollkommenheit ist unerreichbar. Gewiß ist die Vollkommenheit unerreichbar. Sie hat nur den Sinn, deinen Weg wie ein Stern zu leiten. Sie ist Richtung und Streben auf etwas hin.
      - Antoine de Saint-Exupéry, Die Stadt in der Wüste
    • Abraxas schrieb:

      Daher gehören Wissen und Glauben IMMER zusammen un niemals nur das eine oder das andere.

      Das ist ein Widerspruch in sich - wenn ich etwas weiß, brauch ich es nicht mehr zu glauben, denn dann weiß ich es ja - unumstößlich.

      Glauben dagegen ist etwas Hypothetisches, ein Mensch glaubt etwas, wenn es seinem Denken, seiner Vorstellung und seinen eigenen Erfahrungen, die auf ihn wirken entspricht - in manchen Fällen - wenn er labil ist - läßt er sich auch den Glauben eines anderen aufzwingen.


      Abraxas schrieb:

      Von Geistheilern und Gesundbetern abgesehen würde ich deswegen der Meinung Kants beitreten, es seien all diese Verbindungen zur Welt der Geister zwar real aber im Grunde nutzlos und gar der Gesundheit des Verstandes schädlich. So denke ich, daß etwa Prophezeihungen keinen realen Nutzen bringen, außer daß sie uns, nachdem sie eingetroffen, unsere Verbindung zum Göttlichen offenbaren.


      Nutzlos????, ich gehe hier konform mit Sonja. Ich bin zwar kein Schamane aber hier habe ich auch meine Erfahrungen gemacht und zwar schon sehr früh und ich habe nicht das Gefühl, dass mein Verstand dadurch Schaden genommen hätte.
      Prophezeiumgen dagegen wäre ein Thema für sich, Prophezeiungen kann man auch treffen, indem man eine Sache konsequent durchdenkt, es gibt andere Prophezeiungen wie z.B. Fatima oder Guadeloup und durch "Hellsichtigkeit" - und sich selbst erfüllende Prophezeiungen (deren Erfüllung in tiefem Glauben an sie liegt) aber das ist für mich ein anderes Thema.


      Gruß Jo
      "Nehmt Eure Sprache ernst! Wer es hier nicht zu dem Gefühl einer heiligen Pflicht bringt, in dem ist nicht einmal der Keim für eine höhere Bildung vorhanden."
      "Es wurde bisher grundsätzlich immer nur die Wahrheit verboten."

      Friedrich Nietzsche

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Jo ()

    • Hallo Jo,

      lies nochmal den ersten Absatz vom Text und dann nochmal was ich Sonja geschrieben habe vorhin.
      Vielleicht fällt dir etwas auf. ;)
      Du solltest nicht alles im Text stumpf wörtlich nehmen.

      Glauben und Wissen das ist kein Widerspruch.
      Denk doch mal nach, was das eine ohne das andere wäre und wo dies letztlich hinführen würde.
      Dinge weiter und zuende denken. Wie sollte sich z.B. das Wissen erweitern, wenn man nicht
      erst etwas glaubt (vermutet) und dann der Sache auf den Grund geht, diese prüft und anschleßend
      Wissen hervorbringt. Das mal als kleiner Denkanstoß.

      Liebe Grüße
      Die Vollkommenheit ist unerreichbar. Gewiß ist die Vollkommenheit unerreichbar. Sie hat nur den Sinn, deinen Weg wie ein Stern zu leiten. Sie ist Richtung und Streben auf etwas hin.
      - Antoine de Saint-Exupéry, Die Stadt in der Wüste
    • Abraxas schrieb:

      Denk doch mal nach, was das eine ohne das andere wäre und wo dies letztlich hinführen würde.
      Dinge weiter und zuende denken. Wie sollte sich z.B. das Wissen erweitern, wenn man nicht
      erst etwas glaubt (vermutet) und dann der Sache auf den Grund geht, diese prüft und anschleßend
      Wissen hervorbringt.


      Abraxas, das ist für mich eine völlig andere Aussage. Reiner Glaube ist meiner Meinung nach etwas, was eben nicht beweisbar ist. Glaube in des Wortes reinster Form birgt keine Zweifel.
      Vermutungen dagegen, was Du Deinerseits als Glauben bezeichnest, ist immer von Zweifeln geprägt und verlangt nach Überprüfung um eben zum Wissen zu kommen. An anderer Stelle hab ich mal geschrieben "Glaube ist höchste Willenskraft" - eben mit dem Hintergrund, dass der Glaube keine Zweifel zulässt, - das ist mein Verständnis vom "Glauben".

      Und darum ist für mich Deine Aussage: "Daher gehören Wissen und Glauben IMMER zusammen und niemals nur das eine oder das andere." ein Widerspruch.

      Gruß Jo
      "Nehmt Eure Sprache ernst! Wer es hier nicht zu dem Gefühl einer heiligen Pflicht bringt, in dem ist nicht einmal der Keim für eine höhere Bildung vorhanden."
      "Es wurde bisher grundsätzlich immer nur die Wahrheit verboten."

      Friedrich Nietzsche
    • Hallo Jo,

      nun dann wären wir wohl bei der Extremform der Wortbedeutungen von Wissen und Glauben angekommen.
      Aus dem Kontext heraus ist dein Einwand dann zu verstehen.

      ... nur was ist nun besser?

      Die höchste Willenskraft und das Vertrauen zu haben an etwas zu glauben was man nicht weiß,
      oder etwas zu prüfen um zu wissen und dabei wohl auch zu vermuten, dass es Dinge gibt,
      die wir bis jetzt eben noch nicht überprüfen können, da uns "noch" die Mittel dazu fehlen...
      Ein Grund zu resignieren? Ich denke nicht.

      Ich hoffe mal ihr habt auch erkannt um welches "eigentliche" Thema es in dem Text geht.
      Die Vollkommenheit ist unerreichbar. Gewiß ist die Vollkommenheit unerreichbar. Sie hat nur den Sinn, deinen Weg wie ein Stern zu leiten. Sie ist Richtung und Streben auf etwas hin.
      - Antoine de Saint-Exupéry, Die Stadt in der Wüste
    • Wissen und Glauben – die zwei Pole.

      Hallo zusammen,

      hier meine Sicht der Dinge:

      Wissen und Glauben sind auf der untersten Ebene zwei getrennt erscheinende Pole, welche aber am Gipfel EINS werden. Der Mensch kann durch Glauben zu Wissen kommen, und durch wissen zum Glauben.

      Es gibt: Wissen, Erkenntnis, Verständnis und am Gipfel das SEIN.
      Dem gegenüber steht: Glaube, Vertrauen, Hingabe und am Gipfel das SEIN.

      Das WISSEN: Das, was gerade in unserer Gesellschaft so hoch geachtet wird, ist in Wirklichkeit das Niedrigste.
      Damit meine ich unsere Doktoren und Professoren, welche sich das Wissen NUR aus Büchern aneignen, aber von der SACHE noch nichts verstehen. Also die REIN studierten, deren Lebenszweck nur darin besteht, viele Bücher und Abhandlungen zu lesen, und sich VIEL WISSEN über ein bestimmtes Thema anzueignen. Auch sogenannte STUDIERTE Philosophen gibt es dieser Art, die trotz Studium über das Denken, nicht gelernt haben SELBST zu denken.
      Die ERKENNTNIS: Die Erkenntnis der Dinge, steht über dem Wissen. Die eigenständige Erkenntnis von einer Sache setzt EIGENE Lebenserfahrung, und EIGENSTÄNDIGES Denken voraus. Nur, wenn das Erfahrene aus dem Leben auch selbst durchdacht wird, dann kommt der Mensch zu höherer Erkenntnis. Wer eine Sache SELBST erkannt hat, der weiß dann, daß es so ist – wie es geschrieben steht.
      Das VERSTÄNDNIS: Das Verständnis steht über der Erkenntnis. Verständnis bedeutet, nicht nur TEILE eines Sache erkannt zu haben, sondern das GANZE zu sehen und zu VERSTEHEN – WARUM das so ist.

      Nehmen wir als Beispiel einen Baum.
      Wer nur über den Baum in Büchern liest, der kann THEORETISCH alles über den Baum wissen, aber er hat noch keinen Baum gesehen. Somit kann er auch nicht sagen: SO IST ES!
      Wer aber auf das Land geht, und auf einen Baum zuläuft, der erkennt, aha, da ist ein Baum, und es stimmt, was ich über den Baum gelesen habe.
      Wer nun noch näher an den Baum herangeht, und eingehend alles begutachtet – von der Wurzel, über den Stamm, die Äste, Zweige und Blätter, der versteht, was ein Baum ist, und warum ein Baum existiert.

      Der SEINZUSTAND: Der Seinszustand ist dann sinnbildlich (im Geiste), wenn man in den Baum hinein geht, zum Baum wird, und denkt und fühlt wie ein Baum. Der kann dann sagen: ICH BIN ES.

      Der GLAUBE: Der reine Glaube, ist wie das Wissen, nur die OBERFLÄCHE. Die Masse der Menschen ist im Glauben sehr leicht zu beeinflussen (eben – mangels EIGENEM Denken).
      Wenn ein Wissenschaftler sagt: „Das ist so“, dann wird das von den Massen geglaubt. Der ist ja studiert! Oder, wie ein Gottschalk vor dem Bankenkrise noch kräftig Werbung zum Aktienkauf machte. Auch das glaubte die Masse. Was auch immer ein Titelträger, oder ein Medienstar mit hohem Bekanntheitsgrad sagt, die Massen laufen hinterher. Das sind die unbewussten Menschen.
      Das VERTRAUEN: Wenn zum Glauben das Vertrauen dazu kommt, dann ergibt das zusammen eine ÜBERZEUGUNG. Bibel: „Wenn Ihr daran glaubt und keinen Zweifel hegt, so wird es geschehen“. Ein Glaube ohne Zweifel ist eine Überzeugung. Hier ist der ganze Bereich der Geistheilung, und des positiven Denkens anzusiedeln. Wobei kein Mensch einen Anderen geistig heilen kann, sondern nur die ÜBERZEUGUNG des Anderen beeinflussen kann. Auch ein Jesus sagte immer: „Gehe hin, DEIN GLAUBE hat Dir geholfen“! Eben NICHT: „ICH habe Dir geholfen!
      Die HINGABE: Wenn man SICH SELBST einer Sache hingibt, dann ist das eine Selbstaufopferung. Ein Mensch, der in Hingabe seine Arbeit verrichtet, denkt bei der Arbeit NICHT an sICH, nicht an einen Vorteil, und nicht an einen Gewinn für sICH. Er ist im Geiste ganz und gar auf sein WERK KONZENTRIERT, und vergisst dabei alles Andere. NUR auf diese Art, wurden die ganz großen Werke in Kunst, Literatur und worauf auch immer der Geist gelenkt ist, geschaffen.

      Bei der spirituellen Entwicklung des Menschen steht zunächst der Glaube an einen Gott, dann das Vertrauen zu Gott, und zum Schluss die Hingabe (Selbstaufgabe) an Gott. So erreicht man das Höchste, den SEIN ZUSTAND.


      So kommt der Mensch eben durch Wissen zum Glauben, oder durch Glauben zu Wissen. Es sind die zwei ERGÄNZUNGSHÄLFTEN, die notwendig sind, um das Höchste zu erreichen.

      WISSEND zu GLAUBEN.

      Mit freundlichen Grüßen
      Demetrius
      Die Frage nach dem WARUM ist ein Ergründen der Ursache.
      Die Frage nach dem WIE ist ein Ergründen der Mittel.

    • Hallo Demetrius,
      genau richtig.
      Darauf wollte ich hinaus, das Wissen und Glauben
      Ergänzungshälften sind und da kommen wir zum eigentlichen
      Thema des Textes, was ich bei Raabenweib angedeutet habe.
      Es geht um Erkenntnisfähigkeit und Sein.
      Und mit dem Wissen dürfte der Text nochmals anders wirken,
      als es vielleicht auf den ersten Blick scheint.

      ;)
      Die Vollkommenheit ist unerreichbar. Gewiß ist die Vollkommenheit unerreichbar. Sie hat nur den Sinn, deinen Weg wie ein Stern zu leiten. Sie ist Richtung und Streben auf etwas hin.
      - Antoine de Saint-Exupéry, Die Stadt in der Wüste
    • Jo schrieb:


      Das ist ein Widerspruch in sich - wenn ich etwas weiß, brauch ich es nicht mehr zu glauben, denn dann weiß ich es ja - unumstößlich.
      Kleines Kommunikationsproblem, man muss den Glauben im religiösen Sinne vom Glauben im Sinne von "etwas für wahr halten" (also nicht wissen) unterscheiden. Ein kleiner Unterschied, aber Quelle vieler Missverständnisse.

      Interessante Sendungen zum Thema:

      www.youtube.com/watch?v=3b0EaGy-vVA

      www.youtube.com/watch?v=Rt8yCSrsttk

      Wo wir sind, da ist immer auch Ägypten.
      ~☤~

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    • In meinen Augen hat der Typ aus dem Youtube-Video relativ wenig Ahnung von dem, worüber er redet.

      Um mit einem Punkt anzufangen: Chaos-Theorie. Hier geht es immer noch um Fragen (zumindest in dem Sinne, wie sie in der Physik verwendet wird), ob bestimmte Differentialgleichungen unter gewissen Anfangsbedingungen eindeutige Fortsetzungen bis in beliebige Zukunft haben. Wenn dies nicht der Fall ist, heißt das, dass das Modell unvollständig oder falsch ist. Leider ist hier die Physik deutlich weiter (sie haben potentiell plausible Modelle), aber leider ist die Mathematik noch nicht so weit, die Fragen, die die Physiker interessieren, zu beantworten.

      Dann vermischt der Typ das ganze auch noch das ganze mit Zufall. Hat leider nichts damit zu tun. Auch hier gibt es saubere Mathematik (stochastische Prozesse bzw. stochastische Differentialgleichungen), die auch bei der Beschreibung vieler natürlicher Prozesse (Brownsche Bewegung, . Ebenso empfehle ich dem Typen dringend mal ein anspruchvolles Grundlagen-Buch über Stochastik durchzuarbeiten. Dann würde er merken, dass Stochastik saubere Mathematik darstellt und Wahrscheinlichkeiten eine ganz formale Interpretation haben (Bildmaß des Urbildes einer Zufallsvariable, wobei eine Zufallsvariable eine messbare Funktion von Omega in einen beliebige Bildmenge ist), die vollkommen ohne Geschwurbel auskommt.

      Dann bringt er auch noch Berechenbarkeit. Zu Berechenbarkeit (hier wechselt er plötzlich - ohne es wahrscheinlich überhaupt zu merken) zur mathematischen Informatik. Spannendes Gebiet mit vielen offenen Fragen (allen voran P = NP).

      Schließlich auch noch Popper: Falsifizierbarkeit. Aber statt dies zu nutzen, um Glauben in Frage zu stellen (was unterscheidet Religion X von der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters? Beides ist nicht falsifizierbar), nutzt er dies gegen Naturwissenschaft. Ebenso: es gibt Wissenschaften, wo man alles nachvollziehen und beweisen kann. Diese nennt man Strukturwissenschaften.

      Dann auch noch Kurt Gödel - der hat aber nie einen Nobelpreis gewonnen (es gibt keinen Nobelpreis für Mathematik). Ich bezweifle, dass überhaupt der Typ im Video verstanden hat, was Gödel bewiesen hat. Tipp: man kann für Systeme durchaus Widerspruchsfreiheit, ebenso Vollständigkeit beweisen, aber diese Systeme können nicht mächtig genug sein, gewisse Eigenschaften über Addition und Multiplikation in natürlichen Zahlen auszudrücken.

      Ebenso fraktale Geometrie (Länge Deutschlands Küste): hier gibt es längst vernünftige Maße. Das Beispiel mit dem Deichbau ist absurd: es gibt Beispiele von Körpern mit unendlich großer Oberfläche, aber endlichem Volumen.

      Kurz: der Typ hat keine Ahnung.

      Sorry, jetzt bräuchte ich dringend etwas, um meinen Blutdruck zu senken.
      Erst wenn der letzte Programmierer eingesperrt und die letzte Idee patentiert ist, werdet ihr merken, dass Anwälte nicht programmieren können.
    • Du beziehst dich nur auf das letzte Video?

      Nubok schrieb:

      Falsifizierbarkeit. Aber statt dies zu nutzen, um Glauben in Frage zu stellen (was unterscheidet Religion X von der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters? Beides ist nicht falsifizierbar)
      Da sieht man mal, wie vielseitig man manche Dinge verwenden kann. Es ist hier für die Grundfrage völlig egal, welche spezielle Religion oder Kirche gemeint ist.

      Nubok schrieb:

      nutzt er dies gegen Naturwissenschaft.
      Ich hab ihn nicht so verstanden, dass er gegen die Wissenschaft ist. Er sagt ja klar und deutlich, dass er von der Wissenschaft begeistert ist. Wenn er gegen Wissenschaft wäre, müsste er konsequenterweise auch auf ihre Früchte verzichten. Wie man jedoch sieht, nutzt er zumindest Computer und Kamera. Letztendlich kann es schon sein, dass er mit seinen Beispielen teilweise sachlich daneben lag. Wenn das tatsächlich so ist, hast du auch jedes Recht dazu, diese Stellen zu kritisieren.

      Nubok schrieb:

      es gibt Wissenschaften, wo man alles nachvollziehen und beweisen kann. Diese nennt man Strukturwissenschaften.
      Vielleicht wurde nicht so ganz deutlich, dass sich Michael Kotsch speziell auf Naturwissenschaften bezieht (obwohl er das in Minute 4 erwähnt). So ergibt das Beispiel mit den Netzen nämlich einen Sinn. Auch wenn Dawkins – auf dessen Buch und Jünger dieses Video eine Reaktion darstellt – von Wissenschaft (Science) redet, meint er in den meisten Fällen Naturwissenschaft und nicht Mathematik oder andere Strukturwissenschaften. Über das Verhältnis von Mathematik und Glauben gibt der Mathematikprofessor John Lennox in diesem Vortrag auskunft.

      Nubok schrieb:

      (Länge Deutschlands Küste): hier gibt es längst vernünftige Maße.
      Sind die auch auf den Femtometer genau? Falls nicht, ist das genau die Sache, wovon im Video die Rede ist. Aber selbst wenn sie so genau wären, verfehlt diese Analyse doch den Inhalt dessen, was mit diesem Beispiel verdeutlicht werden sollte (s.o.).

      Nubok schrieb:

      Sorry, jetzt bräuchte ich dringend etwas, um meinen Blutdruck zu senken.
      Seine Kernaussage ist, dass Glaube und Wissenschaft nicht im Widerspruch zueinander stehen. Das scheint dich ja prinzipiell auch nicht zu stören. Also kein Grund zur Aufregung. Immer schön wissenschaftlich und nüchtern bleiben. ;)
      Wo wir sind, da ist immer auch Ägypten.
      ~☤~

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    • Vielleicht wurde nicht so ganz deutlich, dass sich Michael Kotsch speziell auf Naturwissenschaften bezieht (obwohl er das in Minute 4 erwähnt).
      Dann erklär mir bitte, warum er in seinem Video ziemlich Struktur- und Naturwissenschaften durcheinanderwürfelt:

      - Chaos-Theorie: Strukturwissenschaft (wenn auch mit - sagen wir mal - Anwendungen, die besonders Naturwissenschaftler interessieren)
      - Berechenbarkeit: Strukturwissenschaft
      - Kurt Gödel (Berechenbarkeit bzw. Modelltheorie): Strukturwissenschaft
      Sind die auch auf den Femtometer genau? Falls nicht, ist das genau die Sache, wovon im Video die Rede ist. Aber selbst wenn sie so genau wären, verfehlt diese Analyse doch den Inhalt dessen, was mit diesem Beispiel verdeutlicht werden sollte (s.o.).
      Nein, wir führen vielmehr einen vollkommen anderen Abstandsbegriff auf Basis der fraktalen Dimension ein, der keine Bedeutung mehr im Sinne von Femtometer etc. hat (weil je enger wir die Punkte zueinander machen, desto mehr konvergiert die Länge gegen Unendlich - Standard-Mathematik; daher ergibt eine klassische Abstandsmessung keinen Sinn). Ein Standardverfahren, was sich durch die ganze Wissenschaftsgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts zieht: wenn die Theorie schön ist, aber es ein Problem gibt, biegen wir die Definitionen zurecht, dass es wieder stimmt.


      Beispiel (Differentialgleichungen): es wurde eine wunderschöne Theorie sogenannter schwacher Lösungen partieller Differentialgleichungen entwickelt. Problem an der ganzen Sache: es können hierbei Lösungen auftreten, welche nicht die benötigte Ableitungsordnung besitzen. Lösung: wir ändern den Ableitungsbegriff derart ab (schwache Ableitung in sogenannten Sobolev-Räumen), dass die auftretenden Funktionen in den Ableitungsbegriff reinpassen. Wer dies für unwissenschaftlichen Hokuspokus hält, dem sei gesagt, dass exakt dies auch Jahrzehnte später (als Computer leistungsfähig genug wurden), die mathematische Rechtfertigung für Finite-Elemente-Methoden (Standard in der Computersimulation von (z. B. mechanischen) Bauteilen) liefert.
      Seine Kernaussage ist, dass Glaube und Wissenschaft nicht im Widerspruch zueinander stehen.
      Dazu muss man erst einmal als Frage stellen, was man überhaupt als "Glauben" (im Sinne religiösen Glaubens) betrachtet. Während Atheisten eine recht homoge Gruppe (im Sinne eines geteilten Wertesystems) bilden, ist dies bei gläubigen Menschen nicht der Fall. Böse ausgedrückt: jeder hat seinen Privatglauben. Deswegen kann ich auch nicht nachvollziehen, wenn in irgendwelchen Medienberichten Glaube vs. Nichtglaube (Atheismus) etc. beschworen wird - einfach weil Glaube alles sein kann.

      Nehmen wir aber, um nicht behaupten zu können "das ist nicht mein Glaube" einen konkreten Glauben heraus - die katholische Kirche (lässt sich aber auf die meisten anderen Glaubensgemeinschaften übertragen). Früher war es Lehrmeinung der Kirche, dass sich die Sonne um die Erde dreht - bis dann Kopernikus und Galilei kamen. In meinen Augen haben wir somit experimentell die katholische Kirche widerlegt (mittlerweile haben übrigens viele Religionsgemeinschaften daraus gelernt und lehren nur noch schwer falsifizierbare Aussagen; obwohl ich persönlich gespannt bin, was in den nächsten Jahrzehnten die Neurowissenschaftler so alles entdecken werden, was Religionen wieder unter Zugzwang setzen wird).

      Nun mag man das Argument bringen, dass auch schon so manche andere (natur-)wissenschaftliche Theorie (z. B. Newtonsche Physik durch Relativitätstheorie und Quantentheorie) widerlegt wurden. Stimmt. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied: die Naturwissenschaften nehmen es nicht in Anspruch, Antworten gefunden zu haben. Das, was die Lehrmeinung ist, ist lediglich das beste, was sie aktuell zu bieten haben und was noch nicht experimentell widerlegt worden ist. Bei vielem ist sogar wohlbekannt, dass es nicht die letzte Antwort sein kann (z. B. sind Quantenelektrodynamik und Allgemeine Relativitätstheorie in ihren Aussagen widersprüchlich; allein: niemand konnte bislang eine Theorie liefern, die in der Lage ist, diesen Widerspruch zu beseitigen; ebenso kann nach heutigem Stand noch kein Experiment durchgeführt werden, um die Frage zu klären, da die benötigten Teilchenbeschleuniger viel zu groß wären).

      Die meisten Religionen dagegen nehmen es für sich in Anspruch Antworten zu liefern. Leider sind diese Antworten nicht falsifizierbar. Und unter diesen Umständen muss ich ehrlich fragen: was unterscheidet einen Anhänger einer "üblichen" Religion von einem Gläubigen an das Fliegende Spaghettimonster - außer dass die "übliche" Religion eine im Allgemeinen kulturelle Tradition hat? Und wenn man sich den rasanten wissenschaftlichen Fortschritt des letzten Jahrhunderts anschaut - welchen Grund gibt es für die Annahme, dass Menschen, die vor mindestens 1000 Jahren religiöse Texte aufgeschrieben haben, ernsthaft Bescheid wussten? Ich würde beispielsweise definitiv eine moderne Enzyklopädie gegenüber einer mittelalterlichen vorziehen.

      Sehen wir uns auch wieder ein konkretes Beispiel an: wenn man beispielsweise davon ausgeht, dass die in der Bibel beschriebenen Wunder real waren (wo wohl fast alle gläubigen Christen zustimmen würden), heißt das doch definitiv, dass es im Universum irgendeinen Mechanismus gegen oder gegeben haben muss, aufgrund dessen solche Wunder sich manifestieren konnten. Angesichts der immensen sozialen Bedeutung (besonders im medizinischen Fortschritt, aber auch in anderen Bereichen) sollte man doch erwarten, dass die Kirchen immense Forschungsgelder investieren, um diese Mechanismen in der Natur, die dies ermöglichen, zu erforschen. Mir ist aber kein solches Projekt bekannt. Sind die Entscheider der Religionen doch nicht so überzeugt von der Gültigkeit der Grundlagen ihrer gepredigten Religion? Man könnte das vermuten, denn wenn man mit solchen Thesen kommt, kommen schnell Ausflüchte a la "in der Bibel ist doch manches nur bildlich gemeint" etc.

      Deswegen: die Aussagen vieler Religionsgemeinschaften, die wissenschaftlich widerlegbar sind, wurden häufig widerlegt. Jetzt wäre doch eigentlich mal der Zugzwang bei den Religionen, konkrete falsifizierbare Aussagen über das Universum zu treffen...
      Erst wenn der letzte Programmierer eingesperrt und die letzte Idee patentiert ist, werdet ihr merken, dass Anwälte nicht programmieren können.
    • Nubok schrieb:

      Dann erklär mir bitte, warum er in seinem Video ziemlich Struktur- und Naturwissenschaften durcheinanderwürfelt
      Was meinst du mit durcheinanderwürfeln?

      Nubok schrieb:

      je enger wir die Punkte zueinander machen, desto mehr konvergiert die Länge gegen Unendlich - Standard-Mathematik;
      Das ist dann genau das, was in diesem Video gesagt wurde, oder?

      Nubok schrieb:

      Ein Standardverfahren, was sich durch die ganze Wissenschaftsgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts zieht: wenn die Theorie schön ist, aber es ein Problem gibt, biegen wir die Definitionen zurecht, dass es wieder stimmt.
      Dann war möglicherweise die Definition ungeeignet. Kann passieren.

      Nubok schrieb:

      Wer dies für unwissenschaftlichen Hokuspokus hält, dem sei gesagt, dass exakt dies auch Jahrzehnte später (als Computer leistungsfähig genug wurden), die mathematische Rechtfertigung für Finite-Elemente-Methoden (Standard in der Computersimulation von (z. B. mechanischen) Bauteilen) liefert.
      Unwissenschaftlich wird es aber, wenn falsch verstandene Religion, Ideologie oder persönliche Motive sich mit wissenschaftlicher Arbeit mischen und dies dazu führt, dass man den Tunnelblick bekommt, also in selektiver Wahrnehmung die Hinweise ignoriert, die eine bevorzugte Theorie widerlegen könnten.

      Nubok schrieb:


      Während Atheisten eine recht homoge Gruppe (im Sinne eines geteilten Wertesystems) bilden, ist dies bei gläubigen Menschen nicht der Fall. Böse ausgedrückt: jeder hat seinen Privatglauben. Deswegen kann ich auch nicht nachvollziehen, wenn in irgendwelchen Medienberichten Glaube vs. Nichtglaube (Atheismus) etc. beschworen wird - einfach weil Glaube alles sein kann.
      Genauer betrachtet haben Atheisten sicherlich eine ebenso große Anzahl an Privatüberzeugungen wie Theisten. Es bringt nichts, irgendwelche speziellen Glaubenssysteme herauszupicken. Was hier zählt, ist der Unterschied, dass die einen an ein schöpferisches Prinzip (manche nennen es Gott) glauben, die anderen aber nicht.

      Nubok schrieb:

      die katholische Kirche (lässt sich aber auf die meisten anderen Glaubensgemeinschaften übertragen).
      Eben sagtest du noch, dass Gläubige keine homogene Gruppe darstellen und jetzt lässt sich der doch sehr spezielle katholische Glauben auf die meisten anderen Glaubensgemeinschaften übertragen? Interessante Wendung.

      Nubok schrieb:

      Früher war es Lehrmeinung der Kirche, dass sich die Sonne um die Erde dreht - bis dann Kopernikus und Galilei kamen. In meinen Augen haben wir somit experimentell die katholische Kirche widerlegt
      Wir gegen die klingt aber nicht sehr wissenschaftlich. Sollte es nicht besser um die Sache gehen, anstatt um Meinungen von Personen oder Gruppen? Du beziehst dich ja mit ein.
      Die Kirche wurde nicht widerlegt. Sie steht nach wie vor etwa 1 km Luftlinie von hier. Was widerlegt wurde, ist das geozentrische Weltbild, das vorübergehend vom Vatikan offiziell vertreten wurde. Das war niemals das Fundament des christlichen Glaubens, sondern ein Irrtum, der wiederum auf den Fehler, materielle Wissenschaft mit Weltanschauung zu vermischen, zurückzuführen ist. Wahrscheinlich hast du den Thread nicht ganz durchgearbeitet (kostet ja auch etwas Zeit), denn genau das Thema wurde u.a. in diesem Video, das ich oben bereits eingebettet habe, auf anschauliche Weise behandelt.

      Nubok schrieb:

      (mittlerweile haben übrigens viele Religionsgemeinschaften daraus gelernt und lehren nur noch schwer falsifizierbare Aussagen;
      Eine falsifizierbare Aussage ist keine religiöse Aussage im engeren Sinne. Die würde gar nicht in den Bereich des religiösen Glaubens fallen, sondern in den wissenschaftlichen.

      Nubok schrieb:

      obwohl ich persönlich gespannt bin, was in den nächsten Jahrzehnten die Neurowissenschaftler so alles entdecken werden, was Religionen wieder unter Zugzwang setzen wird).
      Wenn du damit auf Experimente mit magnetisch induzierten Gotteserfahrungen anspielst, die gibt es schon längst und sie funktionieren. Man kann auf diese Weise auch Furcht auslösen. Das bedeutet nicht, dass Furcht keine echte Ursache hat. Eher im Gegenteil. Genau so wenig bedeutet es, dass es keinen Gott gibt. Aber das ist ein anderer Thread.

      Nubok schrieb:

      Bei vielem ist sogar wohlbekannt, dass es nicht die letzte Antwort sein kann
      Letzte Antworten suchen viele auch in der Religion. Die Wissenschaft ist in dieser Hinsicht zwar nicht sonderlich ergiebig, aber die aktuellen Erkenntnisse sind auch schon recht nützlich. In der Religion jedoch sucht man nicht nach der Beschaffenheit und Funktionalität des Universums, sondern nach den Sinnfragen. Ein völlig anderes Ziel. Wo Wissenschaftler oder Gläubige meinen, sie müssten sich gegenseitig argumentativ bekämpfen, haben sie diesen Punkt nicht verstanden. Darüber kann ein gläubiger Wissenschaftler nur lachen.

      [IMG:http://img171.imageshack.us/img171/3404/tafelbild.png]

      Nubok schrieb:

      was unterscheidet einen Anhänger einer "üblichen" Religion von einem Gläubigen an das Fliegende Spaghettimonster
      Neben der Tradition (lat. tradere, überliefern) auch der Umfang und die Ernsthaftigkeit des gesamten dogmatischen Gebäudes, die nun wirklich nicht mit den paar flotten Sprüchen des Spaghettimonsterismus zu vergleichen sind, der sich ja selbst als Satire auf die amerikanischen Intelligent-Design-Anhänger versteht. Den Glauben an Gottes Wort muss man im Christentum schon voraussetzen, das sollte man auch als Ungläubiger einsehen, sonst fehlt nämlich jede Diskussionsgrundlage. Worüber man diskutieren und was wissenschaftlich untersucht werden kann, ist natürlich einerseits die Geschichte (z.B. Kreuzigung), aber auch die innere Schlüssigkeit und Logik der Lehre. Vereinfacht gesagt: Wenn jemand eine Aussage über Gott trifft, darf sie nicht im Widerspruch zu den Worten Jesu stehen, sonst entspricht sie nicht dem christlichen Glauben. Wie man religiöse Quellentexte richtig interpretiert, lernt man zum Beispiel im Theologiestudium. Da gibt es praktische Werkzeuge wie die historisch-kritische Methode, um den Fehler der Fundamentalisten zu vermeiden, die Texte wortwörtlich und nach heutigem Wortverständnis auszulegen. Ganz wichtig ist es auch, zu verstehen, dass viele Geschichten in einer Bildersprache geschrieben sind. Es ist eine Aufgabe der Religionswissenschaft, symbolische oder metaphorische Geschichten (z.B. über Wunder) und historische Ereignisse, die in der Bibel ebenfalls nachweislich vorkommen, auseinanderzuhalten.

      Nubok schrieb:

      Und wenn man sich den rasanten wissenschaftlichen Fortschritt des letzten Jahrhunderts anschaut - welchen Grund gibt es für die Annahme, dass Menschen, die vor mindestens 1000 Jahren religiöse Texte aufgeschrieben haben, ernsthaft Bescheid wussten?
      Ich würde die Evangelisten nicht über die Funktionsweise meines Videorecorders befragen, aber die Logik der Trinität wäre sicher ein spannendes Thema. Übrigens, schon mal was von Pythagoras gehört? Der hatte höchstwahrscheinlich überhaupt keine Ahnung von Toastern!

      Nubok schrieb:

      Ich würde beispielsweise definitiv eine moderne Enzyklopädie gegenüber einer mittelalterlichen vorziehen.
      Wenn du auf aktuelles Wissen zurückgreifen willst, ist das besser. Wenn du Mediävistik studierst, kann es in bestimmten Fällen wieder anders aussehen. Aber das ist ein anderes Thema.

      Nubok schrieb:

      wenn man beispielsweise davon ausgeht, dass die in der Bibel beschriebenen Wunder real waren (wo wohl fast alle gläubigen Christen zustimmen würden), heißt das doch definitiv, dass es im Universum irgendeinen Mechanismus gegen oder gegeben haben muss, aufgrund dessen solche Wunder sich manifestieren konnten.
      Das setzt voraus, dass man die Wunder wörtlich versteht und nicht als Metaphern für spirituelle oder ethische Aussagen. Aber zum Mechanismus: Wunder brechen keine Naturgesetze. Gott als Schöpfer des Universums hat natürlich auch die Naturgesetze geschaffen. Ein Wunder aber ist ein außerordentlich erstaunliches Ereignis, das mit dem aktuellen Wissensstand nicht erklärt werden kann. Deshalb wundert man sich. Wunder:

      "etwas, was in seiner Art, durch sein Maß an Vollkommenheit das Gewohnte, Übliche so weit übertrifft, dass es große Bewunderung, großes Staunen erregt" Duden

      "Dabei ist zu beachten, dass die heutige Vorstellung von einem Wunder als "übernatürlich" erst in der Neuzeit entstand; sie setzt Wissen um die Existenz von Naturgesetzen voraus. Für die Menschen in Antike und Mittelalter hingegen, für die bereits Phänomene wie Blitz und Donner unerklärlich waren und die einer scheinbar ungeordneten, regellosen Umwelt gegenüberstanden, war die Grenze zwischen "Möglichem" und "Unmöglichem" weitaus durchlässiger." Wiki

      Hauptsächlich aus dem jüdisch-christlichen Monotheismus heraus hat sich dann auf fruchtbaren Boden fallend eine Weltsicht entwickeln können, die dazu führte, dass man herauszufinden versuchte, nach welchen Gesetzen die Schöpfung geordnet war, also wie Gott die Welt geschaffen hat. So hat sich dann, ausgehend von den ersten Klosteruniversitäten des Abendlandes, nach und nach die Wissenschaft über die ganze Welt verbreitet, die uns heute dazu bewegt, solche Wunder zu hinterfragen.

      Nubok schrieb:

      kommen schnell Ausflüchte a la "in der Bibel ist doch manches nur bildlich gemeint" etc.
      Das ist keine Ausflucht. Es wäre zutiefst dämlich, die Geschichten alle ausschließlich wörtlich zu verstehen. Genau das tun religiöse Fundamentalisten, aber auch atheistische Personen mit unreflektiertem Kirchenhass, weil es ihnen so in den Kram passt. Atheisten mit Verstand sehen sehr schnell ein, dass Simon Petrus nicht wortwörtlich Menschen mit Netzen aus einem See herausgefischt hat.

      Nubok schrieb:

      die Aussagen vieler Religionsgemeinschaften, die wissenschaftlich widerlegbar sind, wurden häufig widerlegt.
      Zweifelsohne. Das ist auch sehr nützlich, weil dadurch besser unterschieden werden kann, was religiös ist und was man nur dafür hielt. Man könnte das mit Fug und Recht als Katharsis bezeichnen.

      Nubok schrieb:

      Jetzt wäre doch eigentlich mal der Zugzwang bei den Religionen, konkrete falsifizierbare Aussagen über das Universum zu treffen...
      Nein, weil das, wie bereits dargelegt, weder Schach noch Tauziehen ist. Wenn eine Religionsgemeinschaft eine falsifizierbare Aussage trifft wie "die große Pyramide ist 138,75 Meter hoch", dann muss sie sich immer der Wissenschaft beugen, wenn eine Messung anderes ergibt. Die messbare Höhe einer Pyramide ist aber keine religiöse Aussage. Religiös kann die Höhe nur werden, wenn die Maße der Pyramide für die Religionsgemeinschaft eine numerologische Bedeutung haben. Zahlen haben in der Bibel nämlich auch eine eigene Semantik und dementsprechend sind die Geschichten zu verstehen, in denen sie vorkommen. Von der jüdischen Kabbalah will ich gar nicht erst zu erzählen anfangen.
      Wo wir sind, da ist immer auch Ägypten.
      ~☤~

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    • "Im 19. Jahrhundert wurde das magisch-religiöse Weltbild durch ein wissenschaftliches abgelöst. Nicht nur der Lauf der Planeten oder die Zusammensetzung der Stoffe, sondern auch die Seele des Menschen und der Fortgang der Geschichte sollten ausschließlich wissenschaftlich begründet werden. Die "Wissenschaftsgläubigkeit", die dabei aufkam, wirkt erst einmal wie ein Widerspruch in sich. Schließlich sollte Glauben ja gerade durch Wissen ersetzt werden. So ging es dabei auch eher um das Vertrauen in wissenschaftliche Autorität, Sprache und Fortschritt. Heute freilich scheint dieser Glaube an die Wissenschaft zu erodieren - nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in den Reihen der Forscher selbst. In Medizin und Life Sciences melden sich Skeptiker zu Wort. Sie kritisieren den "ungebremsten" Fortschritt, die Verwandlung der Welt in ein Experimentierfeld mit ungewissen Ergebnissen - und nicht zuletzt die Abhängigkeit der Wissenschaft von Wirtschaft, Politik und Medien."

      SWR2 - Der Glaube an die Wissenschaft
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      Youtube-Mirror:
      Der Glaube an die Wissenschaft 1/2
      Der Glaube an die Wissenschaft 2/2
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