Die Erbgutschleicher

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    • Die Erbgutschleicher

      Rund ein Fünftel aller menschlichen Gene steht unter besonderem Schutz. Patente verhindern in vielen Fällen eine vielfältige Diagnostik und manchmal sogar die Forschung. Ein Urteil eines New Yorker Gerichts könnte diese Mauer einreißen.

      Der Humangenetiker praktiziert in New York. Er erzählt, dass viele Frauen zu ihm kommen, die wissen wollen, ob sie ein höheres Risiko für Brustkrebs tragen als andere. Denn in ihrer Verwandtschaft habe es einige Fälle dieser Tumorerkrankung gegeben. Einer der wichtigsten Risiko-Indikatoren für das Mammakarzinom sind Mutationen zweier Gene: BRCA-1 und -2. Die veränderte DNA-Sequenz sagt ein Krebsrisiko von rund 80 Prozent voraus.
      Klage gegen das Test-Monopol
      Wer aber von Harry Ostrer eine solche Auskunft haben möchte, muss rund 3000 Dollar für den Test bezahlen. Das Recht, die Blutprobe auf diesen Marker zu untersuchen, hat nur ein einziges Labor in den Vereinigten Staaten. Zweitmeinung oder Gegen-Check der Ergebnisse der DNA-Analyse - Fehlanzeige. Viele der nicht krankenversicherten Amerikaner können diese Summe nicht aufbringen. Das brachte Harry Ostrer dazu, gegen das Patent auf die BRCA-Gene zu klagen. Die Bürgerrechtsorganisation ACLU und die Stiftung für öffentliche Patente (PubPat) unterstützten dabei seine Anstrengungen gegen den Lizenzinhaber Myriad Genetics aus dem US-Bundesstaat Utah.

      Ein New Yorker District-Gericht gab der Klage nun Recht. Richter Robert Sweet war der Meinung, dass natürliche DNA-Sequenzen, an deren Funktion nichts geändert wurde, nicht patentierbar seien. Damit wäre der Weg bei der Untersuchung auf das vererbliche Brustkrebsrisiko für die Konkurrenz frei. Doch bevor jedoch die obersten Richter der USA nicht entschieden haben - Myriad Genetics kündigte an, in Revision zu gehen - ist die Sache noch nicht ausgestanden.
      Jeder Test ist Teil einer großen Studie
      Auch in Europa hält die Firma modifizierte Patente auf die entsprechenden Gene. In Deutschland gab sie jedoch dem Proteststurm von Ärzten, Genetikern und Greenpeace-Aktivisten nach. Die Rechte wurden eingeschränkt. In Brustzentren analysieren die Labors den genetischen Status der Frauen, ohne dass dafür Lizenzgebühren an Myriad Genetics fließen. Frauen nehmen dann automatisch an einer großen Studie teil. „Das Ganze“, so erklärt Denise Horn von der Berliner Charité in einem Deutschlandfunk-Interview, „ist in ein Forschungsprojekt eingebunden.“ Die Kosten von etwa 1800 Euro tragen die Krankenkassen.
      2004 setzte Deutschland eine EU-Richtlinie um und schränkte die Rechte auf alle Nutzungen bestimmter DNA-Sequenzen deutlich ein. Lediglich die Funktion eines Gens, nicht aber das Gen selber darf patentiert werden. Eine Broschüre des Deutschen Patent- und Markenamts aus dem Jahr 2009 beschreibt den Anspruch auf den Gen-Nutzen folgendermaßen: „Damit ein Gen wirtschaftlich zum Beispiel zur Herstellung eines Arzneimittels genutzt werden kann, muss vielmehr erst ein geeigneter Teilabschnitt dieses Gens aus dem Organismus isoliert werden. Das ist technisch schwierig, dauert lange und kostet viel Geld – und soll deshalb mit Patentschutz belohnt werden können.“
      Schutz für jedes fünfte Gen
      Es sind beileibe nicht nur einige wenige wichtige Gene, die unter Schutz stehen und in der Diagnostik eine wichtige Rolle spielen. Das New England Journal schätzt, dass zur Zeit mehr als 4000 Gene mit Brief und Siegel bei den Patentämtern der Welt eingetragen sind. Das ist etwa jedes fünfte Gen unserer Erbmasse. Und es sind nicht nur Biotech- und Pharmafirmen, die daraus Gewinn schlagen wollen. Meist sind es akademische Forschungsinstitute, die die Sequenz mit öffentlichen Geldern aufgeklärt und damit zum verwertbaren Gut gemacht haben.

      Nicht immer ist das Monopol auf die DNA-Sequenz schädlich. Charles Weissman und seine Arbeitsgruppe isolierten an der Universität Zürich 1979 als Erste das Gen für alpha-Interferon. Die Isolierung und Produktion in Bakterien meldeten die Forscher zum Patent an. Interferon zeigte eine gute Wirkung etwa bei viraler Hepatitis, aber auch bei einigen Tumoren. Mit den Lizenzgebühren flossen etwa 50 Millionen Schweizer Franken an die Universität. Ein Betrag, der die Finanzierung der medizinischen Forschung deutlich erleichterte.
      Lizenzen bestimmen den Wettbewerb
      Ob der Schutz vor Nach-Kochern die Forschung behindert, die Preise in die Höhe treibt und Patienten und Kassen in Finanznöte, hängt nicht nur am Patentschutz. Denn nicht mit jedem Patent ist eine exklusive Lizenz zur Nutzung verbunden. Gegenbeispiel: Mukoviszidose. Da vergab die University of Michigan als Patentinhaberin die Lizenzen zur Nutzung an viele verschiedene Unternehmen und Institutionen. In der Folge entwickelte sich ein Wettbewerb vieler privater und öffentlicher Labore. Auch die Forschung profitierte von der großzügigen Regelung. Im CFTR-Gen wurden in den letzten Jahren mehr als 1000 verschiedene Mutationen entdeckt, die die Wissenschaft derzeit auf ihre Bedeutung überprüft.
      Denise Horn beschreibt im Interview die Situation in Deutschland: „Ich kenne aus meiner täglichen Arbeit nicht die Einschränkung, dass wir bei der Diagnostik von genetischen Erkrankungen, und das sind ja viele tausend Gene, die wir analysieren lassen in verschiedenen Laboren, dass wir da Einschränkungen haben durch Patentrechte.“ Auch in Kanada sind etwa die BRCA-Gene nicht geschützt - und der Test deutlich preiswerter als im Nachbarstaat.

      Unbezahlbare Gendiagnostik oder freier Markt?

      Betrifft uns die ganze Problematik also gar nicht? Wir sollten dennoch mit Interesse den weiteren Verlauf der Streitsache um Mayriad Genetics und deren Gentest beobachten. Immerhin sind nach derzeitigen Stand der Forschung rund 1600 Gene mit Krankheiten assoziiert. Vielleicht schon in naher Zukunft könnte der Scan über das gesamte Genom zum Repertoire großer Diagnostik-Einrichtungen gehören. Wären für jedes überprüfte Gen Lizenzgebühren fällig, könnte die Verbreitung solcher Tests allein schon an der finanziellen Hürde scheitern. Immerhin, so fanden Forscher von der Duke University in North Carolina heraus, sind einzelne Abschnitte der geschützten BRCA-Sequenz über das gesamte Genom verteilt und finden sich in 80 Prozent aller Gensequenzen, die in der Datenbank der amerikanischen Gesundheitsbehörde NIH hinterlegt sind.