Siegt am Ende doch die Vernunft, auch in den Vorstandsetagen von E.on? Es hat fast den Anschein. Was Anhänger des Wettbewerbs seit Jahren forderten, wozu aber weder E.on noch die anderen drei Markt beherrschenden deutschen Stromkonzerne bisher bereit waren, das scheint plötzlich möglich zu werden: Der Düsseldorfer Marktführer ist bereit, sich von seinem Stromnetz zu trennen und obendrein von ein paar Kraftwerken. Die öffentlich und scheinbar freiwillig erklärte Bereitschaft zu diesen Schritten hat E.ons Image genutzt und dem Konzern einen Punktsieg verschafft.
Einen vorübergehenden allerdings nur. Denn es dürfte sich rasch herumsprechen, dass E.on in Wirklichkeit getrieben worden ist und dass die jetzt verkündeten Maßnahmen aus Sicht des Konzerns nichts weiter als das kleinere Übel sind.
Tatsächlich sind offenbar die Erkenntnisse deutscher und europäischer Wettbewerbshüter über Kartellverstöße der hiesigen Stromkonzerne dermaßen überwältigend, dass ihnen möglicherweise sogar Milliardenstrafen ins Haus stünden. Ein Papier des Bundeskartellamtes, das vor einigen Monaten auf mysteriöse Weise in die Öffentlichkeit gelangte, legt jedenfalls nahe, dass die Unternehmen sich jahrelang abgesprochen, die Märkte aufgeteilt und womöglich auch die Preise manipuliert haben. Solch schwere Verstöße haben schwere Strafen zur Folge. Diese vermeidet, wer mit den Kartellbehörden kooperiert. Nichts anderes hat E.on getan.
Der Schritt entbehrt nicht einmal betriebswirtschaftlicher Logik. Stromnetze werfen zwar auch heute noch Rendite ab; aber die Aufsicht durch die Bundesnetzagentur hat die Rendite zweifellos geschmälert. Wer sein Kapital anderswo investiert, kann deshalb kurzfristig höhere Gewinne erwirtschaften.
Dass E.on sich nicht nur von seinem Netz trennen, sondern obendrein einige seiner Kraftwerke gegen Stromfabriken im Ausland tauschen will, entspricht im Übrigen einer Strategie, die das Unternehmen schon seit längerer Zeit verfolgt. Nach der Devise: Risikostreuung.
E.on hat sich zu den jetzt angekündigten Maßnahmen nicht durchgerungen, weil die Konzernmanager ihr Herz für die Verbraucher entdeckt hätten. Trotzdem sind die Stromverbraucher die Nutznießer. Schließlich wird jetzt mehr Wettbewerb möglich. Und schließlich nutzt mehr Wettbewerb den Verbrauchern.
Zwei Dinge sind in den nächsten Wochen von Interesse: Wie verhält sich E.ons Konkurrenz? Sind auch RWE, EnBW und Vattenfall zum Verkauf ihrer Netze bereit? Und: Nutzt die Bundesregierung die Chance, die sich ihr gerade eröffnet? Sie könnte nämlich jetzt, fast genau zehn Jahre nach Beginn der Liberalisierung auf dem Strommarkt dafür sorgen, dass dort endlich tatsächlich Wettbewerb einkehrt.
Die Regierung müsste dafür nur mit einigen Tabus brechen. Dazu gehört die Idee, das Stromnetz dürfe unter gar keinen Umständen in staatliche Hand geraten. Falsch. Ebenso wie das Schienennetz der Bahn in staatlicher Hand am besten aufgehoben ist, was sogar per Grundgesetz verbrieft ist, ist staatliches Eigentum am Stromnetz womöglich der beste Kompromiss zwischen Wettbewerbsförderlichkeit und Versorgungssicherheit. Finanzminister Peer Steinbrück sollte deshalb genau überlegen, bevor er das Ansinnen, das Stromnetz zu kaufen, weit von sich weist während er Steuergeld für die Rettung der IKB Bank ausgibt. Selbst bewirtschaften müsste der Staat das Netz ja nicht.
Quelle: Die Zeit