Come in and burn out

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    • Come in and burn out

      Burnout ist in aller Munde. Es ist schick, weil damit die eigene hohe Leistungsbereitschaft unter Beweis gestellt werden kann. Mit der Modewelle lässt sich gutes Geld verdienen. Burnout komme die Volkswirtschaft teuer zu stehen, warnen dagegen die Gesundheitsexperten.

      Man könnte meinen, wir sind ein Volk der Ausgebrannten. Stressgeplagte Manager, ausgelaugte Lehrer und Pfleger, überarbeitete Ärzte, überforderte IT-ler, von Ängsten aufgefressene Mitarbeiter, die um ihren Arbeitsplatz bangen, depressive Arbeitslose und mehrheitlich Frauen leiden unter Burnout und damit unter einem Syndrom, zu dem es bisher keine eigenständige Krankheit gibt. Denn Burnout verhält sich wie ein Puzzle, in dem auch noch viele Puzzleteile fehlen. Dennoch entwickelt die Zahl der Ausgebrannten seit ein paar Jahren eine beachtliche Eigendynamik. Laut Gesundheitsexperten mit beängstigenden Schäden für die Volkswirtschaft. Die wahren Hintergründe dieser Entwicklung wurden bisher nicht hinreichend erforscht. Die Begründung reicht von veränderter Kodierqualität seitens Ärzten, vermehrtem Arbeitsdruck in den Unternehmen bis zu Folgen von Hartz IV.

      Arbeitsbedingte Überbeanspruchung und Erschöpfung
      In der Fachwelt hat sich der Begriff "Burnout-Syndrom" als Komplex verschiedener Symptome etabliert, erfahren wir aus dem Robert Koch-Institut. Unter Burnout verstehe man ursprünglich die negativen Folgen beruflicher (Über-)Beanspruchung mit mentaler Erschöpfung, innerer Distanzierung und daraus resultierendem Leistungsabfall. Das Institut führt seit 2008 eine groß angelegte Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS) durch, in der auch Daten zu Burnout erhoben werden. Erste Ergebnisse sollen 2013 vorliegen. Der Begriff Burnout wurde erstmals 1974 von dem amerikanischen Psychoanalytiker Herbert Freudenberger eingeführt. Seitdem wurden zahlreiche Phasentheorien entwickelt, wobei die von Maslach et al. die bekannteste ist. Die wohl umfangreichste Studie, das Copenhagen Burnout Inventory, ermittelte 2004 einen arbeitsbedingten Burnout bei 20 Prozent der Studienteilnehmer. Tatsache ist, dass es bisher keine eindeutigen Definitionen für das Burnout-Syndrom gibt. Erschwerend kommt die Komorbidität mit somatischen Erkrankungen wie Rückenschmerzen, Kreislauf-, Darm-, Magensymptome, etc. hinzu. Auch der Missbrauch oder die Abhängigkeit von psychotropen Substanzen kann Folge eines Burnout-Syndroms oder einer psychischen Störung sein, muss aber nicht. Daher ist die Frage, wie groß der volkswirtschaftliche Schaden nun tatsächlich ist, nicht wirklich mit konkreten Zahlen zu beantworten.
      Zahlen psychisch bedingter Erkrankungen steigen
      Ein Indiz für die wachsende Zahl von Burnout-Fällen könnte die Diagnosegruppe Z73 der internationalen Klassifizierung ICD-10 (Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung, u.a. Ausgebranntsein und Zustand totaler Erschöpfung) liefern. Aus einem Dossier der Barmer-GEK geht beispielsweise hervor, dass die Zahl ihrer Versicherten, die in der Vergangenheit mit Z73 diagnostiziert wurden, von 2006 bis 2008 um ein Drittel gestiegen ist. Z73 ist allerdings ungeeignet, wenn die tatsächliche Zahl der Ausgebrannten annähernd ermittelt werden soll. Denn in den Arztpraxen werden überwiegend Einzeldiagnosen wie Angst- oder Schlafstörungen, Depression, etc. gemäß Kapitel V der ICD-10, "Psychische und Verhaltensstörungen", gestellt. Diese können, müssen aber nicht, Folge eines arbeitsbedingten Burnout-Syndroms sein. Feststellbar ist lediglich, dass die Zahl der psychischen und verhaltensgestörten Erkrankungen insgesamt in den letzten Jahren erheblich gestiegen ist. So sind die Krankenhausfälle laut Gesundheitsberichterstattung des Bundes (GBE) zwischen 2000 und 2008 um rund 40 Prozent gestiegen. Im gleichen Zeitraum nahmen die Arbeitsunfähigkeits-Fälle bei AOK-Pflichtversicherten aufgrund Psychischer- und Verhaltensstörungen um 24 Prozent zu. Vermutlich trifft diese Größenordnung auch für alle anderen Krankenkassen je nach Mitglieder-Struktur mehr oder weniger zu. Bei der Barmer-GEK sind beispielsweise 60 Prozent der Versicherten Frauen. Entsprechend höher liegen die Zahlen der psychisch Behandelten.
      Unzureichende Datenbasis für Schätzung der Burnout-Kosten
      Die aktuellsten Zahlen der GBE zu den direkten Krankheitskosten in der ICD-Klassifikation "Psychische und Verhaltensstörungen" stammen aus dem Jahr 2006. Demnach betrugen die Kosten insgesamt rund 26,7 Milliarden Euro und belegten damit Rang drei hinter Krankheiten des Kreislauf- und des Verdauungssystems. Darin enthalten sind Behandlungskosten für Demenz, Alkoholmissbrauch, Depression, etc.. Was davon genau auf das Konto Burnout fällt, wurde statistisch nicht erhoben. Diese Mühe machte sich der BKK Bundesverband. Er spricht zwar nicht explizit von Burnout, sondern ermittelte, Stand 2008, 3 Mrd. Euro (bzw. etwa ein Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben) direkte Kosten arbeitsbedingter Krankheit und Frühberentung in Deutschland. Bei den indirekten Kosten, d.h. Lohnfortzahlung und Renten, kommen sie auf 3,3 Mrd. Euro. Das entsprechende BKK-Themendossier verweist allerdings auch auf die unzureichende Datenbasis und die Notwendigkeit der Verbesserung der Schätzmethodik. "An der Ermittlung der Kosten von Erkrankungen, die durch Arbeit verursacht sind, besteht ein beträchtliches wissenschaftliches und öffentliches Interesse", so der Bundesverband.

      Krankenkassen sind alarmiert

      Die Barmer-GEK und mit ihr alle anderen Versicherungen zeigen sich jedenfalls alarmiert. In ihrem Gesundheitsreport 2009 forderte die Barmer-GEK Politik und Unternehmen zum Handeln auf. Die Dringlichkeit wird mit beachtlichen Zahlen belegt: In den letzten fünf Jahren habe sich bei ihren Versicherten der Anteil der Diagnosegruppe "Psychische und Verhaltensstörungen" an den Fehlzeiten um 51 Prozent erhöht und sei damit auf Rang 2 nach den Muskel- Skeletterkrankungen mit einer durchschnittlichen Dauer von 39 Tagen gerückt. Das Krankengeld, das die gesetzlichen Kassen nach Ablauf von sechs Wochen zahlen, habe sich von 2006 bis 2008 von 153 Millionen Euro auf 186 Millionen Euro erhöht, heißt es weiterhin im Report. In diesem Jahr startete die Barmer-GEK ein Workshop-Programm, das Unternehmen und Beschäftigte bei der Burnout-Prävention unterstützen soll. Die BKK ihrerseits koordiniert die Kampagne "mensch und arbeit im einklang. move europe“, deren Schwerpunkt 2009 und 2010 auf der Förderung psychischer Gesundheit liegt.
      Kostenschätzung aus Sicht des Arbeitsschutzes
      Ganz andere Zahlen nennt die Universität Trier. Unter der Leitung von Psychobiologe Professor Dr. Dirk Hellhammer entwickelte ein Team eine Methode, mit der die Ursachen von Stress, Depression und Burnout im frühen Stadium diagnostiziert werden können. Das so genannte "Neuropattern-Verfahren" soll zu einer Senkung der Behandlungskosten beitragen. Zum volkswirtschaftlichen Schaden bedingt durch Stress heißt es: "Rund 65 Milliarden Euro kosten jährlich Arztbesuche, Medikamente und Fehlzeiten am Arbeitsplatz aufgrund von Stress und Depressionen." Hellhammer beruft sich auf Recherchen aus seinem Institut und auf Zahlen der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. "Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin schätzt die volkswirtschaftlichen Produktionsausfälle auf insgesamt 43 Milliarden Euro bzw. den Ausfall an Bruttowertschöpfung auf 78 Milliarden Euro", fügt er hinzu. Und was könnte mit dem Neuropattern (NP)-Test aus seiner Sicht eingespart werden? "NP kostet ca. 400 €, also weniger als ein durchschnittlicher AU-Tag. Wir denken, dass wir die Behandlungsdauer deutlich verkürzen können", so Hellmann.

      Bossing, Boreout und Cyber-Bullying

      Und wohin geht die Entwichklung? Studierende des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften und Soziale Arbeit der Hochschule Darmstadt setzten sich mit verschiedenen Formen psychosozialer Belastungen am Arbeitsplatz auseinander. Daraus entstand die Website "Stoppt die Mobber". Ausgangspunkt waren zunächst Stress und Burnout als Folge übermäßigen Engagements. "Schnell wurde uns klar, dass wir unser Themenspektrum erweitern müssen", so Projektleiterin und Psychologin Dr. Dr. Annemarie Rettenwander. Bossing, Boreout und Cyber-Bullying heißen die neuen psychosozialen Belastungen. Ob diese sich genauso bei Wirtschaft und Krankenkassen niederschlagen werden, bleibt abzuwarten.