Michaela wohnte auf der anderen Seite der Stadt, ein langer Weg und ich besuchte sie häufig. Beim ersten Besuch machten wir einen Spaziergang durch ihren Stadtteil. Da gab es einen Jungen, der sie zum persönlichen Eigentum erklärt hatte. Sie wollte jetzt mit ihm Schluß machen, denn schließlich hatte sie sich jetzt selbst einen Freund ausgesucht. Ich wartete draußen vor dem Wohnblock, während sie hoch ging um mit ihm zu reden. Es dauerte ziemlich lange. Als sie endlich wieder rauskam, gingen wir zu ihrer Wohnung zurück. Sie erzählte mir erleichtert, dass er zugestimmt habe, aber er hatte sie auch gezwungen sich ihm "zum Abschied" noch einmal hinzugeben, "- gerade eben im Keller unter der Treppe!". Ich nahm das mit Verwunderung auf. Wie gingen die Jungs mit den Mädchen um?
Es folgten viele Nachmittage mit langen Gesprächen. Michaela war verzweifelt. Sie wollte Selbstmord begehen. Sie wußte wo der Vater seine Dienstwaffe aufbewahrte. Michaela hatte im vorherigen Sommer, zwölfjährig, in einem privaten Fernfahrerbordell gearbeitet. Getrieben von kindlicher Neugier gepaart mit Frühreife, gelockt von Versprechungen auf Süßigkeiten und Taschengeld war sie einem Mann in die Wohnung gefolgt. Nach dem ersten sexuellen Kontakt hatte der ihr erklärt, dass sie jetzt eine Hure wäre und wenn sie irgendjemand etwas davon erzählen würde, käme sie in ein Erziehungheim und würde von ihren Eltern getrennt. So ging sie jeden Nachmittag hin. Ein Bekannter des Vater hatte sie dort raus geholt. Er erklärte ihr, dass die Männer in den Knast wandern würden, wenn sie irgendetwas erzählen würde. Und um einen Skandal zu verhindern, machte er die Sache nicht publik und Michaela blieb mit ihren Erlebnissen allein. Das war Ende 1972.
Ich redete mit Engelsgeduld auf sie ein. Ich erzählte ihr alles, was ich von meinen Eltern über Liebe und Partnerschaft erfahren hatte. Ich sprach von Verantwortung und Miteinander, auch von Liebe. Manchmal bot sie sich mir an wie eine rollige Katze und ich wußte nicht einmal theoretisch was ich tuen sollte. Ich wagte es auch nicht sie mit meinen langsam erwachenden Trieben zu belästigen. Und Michaela fand es schön, so einen wohl erzogenen, rücksichtsvollen Freund zu haben.
Die Monate gingen dahin und die Unterschiede in unserer Entwicklung wurden immer deutlicher. Nach einem Jahr trennten wir uns im gegenseitigen Einvernehmen und versprachen uns Freunde zu bleiben. Alle 3 bis 4 Monate rief Michaela an und wir verabredeten uns. Ich nahm ihr die Beichte ab und sie erzählte über ihre Jungengeschichten. Ich stärkte ihr den Rücken, erklärte ihr, das sie nicht über sich bestimmen lassen dürfte, dass dies nichts mit Liebe zu tun hätte, wenn der anderen einem den Willen auf zwingt. Ich wurde ihre beste Freundin. Diese Treffen waren mir eine Verpflichtung, auch als ich später mit anderen Mädchen zusammen war und wir trafen uns bis wir beide 18 waren.
Beim letzten Treffen erzählte sie mir freudig, sie hätte den Jungen aus den Nachbarhaus kennen gelernt - diesen Blödmann, der ihr all die Jahre Schimpfwörter hinterher gerufen hatte und sie im Winter immer mit Schneebällen bewarf. Sie hatte sich richtig verliebt! Wenige Jahre später traf ich sie zum letzten Mal in der Stadt und sie erzählte mir, dass sie ihn geheirate hatte und nun im Heimatdorf ihrer Mutter mit ihm zusammen lebte. Und so verschwand sie aus meinem Leben.
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zu Ende denken
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