Teil 1
Himmelsw?ste und kosmisches Exil
Die herrschende Kosmologie - hat sie nicht, philosophisch gesehen, etwas Naives, Kurzgedachtes, geradezu Impressionistisch-Flaches? Wer glaubt im Ernst, dass das Universum so aussieht? Wer h?lt den Urknall, die Schwarzen L?cher, die jagende Fahrt ins Nirgendwo (?Expansion des Weltalls?) und all das andere, was einer staunenden ?ffentlichkeit pr?sentiert wird, f?r wirklich, f?r die kosmische Wirklichkeit? Es hilft ja wenig, wenn einschr?nkend und relativierend von Modellen gesprochen wird, die so oder auch anders sein k?nnten. Die monstr?sen Bilder haben mittlerweile einen festen Platz in den K?pfen unz?hliger Menschen. Und nicht nur in den K?pfen, auch in den unbewussten Kellern der Psyche.
Nat?rlich gilt das nicht f?r alle. Viele machen den Vorhang ?berhaupt zu: Mag der Kosmos sein, wie er wolle, die Alltagswirklichkeit wird davon nicht ber?hrt. Manche laufen mit einer ganz eigenen und durchaus privaten Kosmologie im Kopf herum, andere h?ngen mythischen oder magischen Kosmosbildern an. Wieder andere sind fast r?hrend bem?ht, das herrschende Bild vom Universum mit religi?sen oder spirituellen Vorstellungen zu verbinden (da wird dann der Urknall zum Akt der Weltsch?pfung durch Gott). Und es gibt Astrologie, es gibt Ufologie und Science-Fiction...
Wer also glaubt den Kosmologen? Glauben heisst: f?r wahr halten, f?r wirklich halten, und zwar auch dann oder gerade dann, wenn der unmittelbare Erfahrungszugang fehlt. Kosmologie ist die Lehre vom Ganzen, von der Totalit?t des Universums; jeder Kosmologe glaubt ernsthaft, dass es m?glich und sinnvoll sei, ein Bild vom Ursprung und vom Bau des Weltalls und der Gestirne zu gewinnen, und sei es auch in abstraktester, also rein mathematischer Form. Schon diese Annahme ist staunenswert. Wieso sollte das Geistwesen Mensch denn in der Lage sein, so etwas wie >das Ganze< in den wissenschaftlichen, den objektivierenden Blick zu nehmen? Wird da nicht dem menschlichen Geist eine geradezu g?ttliche Funktion zugestanden? K?nnte nicht nur ein Gott die Gesamtheit des Seienden ?berblicken einschliesslich aller Regeln und Gesetze des grossen Spiels? Und die Kosmologen sollten dies k?nnen?
Ich weiss, dass Fragen und Bedenken dieser Art l?ngst als obsolet gelten. Wer so fragt, habe schlicht das Eigentliche und Wesentliche gar nicht verstanden. Man glaubt, gute Gr?nde daf?r zu haben und mehr oder weniger sichere Indizien, dass der R?ntgenblick auf das gesamte Weltenspiel m?glich ist. Wenigstens im Prinzip! Das setzt naturgem?ss voraus, dass das, was in diesem Winkel des Universums beobachtet und gemessen wird, hochgerechnet und verallgemeinert werden kann, und zwar weil die sogenannten Naturgesetze eben ?berall und immer gelten, in jeder noch so fernen oder verborgenen Nische des Weltenabgrunds, Es liegt auf der Hand, dass dies durchaus nicht so sein muss; daf?r gibt es keinen Beweis. Es ist eine durch und durch metaphysische Pr?misse, an der buchst?blich alles h?ngt. Aber ich will zun?chst auf etwas anderes hinaus.
Im nachkopernikanischen Universum, wir wissen es, ist die W?rde des Menschen radikal demontiert worden; der Mensch wurde zum Quasi-Nichts in einer Leere, deren Unbegrenztheit und schauerliche Gleichg?ltigkeit all das negierte, was er f?r sein Eigentliches und eben Menschliches hielt (und noch immer h?lt). Das Universum bekam unmenschliche, ja b?sartige Z?ge; durch seine pure Gr?sse und Leblosigkeit schien es den Menschen zu verspotten. Die irdische Oase oder Plattform einschliesslich all dessen, was das Leben ?berhaupt ausmacht in seinem Gl?ck und Weh, geriet zur Farce, zum absurden Zufallsspektakel. Irgendwann war alles dahin: Sinn und Ziel und W?rde und Einzigartigkeit. Wozu Liebe, wozu Gott, wozu ?berhaupt irgend etwas? Das nachkopernikanische Universum als leblose W?ste und absurde Maschine, das ?Gott ist tot?-Universum, war gleichsam die Inkarnation des Nihilismus.
Die Himmelsw?ste wurde zur Dom?ne der Rechenmeister, und das relevante philosophische Denken ging in die kosmische Emigration. Die Denkenden ?berliessen den Rechnenden das Feld. Und das ist auch heute nicht wesentlich anders, ungeachtet der allenthalben zu vernehmenden Behauptung, die Physik des 20. Jahrhunderts habe das mechanistische Denken endg?ltig ?berwunden. So wird viel vom ?Holismus? (der Ganzheitlichkeit) der Quantentheorie geredet, als sei damit auch nur ein Quentchen gewonnen an Lebendigkeit und Sinn. Auch das Quanten-Universum ist ein Abgrund des Un-Sinns oder Ohne-Sinns, der Leere, die eben nicht die F?lle ist, auch wenn dies st?ndig behauptet wird. Das Urknall-Weltall ist nicht lebendiger als das sogenannte mechanistische Weltall davor.
Der moderne Kosmologe vollzieht nun einen Schritt, den als Salto mortale des Geistes zu bezeichnen fast zu harmlos ist: Das Quasi-Nichts Mensch, ver?ngstigt und vereinsamt sitzend in den Tr?mmern seiner W?rde, wird zum Quasi-Gott. Das muss nicht bedeuten, dass die ganze Weltveranstaltung nun auf den Menschen als Telos (Ziel) zugeschnitten ist (anthropisches Prinzip), obwohl etliche diese Denkfigur favorisieren. Aber Kosmologie, als Strukturwissenschaft vom Ganzen, wurde zum Gegengift der Selbstverkleinerung und Selbstausl?schung: Der Kosmologe nimmt die Werkstatt des Demiurgen in Augenschein, er vermisst die kosmischen R?ume und Bauformen. Er k?ndet von Anfang und Ende des Universums, er spricht aus der intimen Kennerschaft des Weltgeistes heraus. Und dieser Weltgeist ist noch immer (oder wieder) das, was er schon in der verallgemeinerten Newtonschen Himmelsmechanik war: ein Mathematiker.
Geist wird als abstrakter, als mathematischer Geist imaginiert. Wer den Kosmos erkennen will, muss rechnen, und er muss extrapolieren und verallgemeinern. Das >Pfingstwunder< der Kosmologen w?re die Weltaufhebung durch die Weltformel oder die Totalsimulation des Universums.
Das Quasi-Nichts schwingt sich zum Quasi-Gott auf, das ist die Pointe der modernen Kosmologie. Implizit (das muss nicht offen gesagt werden) liegt dem immer das anthropische Prinzip zugrunde. Der Kosmologe als Speerspitze irdischer, ja kosmischer Intelligenz. Das Universum ist da, damit der Kosmologe m?glich wird. Man k?nnte das Ganze ja auch umkehren und sagen: Das durch und durch winkelhafte, durch und durch erb?rmlich-winzige Wesen Mensch, heraufgewirbelt ins Sein aus der blinden Nacht, ist auch erkenntnisblind, ist unf?hig, jemals eine zutreffende oder zureichende Vorstellung vom Ganzen zu gewinnen. Da liegt der Zirkelschluss. Es gibt nur zwei M?glichkeiten: Entweder kann der Mensch wirklich erkennen, wer er ist und wo er ist, welchen Stand er hat im All, und dann besitzt er, eben dadurch, W?rde und Sinn, oder er kann es eben nicht. Man kann aber nicht beides haben, nicht beides wollen. Die moderne Naturwissenschaft, nicht nur als Kosmologie, will aber stets beides und propagiert beides. Sie will und propagiert den Menschen zugleich als Quasi-Nichts und Quasi-Gott. Das kann nicht scharf genug zur?ckgewiesen werden. Und es bleibt merkw?rdig, dass die wenigsten ?berhaupt diesen Punkt sehen.
Wer glaubt den Kosmologen? Glauben die Kosmologen sich selbst? Sicher beschleicht viele hin und wieder der Verdacht, das ganze abstrakte Geb?ude sei im letzten unwirklich. Denn alles, was gemessen wird, muss interpretiert werden; die Messungen interpretieren sich nicht selbst. Auch das wird h?ufig ?bersehen. Und keine Messung beweist zweifelsfrei die Richtigkeit oder Unrichtigkeit einer kosmologischen These.
Wirklichkeit hat mit Lebendigkeit zu tun, mit Bewusstsein. Es gibt keine Wirklichkeit als pures Es, als pures Objekt. Um dies festzustellen, muss man kein philosophischer Idealist sein. J?ngst hat der Philosoph Ken Wilber ?berzeugend deutlich gemacht, dass der Kosmos im eigentlichen und umfassenden Sinne kein Es sein kann. Den Kosmos zu degradieren zum blossen Objekt ohne Subjekt, zur blossen Aussenwelt ohne Innenwelt, ist nicht nur erkenntnistheoretisch naiv, ja unhaltbar, sondern auch desastr?s. Damit wird die Wirklichkeit des Kosmos gleichsam planiert. Und da liegt ein weiterer Widerspruch im Mainstream-Denken ?ber Natur und Kosmos: Theorien werden aufgestellt von lebendigen Subjekten, sie werden aufgenommen von anderen lebendigen Subjekten, aber diese Theorien selbst schalten das Subjekt konzeptionell aus, eliminieren es. Und da hilft es wenig, wenn gesagt wird, Naturwissenschaft sei nicht dazu da, Sinn und Bedeutung oder gar die Wirklichkeit des Spirituellen zu beweisen, sie sei lediglich angetreten, die Ph?nomene dieser Welt in einen geordneten, einen funktionalen Zusammenhang zu bringen bzw. diesen bereits existierenden funktionalen Zusammenhang theoretisch bzw. modellhaft abzubilden. Schon dieser funktionale Zusammenhang ist ohne das lebendige Subjekt gar nicht denkbar; er ist ein geistiges Etwas, kein Ding oder Gegenstand da draussen in der Sinnenwelt oder Objektwelt.
Auch Quantentheorie und Systemtheorien - so Ken Wilber - haben keineswegs den genannten Widerspruch aufgel?st. Der Kosmos ist kein Es, sondern gleichsam ein Ich-Wir-Es. Die Innenseite geh?rt immer zum Kosmos. Jede Physik, die diesen Namen verdient, muss Psycho-Physik sein, jede Kosmologie Psycho-Kosmologie. Kein Kunstgriff f?hrt vom Es zum Ich oder Wir. Ganzheitlich denken kann nur bedeuten: Das Ich-Wir-Es,
das ich selbst bin, denkt das Ich-Wir-Es des Kosmos. Was heute als Kosmologie in hohem Ansehen steht, hat mit dem Kosmos im eigentlichen Sinn nichts zu tun. Das prim?r materiell oder energetisch verstandene Universum ist ein blutleeres, ein traurig-bizarres Gebilde, mit dem der Mensch als Mensch, als Leib-Seele-Geist-Einheit, gar nichts gemeinsam hat. Er kommt darin nicht vor. Dass es ihn dennoch gibt, wird zum Mysterium oder zum Zufall aller Zuf?lle. Wie kommt nur das Lebendige in diese erschreckende W?ste hinein?
Wenn es uns nicht gelingt, den Kosmos aus der Substanz unseres Menschseins heraus neu zu denken, aus unserer ganzheitlich-lebendigen Grundbeschaffenheit heraus, ist alles Gerede von einer neuen Kosmologie m?ssig.
Der Philosoph Jacob Needleman hat es pr?gnant formuliert: ?Gibt es irgendeinen Zweifel, dass die moderne wissenschaftliche Ansicht ?ber den Platz des Menschen im Universum einfach nur ein Ausdruck des Wahnsinns ist?? Und: ?Ein Universum, das nur von unvorstellbarer Gr?sse ist, schliesst den Menschen aus und zermalmt ihn. Aber ein Universum als Manifestation eines grossen Bewusstseins und einer grossen Ordnung weist dem Menschen einen Platz und verlangt daher nach ihm. Soviel ist klar, denn ein bewusstes Universum ist die einzige Realit?t, die das menschliche Bewusstsein aufnehmen kann. Und nur wenn ich voll und ganz in etwas aufgenommen werde, ergibt sich f?r mich die Notwendigkeit, meine Beziehung zu ihm in allen Aspekten meines inneren und ?usseren Lebens zu verstehen. Nur ein bewusstes Universum ist f?r das menschliche Leben im Ganzen von Bedeutung.?
Man macht es sich zu leicht, wenn man diese oder ?hnlich gelagerte Aussagen aus der Unf?higkeit erkl?rt, die wahre Dimension des nachkopernikanischen Universums zu begreifen, so als ginge es darum, das an kosmischer Weite Errungene zur?ckzunehmen und sich wieder einzunisten in eine ?berschaubare geozentrische Weltstruktur. Die Klage von Needleman ist nur allzu berechtigt. Existentiell haben wir uns herauskatapultiert ins nihilistische Irgendwo; wir wissen nicht, wer wir sind und wo wir sind. Und der Verdacht erhebt sich, ob nicht ein erheblicher Teil dessen, was uns die moderne Kosmologie pr?sentiert, Projektionen sind, Heraussetzungen aus unserer im Weglosen und Wesenlosen treibenden Psyche: die Gespenster des ?usseren Universums - ?berall fressende Monster und irrwitzige Katastrophen - als Gespenster unserer selbst. Ahnen nicht viele, dass es genau so sein k?nnte?
Nun kann es in keiner Weise darum gehen, unsere W?nschbarkeiten zu ontologisieren, das heisst, aus dem Unbehagen ?ber die Trostlosigkeit des modernen Universums ein >menschenfreundliches< Universum zu erfinden, in dem wir dann unseren Platz finden und in dem wir wirklich >zu Hause< sein k?nnen. Um diese Art Anthropomorphismus ist es nicht zu tun, wohl aber um den leidenschaftlichen Versuch, den ganzheitlich verstandenen Menschen als integralen Teil eines ganzheitlich verstandenen Kosmos zu begreifen; und zu dieser Ganzheitlichkeit geh?rt notwendig und zentral: Bewusstsein und Seele - nicht Bewusstsein als abstrakte Struktur, als toter Geist, sondern als ich-hafte und wir-hafte Gestalt. Diese ich-hafte und wir-hafte Gestalt ?bersteigt jedes denkbare ?kosystem. Der Kosmos im eigentlichen Wortsinn ist kein abstrakt fassbares System, kein ?konetzwerk, kein von lebensfernen Naturgesetzen eisern dominiertes Ding oder Es oder Objekt. Dies k?nnte niemand ernsthaft ertragen oder verkraften, und ein wissenschaftlicher Heroismus an dieser Stelle kann nur ein verzweifelter Versuch sein, den Nihilismus zu stilisieren, ihm eine menschliche Komponente zu verleihen. Wenn so etwas wie eine andere Naturwissenschaft, eine andere Art Kosmologie ?berhaupt sinnvoll ist, dann muss sie sich verabschieden von allen Versuchen, den Menschen, die menschliche Wirklichkeit und Seinserfahrung aus dem grossen Spiel herauszunehmen. Das gerade war und ist der sicherste Weg in die Katastrophe. Wer den Menschen konzeptionell ausschaltet, wird ihn auch irgendwann in seinem Menschsein aush?hlen und zum technischen Konstrukt herabw?rdigen, zum Biocomputer, zur intelligenten Maschine. Das Programm der ?k?nstlichen Intelligenz? wurzelt genau hierin.
Die moderne Naturwissenschaft - von Galilei ?ber die ?Newtonsche Himmelsmechanik? bis zur heutigen Kosmologie - ist ein zutiefst subjektblindes, subjektvergessenes Unterfangen. Wie besessen hat sich der Homo scientificus hineingest?rzt in abstrakte Geisterreiche, vorangepeitscht von dem Bestreben, das strahlende Antlitz Gottes aus dem Dunkel der Materie in die Erscheinung zu zwingen. Die Zauberlehrlinge des toten Geistes und der Mathematik, die sich als Pythagoreer bzw. Platoniker verstanden, sahen nur einen Weg, der Herausforderung des nicht mehr erdzentrierten Weltalls zu begegnen: die Schaffung einer neuen Physik, einer Physik der Skelettierung der nat?rlichen Ph?nomene und Gestalten zugunsten des eigentlich und allein Wirklichen, der toten Materie, der toten Kr?fte und der toten Mathematik. Wie in diese leblose Himmelsw?ste sich das Leben hineinverirren konnte, blieb - und bleibt - das qu?lende R?tsel, das viele Systemtheoretiker unserer Tage nur angehen, indem sie eine neue Abstraktionsstufe dazuerfinden, die aber auch nichts rettet. Es ist nur ein neues Es, eine neue (wenn auch modisch verchromte) Oberfl?che; auch in der systemtheoretisch begriffenen Welt ist der Mensch im Exil. Wie in jedem Weltentwurf und theoretischen Weltgeb?ude, das abstrakte, es-hafte Heraussetzung ist.
In anderem Kontext habe ich den Begriff der integralen Tiefen?kologie gepr?gt (und ihn abgegrenzt gegen die eher flache Form der tiefen?kologischen Schule oder Str?mung), und so mag es hier geboten sein, eine integrale Naturwissenschaft bzw. Naturphilosophie sowie eine integrale Kosmologie >anzumahnen<, deren Grundz?ge in dem vorliegenden Buch umrissen werden sollen.' Eine integrale Bewusstseinsform ist eine solche, die die eigenen Quellstufen genauso umfasst wie die h?heren, transmentalen Stufen: also Erde, Pflanze und Tier bzw. die entsprechenden ?quivalente im Menschen sowie das Archaische, Magische und Mythische (nach Jean Gebser und Ken Wilber) auf der einen Seite und jene entwickelten, hohen Formen des Seins/Bewusstseins, die das Mentale/Rationale/Egoische ?berschreiten, aber beinhalten. Nur der ganzheitlich integrierte Mensch kann eine wirklich ganzheitliche, integrierte, eine wirklich integrale Naturwissenschaft und Kosmologie ?betreiben?.
H?ren wir den ?noblen? Ralph Waldo Emerson (wie ihn Wilber nennt), der das, um was es hier geht, vielleicht naiv, aber gleichwohl treffend ausspricht: ?Der Verfall und die Leere, die wir sehen, wenn wir auf die Natur blicken, liegt in unserem eigenen Auge. Die Achse des Sehens f?llt nicht mit der Achse der Dinge zusammen, und darum erscheinen sie als nicht durchscheinend, sondern als undurchsichtig. Der Grund, warum der Welt die Einheit mangelt und sie zerbrochen und in Tr?mmern daliegt, ist der, dass der Mensch mit sich uneins ist. [...] Und es gibt geduldige Naturforscher, die aber ihren Gegenstand in der Winterk?lte ihres Verstandes einfrieren lassen.? Und: ?[...] der Mensch ist Analogist und sucht nach Beziehungen unter den Dingen. Er ist in das Zentrum der Wesen hineingestellt, und Beziehungen strahlen von allem anderen Sein zu ihm her?ber. Weder kann der Mensch ohne diese Objekte, noch k?nnen diese Objekte ohne den Menschen verstanden werden.?' Und in dem ber?hmten Essay ?Natur? von 1836, aus dem hier zitiert wurde, findet sich auch der schlichte, aber tiefe Satz: ?Nur was wir sind, k?nnen wir sehen.?Auf die Kosmologie ?bertragen, hiesse das: Wir k?nnen nur das aus dem Kosmos ?heraussehen?, was wir existentiell und substantiell sind. Der Mathematikerblick ins All zeigt prim?r mathematische Strukturen, der Blick des Ingenieurs zeigt Maschinen; der Neurotiker sieht auch ?draussen? in erster Linie neurotische Wesenheiten, das Weltall bev?lkert sich f?r ihn mit absurden und aberwitzigen Figuren. Und so weiter.
In seinem Erinnerungsbuch ?Der Teil und das Ganze? berichtet Werner Heisenberg von einem Gespr?ch mit Albert Einstein im Jahr 1926, in dem dieser den denkw?rdigen Satz ge?ussert haben soll: ?Erst die Theorie entscheidet dar?ber, was man beobachten kann.?" Und wodurch, so k?nnte man den Gedanken weitertreiben, wird das bestimmt, was wir f?r eine Theorie halten? Was sind denn die Bestimmungsst?cke, und was ist der anthropologische, kulturelle und ideologische Grund einer Theorie? Theorien, die den Menschen eliminieren, werden gleichwohl von konkreten Menschen aufgestellt; sie spiegeln einen bestimmten Weltbildzusammenhang, der nicht einfach zu entfernen ist. Die Ph?nomene sprechen sich nicht einfach als sie selbst aus; wir begegnen ihnen mit einem bestimmten Bewusstsein, und im Zusammenspiel von Ph?nomen und Bewusstsein bzw. Bewusstseinsebene entscheidet sich das Schicksal einer Theorie, eines Modells.
Ist der Kosmos absurd? Oder: In was f?r einem Universum leben wir?
Naturwissenschaftler vertreten in der Regel die Ansicht, dass ihnen durch die Natur gleichsam aufgezwungen werde, welche Struktur ihre Theorien haben; das betrifft nicht nur das alte Repr?sentations-Paradigma (menschliches Forschen bildet eine Welt >da draussen< im wesentlichen so ab, wie sie eben ist), sondern auch das erkenntnistheoretisch subtilere Konstrukt der relativistischen und der Quantenphysik. In letzter Zeit wird gern auf die Absurdit?t und Paradoxie der Natur verwiesen, die sich der aristotelischen Logik grunds?tzlich entziehe. Darauf . l?sst sich entgegnen, dass der menschliche Leib jedenfalls alles andere als absurd oder paradox ist und dass die vertiefte Selbstwahrnehmung durchaus einen sinnvoll geordneten Kosmos enth?llt, der offenbar st?rker ist als alle Chaos-Faktoren, die da und dort einschiessen.
In meinem Buch ?Was die Erde will? habe ich (im Kontext der Entstehungsgeschichte des mentalen Selbst) von dem ?imperialen Wahn der Nur-halb-Geborenen? gesprochen", und dies l?sst sich an der technischen Naturwissenschaft beispielhaft aufzeigen. Wohlgemerkt: Hier ist von dem Mainstream die Rede, von einem kollektiven Strom; das heisst nicht, dass es nicht auch im Bereich der neuzeitlichen Naturwissenschaft grossartige und noble Gestalten, grossartige und fruchtbare Erkenntnisse gegeben h?tte."
Ich will einen lange gehegten Verdacht nicht verschweigen, der ins Zentrum der kosmologischen Problematik f?hrt; dieser Verdacht geht von der (vielleicht naiven oder arroganten) Frage aus: Sind die Erdbewohner intelligent? Mit dem Hinweis auf die Nicht-Intelligenz oder auch Dummheit der Erdlinge kann man leicht Zustimmung erwerben, wenn man ihn in der ?ffentlichkeit vortr?gt. Ich habe das in vielen Vortr?gen getan und h?ufig beobachtet, dass Menschen, in einem fr?hlichen Zynismus, die Intelligenz der Menschheit ?berhaupt anzweifeln. Und nat?rlich nimmt sich derjenige, der >die Menschheit< f?r nicht eben intelligent h?lt, gerne dabei aus. Man landet dann schnell bei dem ber?hmten Satz ?Alle Kreter sind L?gner? - ausgesprochen von einem Kreter. Aber diesen Selbstwiderspruch einmal beiseite gelegt, ist die Frage doch naheliegend und auch berechtigt: Kann eine Menschheit, die augenscheinlich ihre eigene Selbstausl?schung ins Werk setzt (und dass dies so ist, kann nicht ernsthaft entkr?ftet werden), wirklich, mehrheitlich oder auch nur, was ihre >Elite< anlangt, intelligent sein? Was immer Intelligenz genau ist, sicher wird der unbewusste Wille zur Selbstausrottung nicht dazu geh?ren. Intelligenz, auf einer entwickelten Bewusstseinsstufe, kann doch wohl nur darin bestehen, sich selbst und die eigene Stellung auf der Erde und im Universum zu erkennen, ohne den Ast inbr?nstig anzus?gen, der die eigene physisch-sinnliche Existenz tr?gt.
Noch einmal sei Jacob Needleman zitiert, den gleichfalls die Frage der Intelligenz oder Nicht-Intelligenz (in diesem Fall der Wissenschaft, der Kosmologie) umtreibt: In seinem erhellenden Buch ?Vom Sinn des Kosmos? schreibt er, es bed?rfe ?vielleicht eines aussergew?hnlichen Bewusstseinszustands?, ?damit der Mensch ?berhaupt in der Lage ist, auf intelligente Weise ?ber einen nicht-geozentrischen Kosmos nachzudenken?."