Gibt's Forelle Blau bald nur noch als Frau? Ein Anglermagazin unkte unl?ngst, dass es "statt strammer Fischjungs nur noch impotente Schw?chlinge" geben k?nnte, wenn das mit der Anti-Baby-Pille so weitergeht. Nicht nur Angler schlugen Alarm, als erste Untersuchungen durch die Medien gingen, die nachwiesen, dass das synthetische Hormon der Pille, Estradiol, ungehindert durch nat?rliche Ausscheidung an allen Kl?rwerken vorbei in Fl?sse und Seen gelangt.
"Stramme Fischjungs" unterziehen sich dann einer ungewollten Hormonbehandlung. In der Havel, unterhalb des Kl?rwerkes Berlin-Ruhleben, laben sich inzwischen sieben von zehn Fischweibchen an durchschnittlich drei Milliardstel Gramm k?nstlicher Hormone pro Liter Flusswasser.
Die erste Panik ist zwar verflogen, aber ?ber Langzeitwirkungen von Medikamentenresten im Wasser sind sich Forscher immer noch nicht im Klaren. Klar ist nur, dass Rheumamittel und andere Arzneien in Fischen wenig verloren haben.
Von der Toilette ins Trinkwasser
Die Analyseergebnisse der Wissenschaftler erinnern an den Blick in ein gut sortiertes Medikamentenschr?nkchen: So ist das Grund- und Trinkwasser vor allem angereichert mit Blutfettsenkern (Clofibrins?ure), Schmerzmitteln, Antirheumatika (Ibuprofen, Diclofenac) und diversen Analgetika. Hinzu kommen R?ntgenkontrastmittel. "Diese Stoffe finden sich ?berall in Deutschland", sagt Markus Lehmann, Geo?kologe bei der Landesanstalt f?r Umweltschutz Baden-W?rttemberg. Kein Wunder: Allein 100 Tonnen Schmerzmittel rauschen nach einem Umweg ?ber den menschlichen K?rper j?hrlich durch die Toilette.
Nach einem Zufallsfund dieser Substanzen vor zehn Jahren durch Berliner Forscher wurden die Analyseverfahren verbessert und deutschlandweit Gew?sser untersucht. Die breite Palette von Medikamentenresten wird meist via Toilette in den Wasserkreislauf bef?rdert. Die eben ausgeschiedenen Stoffe kommen nach Wochen oder Monaten unter Umst?nden wieder zur?ck: Etwa 16 Verbindungen haben die Berliner Forscher im Trinkwasser entdeckt und mehr als 100 im Abwasser.
Privathaushalte als Hauptverursacher
?berraschend: "Nicht etwa Krankenh?user sind nach unseren Untersuchungen die Hauptverursacher, sondern Privathaushalte, durch die etwa 80 Prozent der Wirkstoffe in die Kanalisation gelangen", sagt Thomas Heberer, Lebensmittelchemiker von der Technischen Universit?t Berlin. In Fachkreisen gilt er als der Entdecker des Medikamentencocktails im Wasser.
"Es ist noch v?llig ungekl?rt, ob und in welchem Ma?e diese Stoffe ein Risiko f?r Mensch und Natur darstellen", sagt Bodo Weigert vom Kompetenzzentrum Wasser Berlin. Nun gehe es darum, festzustellen, wie die in geringen Mengen auftretende Medizin zu bewerten ist. "Jedenfalls gibt es noch keine Beweise f?r eine humantoxikologische Wirkung. Ich sehe keinen Grund zur Beunruhigung", meint Weigert.
Eine Studie der Bochumer Ruhr-Uni l?sst andere Schl?sse zu: Danach wird ein Zusammenhang vermutet zwischen der seit Jahren sinkenden Spermienzahl bei M?nnern und einer steigenden Rate an Hodenkrebs-Erkrankungen und Genitalfehlbildungen durch ?strogene im Trinkwasser und in Lebensmitteln. Endg?ltige Beweise gibt es nicht.
Langzeitwirkung unbekannt
Die gemessenen Werte sind zwar weit davon entfernt, direkten Schaden anzurichten, nur ist ?ber indirekte Wirkungen - wie allergische Reaktionen oder hormonelle Ver?nderungen - nichts bekannt. "Aus der heutigen wissenschaftlichen Sicht bestehen keine Risiken f?r die menschliche Gesundheit. Es w?re jedoch unseri?s, eine v?llige Unbedenklichkeit zu attestieren", r?umt Heberer ein.
Auch Geo?kologe Lehmann hegt Bedenken: "Ein Fragezeichen besteht, zumal nichts ?ber die Langzeitwirkung niedriger Konzentrationen bekannt ist." Au?erdem wisse man nie, wie ein Stoff Jahre sp?ter eingesch?tzt w?rde - siehe Contergan, DDT oder Lindan. Die aktuelle Auswahl ist gro?: "Allein in Deutschland sind rund 3000 verschiedene Arzneimittelwirkstoffe auf dem Markt, von denen einzelne in Mengen bis zu mehreren hundert Tonnen pro Jahr verabreicht werden", erkl?rt Lehmann.
Denn nachgewiesen ist ein direkter Zusammenhang bisher tats?chlich nur bei der Verweiblichung von Fischen. Das liegt an dem synthetischen Hormon aus der Pille, das schlecht wasserl?slich ist und sich so in Kl?rschl?mmen oder Gew?ssersedimenten ansammelt. Immerhin findet es so seltener den Weg zur?ck in die Wasserleitung.
Neue Kl?rtechniken zu teuer
Dennoch ist der Nachweis auch dieses Stoffes wegen seiner geringen Dosis schwierig. Aber neue Verfahren der Gas- und Fl?ssigchromatographie gekoppelt mit der Massenspektrometrie machen es m?glich, so Heberer, "kleinste Konzentrationen eines Stoffes nachzuweisen". Selbst ein Zuckerw?rfel im Bodensee sei heute noch messbar.
Viele Arzneimittel haben aus der Sicht des Gew?sserschutzes ung?nstige Eigenschaften. Sie sind biologisch schlecht abbaubar, hochwirksam und gut wasserl?slich, wodurch sie im K?rper erst ihre Wirkung entfalten k?nnen. An ?blichen Kl?ranlagen rauschen die meisten Stoffe ungehindert vorbei, wodurch sie sich wacker im gesamten Wasserkreislauf behaupten. "Eine Reihe von Untersuchungen deutet darauf hin, dass viele Arzneimittel von den Reinigungsstufen bestehender Kl?rwerke nicht eliminiert werden", erkl?rt Heberer.
Einige neue Techniken werden erprobt, doch konkret ist in keiner Kommune die Aufr?stung von Kl?ranlagen zur Entfernung organischer Spurenstoffe geplant. Dabei wird es auch auf lange Sicht bleiben: Stand der Dinge ist nun mal, dass es eine "rein umwelthygienische Ma?nahme" ist, wie Heberer meint. Neue Kl?rtechniken seien schlicht zu teuer: "Technisch ist viel machbar, nicht aber wirtschaftlich."
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