( Der wichtigste und umstrittenste Film der neunziger Jahre !- Zitat, Die Welt)
Regie: David Fincher,
Besetzung: Brad Pitt, Edward Norton, Helen Bonham Carter, Meatloaf
Fight Club ist der neue Film des amerikanischen Regisseurs David Fincher (36) . Fincher gehört zur jungen Garde, die sich ihre Sporen mit dem Dreh von Werbespots und Musikclips verdient haben. Seine Filme haben in den letzten Jahren Kultstatus erreicht, als herausragend gilt vor allem Seven, ein düsterer Thriller über einen Mörder, der sich seine Opfer nach dem Motiv der 7 Todsünden aussucht. Die Filme des Kaliforniers bestechen durch eine visuelle Suggestivkraft, der sich kaum einer entziehen kann und einen spannenden Erzählrhythmus. Bevorzugte Dreh-Locations sind abgefuckte Hinterhofquartiere anonymer amerikanischer Grosstädte. So unheimlich und verrucht, dass man sie selbst bei Tag meiden möchte. Die Sonne scheint nie, leuchtende fröhliche Farben gehören nicht zum Repertoire Finchers. Die Farben sind kühl und verwaschen, meistens ist es sowieso Nacht, einige Graustreifen erhellen die Gesichter. Wenn es nicht gerade regnet, so ist doch der Asphalt noch nass, in den Wasserlachen spiegeln sich die Neonreklamen einiger heruntergekommenen Bars. Jeder Anflug von Geborgenheit und Wärme wird sorgfältig vermieden, das Leben ist kalt und hart, verdammt hart sogar. Die ominösen Four-Letter-Words fallen dutzendweise, bis sie jede Anrüchigkeit verloren haben und zum Allgemeingut einer verlorenen Generation werden. Die Filme haben eine durchgehende nihilistische Grundhaltung, euphemistische Floskeln und Tempotücherhappyends sind dem Regisseur fremd. Das Kinoerlebnis wird mit Garantie nicht zum Feel-Good-Event, nachdem man verliebt kuscheln und die ganze Welt umarmen möchte. Dafür entfalten die Filme eine Tiefenwirkung, die tagelang andauert und zum Denken anregt. Kontrovers in ihren Aussagen sind sie immer und mit Bestimmtheit laufen übereifrige Moralapostel Amok und beschwören die gnadenlose Brutalität als Zeichen endzeitlicher Dekadenz.
Aber Fight Club ist ein unglaublich intelligenter Streifen, zwar düster und destruktiv wie gewohnt von diesem Regisseur, aber Fincher erscheint als säkularer Prophet, der Bilder einer apokalyptischen Welt ohne Gott an die Wand wirft. Bilder einer untergehenden Welt ohne Hoffnung auf eine wirkliche Besserung. Es gibt keine gesunden Beziehungen mehr, alles ist gestört und pervertiert. Sicher, die Welt ist nicht so düster und grausam wie sie uns Fincher präsentiert, aber er hat ein Sensorium für zukünftige Entwicklungen. Ein Zeitgeistkritiker, der brillant analysiert und den meisten seiner Regiekollegen darin um Längen voraus ist; sehr genau und sensibel beobachtet und danach seine Visionen auf Zelluloid bannt. Leider bleibt er bei seiner pessimistischen Darstellung stehen und weist keinen Ausweg aus dem Inferno. Die Konsequenzen überlässt er dem Zuschauer, so bleiben wir zwar vom moralinsauren Zeigefinger verschont, der sich mit billigen Antworten zufrieden gibt, aber ein flaues Gefühl im Magen bleibt zurück. Möge uns Gott vor solch einer Welt verschonen, wenn wir nicht schon mittendrin leben. Who knows ?
Fight Club ist ein Film, der auf mehreren Ebenen greift und funktioniert, das ist das faszinierende, einmal weg von diesem eindimensionalen Hollywoodkitsch, der genau 120 Minuten fade Ablenkung vom Alltag bietet und nachher in der Bedeutungslosigkeit versinkt. Einerseits übt er scharfe und tiefgründige Kritik an unserer Konsumgesellschaft, die ihren Rachen stets weiter öffnet, uns verschlingt, gefangennimmt und doch nie befriedigt. Du bist nicht dein Job! Du bist nicht dein Geld auf der Bank! Und du bist schon gar nicht jene trendigen Konsumgüter, die du dir täglich reinziehst. Der Mann bleibt leer und einsam in seiner Designerwohnung. Statt Pornohefte konsumiert er IKEA-Prospekte. Visuell sind jene Szenen brillant umgesetzt, der Hauptdarsteller erzählt off-screen von seiner Alltagsodyssee, die ihn immer tiefer ins Elend treibt. Unterstützt von einem treibenden Sound aus Noise, Industrial und TripHop-Elementen, der hervorragend eine Stimmung, passend zur Jahrtausendwende verbreitet . Um sich von seiner Insomnia zu befreien, holt sich Norton die nötigen emotionalen Kicks in den Gefühlsbädern der Selbsthilfegruppen. Menschliche Tragödien lösen die Gefühlsstarre, Weinen befreit. Die Bedeutung der Selbsthilfegruppe wird gnadenlos pervertiert. Die Besuche seien billiger als Kino und man bekomme gratis Kaffee und Kuchen, meint Marla. Das Unglück anderer wird zum eigenen Seelenstimulator. Der Besuch solcher Gruppen artet zur Sucht aus, denn das alltägliche Leben bleibt kalt und kennt solche emotionalen Höhenflüge nicht. Aber der Mensch gewöhnt sich an alles...nichts, nichts mehr gewinnt Bedeutung, nichts erinnert die unruhige Seele, dass sie nicht schon gestorben ist, sondern noch immer lebt. Selbst der rührendste Seelenstrip eines Todkranken erfüllt mit der Zeit seinen Zweck nicht mehr... Was bleibt ist der Schmerz. Wenn alles abstumpft, dann verschafft nur noch Schmerz für kurze Zeit das Gefühl, Mensch zu sein... darum schlagen sich Männer, darum zermanschen sich Männer. Jeder Faustschlag ist ein Lebenszeichen: ich leide, darum lebe ich. Ist darum Fincher ein Extremist, ein brutalitätsgeiler Macho, der sich an halbnackten Männerkörpern ergötzt und so seine homoerotischen Phantasie befriedigt. Nein, ich denke diese Sicht ist zu einfach und wird der Komplexität des Filmes nicht gerecht. Denn manchmal bringt das Stilmittel der Übersteigerung Klarheit. Die Extremform schärft den Blick für das Archetypische, für die dunklen Nischen des unbeachteten Kleinbürgerlebens. Jeder kennt diese Erfahrung, aber die wenigsten können sie angemessen artikulieren. Das ist das Verdienst Finchers. Nur symbolische Hinweise hätten diese Erkenntnis nicht mit der Klarheit ans Licht gebracht, wie sie nun mit den aggressiven Kampfszenen über den Zuschauer hereinbricht.
Denn ohne Zweifel intensiviert Schmerz das Lebensgefühl, sei er physischer oder seelischer Art. Meine eigene Erfahrung bestätigt diese Sicht. Im Schmerz schleichen die Stunden dahin, das Hier und Jetzt wird bewusster wahrgenommen. Der Mensch ist im Zustand des Schmerzes offen und sehr zugänglich für existentielle Lebenserfahrungen. Im Schmerz wird das Eingreifen Gottes sehnlicher erwünscht als auf den Glückswellen des Lebens. Schmerz stellt vielleicht das stärkste emotionale Empfinden des Menschen überhaupt dar. Hier wird aber auch am deutlichsten die Zwiespältig- und Sündhaftigkeit der Welt erfahren. Im rasenden Schmerz, der alles durchdringt, jeden klaren Gedanken abwürgt, spüren wir den Zorn Gottes am deutlichsten. Die Schöpfung und die Geschöpfe stehen unter einem Fluch. Das Paradies ist weit, Gott scheint weit. Dafür dringt nun der Schrei nach Erlösung in seltener Klarheit und Intensität nach aussen. Denn die menschliche Begrenzung und Schwäche ist offenkundig.
Tragisch in Finchers Film ist einzig der Gedanken, dass Schmerz zu mehr wird als zu einem einschneidenden Erlebnis, das jeder Mensch in irgendeiner Form kennen lernt. ( Körperlicher Schmerz und seelische Pein, Verlust von nahestehenden Menschen, unglückliche Liebe etc) Schmerz ist das einzige, was noch bleibt. Das Menschsein wird auf die Fähigkeit zur Schmerzempfindung reduziert. Vielleicht hat Fincher auch hier eine prophetische Ahnung, möge er damit aber Unrecht behalten. Obwohl gewisse Anzeichen für die Richtigkeit seiner Vision schon heute unbestreitbar da sind. So ist das Aufkommen und die Salonfähigkeit von Sado-Maso-Clubs und Angeboten als Zeichen in diese Richtung zu deuten. Der Mensch empfindet nur noch sexuelle Lust, wenn sie mit körperlichen Qualen gekoppelt ist. Die normale Sexualität ist abgenutzt und verbraucht, es braucht immer härtere Varianten, um zum gleichen Glücksgefühl zu kommen. Schmerz als letzte Möglichkeit um der abstumpften und gleichgültigen Seele Vitalität zu verschaffen. Pervers. Tragisch.
Insgesamt geht es meiner Meinung nach im Film nicht in erster Linie um schweisstreibende und blutige Boxkämpfe, sondern um die Krise der menschlichen Identität, besonders derjenigen der Männer. Die Charaktere sind Ergebnis einer vaterlosen Generation, diese Männer kennen keine intakten Familienbeziehungen, sie sind einsam und fühlen sich ungeliebt und als überflüssige Räder im Getriebe der Zeit. Frauen spielen nur am Rand eine Rolle, aber sie sind nicht Geliebte, Gattin oder Mutter, sondern Sexualobjekt ( Marla). Dabei werden sie nicht etwa in diese Rolle gedrängt oder vergewaltigt, sondern sie selbst erfahren und anerkennen sexuelle Kontakte als einzig übriggebliebene Art der zwischengeschlechtlichen Kommunikation. Liebe existiert nicht (mehr). Ein Bild einer Welt etsi deus non daretur. So gesehen die einzig richtige Konsequenz. Denn letzendlich gibt es keine wahre Liebe ohne Gott, sondern nur die Wahre Liebe, Liebe als Konsum -und Wegwerfgut, als Ventil für den Triebstau.
Ein genialer Schachzug Finchers besteht darin, diese Krise des Mannes in einer übersteigerten Form zu zeigen, die zuerst verwirrt, sich je länger je mehr aber als einleuchtende Raffinesse zeigt: die Person des Hauptdarstellers wird aufgesplittert, Edward Norton und Brad Pitt spielen zwei Seiten derselben Figur: das Ich und das Alter Ego. Das eigentliche Ich und das Ich in der anderen Gestalt der Projektionen und verdrängten Wünsche. Dies geschieht überraschenderweise in Form einer sichtbaren und selbständig handelnden Gestalt, nicht einfach als gedankliches Spiegelbild, als Konstrukt sozusagen der Phantasie. Was zuerst wie das typische Krankheitsbild eines Schizophrenen anmutet; und darum jeder Zuschauer vorschnell jede Identifikation mit dem Hauptdarsteller auf schärfste bestreiten wird, mit der Begründung, ich bin doch nicht geisteskrank, erweist sich auch da als Kunstgriff der Übersteigerung. Das archetypische, allen gemeinsame wird oft erst in der Übersteigerung offensichtlich. Konkret heisst das: ja, die wenigsten Menschen sind schizophren, aber die meisten, ich behaupte sogar alle Menschen haben Sehnsüchte und Wünsche, die sich scheinbar nicht verwirklichen lassen und darum als Projektion auf andere übertragen werden oder dazu benutzt werden in Tagträumen ein imaginäres Ich aufzubauen, das eben stellvertretend die unerfüllten Sehnsüchte auslebt und verwirklicht. Wer hat schon nicht einmal davon geträumt James Bond zu sein, als intelligenter Präsident die Nation aus der Wirtschaftskrise zu führen, als Filmstar die Herzen der Frauen zu betören, als Prediger die Massen zu bekehren und in Tränen ausbrechen zu lassen... Der brave und angepasste Versicherungsangestellte Norton lebt seine Sehnsüchte in der Gestalt des Tyler Durdan aus: cool, charismatisch, ein Mann von brachialer Energie und schroffer Wildheit und Leidenschaft.
Interessant ist auch der Aspekt der Verantwortung. Norton will die Verantwortung für die überbordende Wirkung der neu entstehenden Fight Clubs auf sein Alter Ego abschieben. Du bist es, nicht ich. Was habe ich damit zu tun? In diesen Momenten wird aber auch die Schwierigkeit sichtbar, diese komplexen psychologischen Vorgänge angemessen auf der Leinwand darzustellen, ohne den Zuschauer zu überfordern. Wenn ein Roman seitenlang Zeit hat, diese inneren Konflikte detailliert zu schildern und die bildhafte Umsetzung der schöpferischen Kraft des Lesers überlassen kann, kommt hier das Medium Bild an seine Grenzen. In wenigen Einstellungen soll glaubwürdig und leicht nachvollziehbar eine ethische Herausforderung, ja sogar Überforderung dem Zuschauer vermittelt werden.
Ein dritte Ebene zeigt die Anfälligkeit einer identitätslosen Generation für faschistoide Ideen. Wo Menschen keinen Sinn und keine Erfüllung mehr im Leben erfahren, haben charismatische Führer leichtes Spiel. Die Gruppenidentität ersetzt die individuelle, ich werde Teil eines grossen Ganzen und gewinne dadurch Bedeutung. Der einzelne findet scheinbare Erfüllung, indem er die Ziele der Gruppe zu seinen eigenen macht und sich so als wichtiges Glied im grossen Ganzen versteht. Dabei ist er schonungslos dem Charisma des Anführers ausgeliefert. Eine kritische Untersuchung der geforderten Ziele ist nicht mehr möglich. Vorübergehende Glücksgefühle und Wertschätzung werden mit der Auslöschung der persönlichen Identität erkauft.
Insgesamt ist Fight Club eine äusserst spannende und intelligente Bestandesaufnahme einiger (zukünftiger) Zeitphänomene. Mit diesem Film wird Fincher seinen Ruf als radikaler und visionärer Filmemacher verfestigen und ich bin gespannt auf sein nächstes Werk, dann aber im nächsten Millennium.
(Quelle: lifenavigator.typepad.com/life…7/03/fight_club_ein_.html )
