Migränestopp aus Hollywood

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    • Migränestopp aus Hollywood

      Es ist so was wie Nivea-Creme für Reiche: Das Nervengift Botulinumtoxin hat es als Faltenkiller zum Blockbuster gebracht. Ein weiterer Umsatzschub steht bevor: Botulinumtoxin wurde in Großbritannien jetzt für die prophylaktische Therapie bei Migräne zugelassen.

      Der Aufstieg des Nervengifts Botulinumtoxin in den letzten Jahren ist eine der erstaunlichsten Geschichten der modernen Pharmakotherapie. Anders als oft angenommen, kam Botulinumtoxin keineswegs als Faltenkiller auf die Welt. Ursprünglich eingesetzt wurde es als eine Art Orphan Drug bei Patienten mit neurologischen Erkrankungen, insbesondere bei Erkrankungen, die mit spastischen Muskelkontraktionen einhergingen.
      Aus kleinen Verhältnissen: Erst Orphan Drug, dann internationaler Blockbuster
      In dieser Nische blieb das Medikament, wohl auch deswegen, weil es die halbe Welt aus dem Biologieunterricht an der Schule als eines der stärksten Nervengifte überhaupt kennt. Dass aus einem solchen „Teufelszeug“ ein Arzneimittel für den Massengebrauch werden könnte, schien komplett undenkbar. Es brauchte einen Managementwechsel bei dem US-Hersteller von Botulinumtoxin, Allergan, um diese Wahrnehmung zu ändern. Die Entwicklung der Substanz in Richtung neuer Einsatzgebiete wurde vorangetrieben. Das Ergebnis war die Zulassung von Botulinum-Injektionen zur Beseitigung oder Verringerung von Faltenbildung an der Stirn. Die Killer-Indikation sind die so genannten Glabella-Falten. Das sind vertikale Stirnfalten, die den „Träger“ etwas zornig wirken lassen, wenn man das denn so sehen will. Sie können besonders gut „weggespritzt“ werden, zumindest für jene paar Monate, während derer die Wirkung einer Botulinumtoxin-Kur anhält. Die Skepsis, die der neuen Therapie entgegen gebracht wurde, verschwand mit jedem Schauspieler, der sich öffentlich zu seinen Botulinumtoxin-Injektionen bekannte. Von Hollywood aus eroberte „Botox“ und mit ihm das Konzept einer „ästhetischen Medizin“ als Massenphänomen den Globus. Mittlerweile bietet beispielsweise das Reiseunternehmen TUI in Kooperation mit einer Klinikkette Urlaubsreisen an, die der, nun ja, Performance-Optimierung dienen sollen – Botulinumtoxin-Injektionen inklusive.
      Einmal hier, einmal da
      Das Faszinierende an Botulinumtoxin ist, dass es den Kontakt zur Basis, sprich zur klinischen Medizin, behalten hat. Nicht nur wird es auch weiterhin in der Neurologie zur Behandlung spastischer Paresen eingesetzt. Es erobert sich sogar weitere Indikationsgebiete. Aktuelles Beispiel ist die Prophylaxe von Migräne-Anfällen bei Patienten mit schwerer Migräne. In Großbritannien wurde Botulinumtoxin dafür am 9. Juli die Zulassung erteilt. Der Antrag ist auch in den USA und in anderen europäischen Ländern eingereicht. Weitere Migräne-Zulassungen in anderen Ländern, auch Deutschland, werden für das dritte Quartal 2010 erwartet.

      Die Entscheidung der britischen Zulassungsbehörden fiel nicht aus heiterem Himmel. Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von gut gemachten Studien, in denen Botulinumtoxin bei Migräne-Patienten untersucht wurde. Zur Migräne-Therapie wird es in einer Dosis, die sechs bis sieben Mal höher liegt als bei der Faltentherapie, in die Kopf- und Nackenmuskulatur injiziert, und zwar an genau festgelegten Punkten rings um den Kopf herum. Die für die britische Zulassung entscheidenden Studien kommen aus dem Zulassungsprogramm PREEMPT. Das steht für „Phase III Research Evaluating Migraine Prophylaxis Therapy“. PREEMPT umfasste zwei Phase III-Studien mit insgesamt 1384 Erwachsenen. Eingeschlossen wurden Patienten mit bekannt chronischer Migräne, die an 15 der 28 Tage vor Studienbeginn unter Migräne-Kopfschmerz gelitten hatten. Es handelte sich also um schwer kranke Patienten, nicht um durchschnittliche Migräne-Patienten. Appliziert wurden 31 Injektionen mit Botulinumtoxin oder Placebo in sieben verschiedene Muskeln. Bis zu acht Nachinjektionen waren erlaubt. Innerhalb der 24wächigen Doppelblindphase gab es zwei derartige Zyklen. Drei weitere folgten in der offenen Studienphase.
      Jeder achte profitiert deutlich
      Wie nicht anders zu erwarten, konnte auch Botulinumtoxin die Migräne nicht heilen. Aber der Effekt der Verum-Injektionen war signifikant größer als der Effekt der Placebo-Injektionen, und zwar sowohl auf den Schmerz als auch auf die Lebensqualität. Nach 24 Wochen gab es bei 47,1 Prozent der Patienten in der Botulinumtoxin-Gruppe eine mindestens 50prozentige Verringerung der Zahl der Kopfschmerztage. In der Placebo-Gruppe waren es 35,1 Prozent, eine absolute Differenz von zwölf Prozent, entsprechend einer Number Needed to Treat von 8,5. Bei der Lebensqualität gab es signifikante Vorteile bei den beiden Migräne-Scores MSQ und HIT6. Der Preis, der auf der Verträglichkeitsseite bezahlt werden musste, war moderat: 1,2 Prozent der Patienten brachen im Placebo-Arm die Therapie wegen unerwünschter Wirkungen ab. 3,8 Prozent waren es im Verum-Arm, eine absolute Differenz von 2,6 Prozent.

      Abzuwarten bleibt nun, wie sich Botulinumtoxin in der Welt der realen Versorgung schlägt. Wird es angenommen? Wird der Injektionsmarathon toleriert? Vertreter der Patientenlobby in Großbritannien haben die neue Therapieoption jedenfalls bereits begrüßt, siehe http://www.migrainetrust.org/