Enteignung ist ein Begriff, den die westliche Hemisphäre vor allem
mit dem Kommunismus in Verbindung bringt. Nach dem 2. Weltkrieg
wurden beispielsweise in der DDR durch eine Bodenreform
Großgrundbesitz in Staatseigentum überführt. Daß es auch in den
sogenannten demokratischen Ländern Enteignungen gab und gibt wird
selten thematisiert, doch Aktienbesitzer kennen den Begriff des Sqeeze out,
bei dem Kleinstaktionäre durch Großaktionäre enteignet werden können.
Doch Enteignungen ganz anderer Größenordnungen stehen jetzt
ausgerechnet in den Heimatländern der neoliberalen Wirtschaftsideologie
bevor und Anlaß dafür gibt die Kreditkrise.
Spiegel-Online schreibt:
Die Krise an den Finanzmärkten geht in die zweite Runde
- und die könnte schlimmer werden als die erste. In Großbritannien
fürchten Zehntausende, in den USA Hunderttausende Familien die
Zwangsversteigerung.
Hunderttausende - man muß sich das auf der Zunge zergehen lassen -
100.000de Häuser, die von Menschen bewohnt werden, stehen von der
Zwangsversteigerung. Die Bewohner können die Raten der mit
Hypothekenkrediten gekauften Häuser nicht mehr bezahlen und die
kreditgebenden Banken fordern ihre vertraglich vereinbarten Tribute.
Die Versteigerungen bedeuten vor allem eines: Eigentumsübertragungen in Größenordnungen!
Verkaufen müssen hunderttausende Kleine, kaufen werden natürlich vor
allem die Großen - denn wer hat das Geld, um sich die Grundstücke samt
Immobilien unter den Nagel zu reißen? Ganz sicher nicht die
verschuldete Unter- und Mittelschicht.
Nun kann man argumentieren: Vertrag ist Vertrag! Wer sich Geld
leiht, muß dieses plus vereinbarterter Zinsen entsprechend tilgen, wer
nicht tilgt, muß anderweitig zahlen. In der individuellen Sichtweise
mag dies stimmen, aber gilt dies auch aus gesellschaftlicher Sicht? Die
Leistung des Hausbaus wurde längst erbracht, die Bauleute und
Architekten sind längst entlohnt und die Häuser stehen da und werden
genutzt und bewohnt. Wem entsteht ein Schaden, wenn dies weiterhin
passiert?
Vielmehr ist es doch so, daß bei den Zwangsversteigerungen die
Häuser samt Grundstücken zunehmend in die Hände vermögender Menschen
geraten werden, die ganz sicher nicht noch ein Haus bewohnen werden, sondern es lediglich besitzen
wollen. Besitzen, um von aktuellen oder künftigen Bewohnern
Mietzahlungen zu generieren, die ihr Vermögen steigern werden - und für
welches die Bewohner arbeiten müssen. Die Mietzahlungen sind in diesem
Fall nichts anderes als der Tribut für die Nutzung eines Hauses, daß
der Besitzer eh nicht selbst nutzen könnte - ein Tribut vergleichbar
mit dem Zehnt aus dem Feudalismus. Welche Leistung erbringt der
künftige Hausbesitzer im Gegenzug? Keine! Denn er hat das Haus nicht
gebaut, das taten die Architekten und Bauleute, er hat nur die
Zwangssituation der Kreditkrise genutzt, um sich zu bereichern. Mit dem
Ergebnis, daß hunderttausende Menschen quasi in die Leibeigenschaft
verbannt werden, denn mit dem Zwangsverkauf ihrer Häuser werden sie
ihre Schulden noch nicht los sein, und so lange sie Schulden haben
müssen sie ihre Lebenszeit dafür aufwenden, den (durch das Banksystem
verschleierten Gläubiger) zu bedienen, indem sie quasi für ihn arbeiten
gehen. Ein Hauch von moderner Sklaverei steckt in diesem Mechanismus.
Zwei Fragen tun sich auf:
[list type=decimal][*]Wie reagieren hunderttausende auf die Aussicht, ihr Leben ohne Haus und in Sklaverei zu verbringen?[*]Wann kommt der Mechanismus auf breiter Front auch nach Europa, denn
auch hier werden steigende Zinsen Hypotheken und andere Kredite teurer
machen und Träger bis zur Enteignung ruinieren?[/list]
Die Vollkommenheit ist unerreichbar. Gewiß ist die Vollkommenheit unerreichbar. Sie hat nur den Sinn, deinen Weg wie ein Stern zu leiten. Sie ist Richtung und Streben auf etwas hin.
- Antoine de Saint-Exupéry, Die Stadt in der Wüste
- Antoine de Saint-Exupéry, Die Stadt in der Wüste