erschien ein hochinteressantes Interview mit dem Prof. Karl Albrecht
Schachtschneider, der beim Bundesverfassungsgericht eine
Verfassungsklage des Abgeordneten Dr. Peter Gauweiler gegen den
EU-Verfassungsvertrag eingelegt hat.
In dem Interview wird deutlich, da? die meisten Parlamentarier des
Deutschen Bundestags, die der EU-Verfassung zustimmten, wohl nicht im
Ansatz wu?ten, was f?r einer Monster Verfassung sie da zustimmten.
Schlaglichter:
- Einf?hrung der Todesstrafe wieder m?glich - auch und gerade im
Zusammenhang mit der Niederschlagung von Demonstrationen ("Leipzig 1989"),
- v?llig freies Schalten und Walten neoliberaler B?rsenkr?fte und
Shareholder ohne Grenzen auf Kosten der Wirtschaft und Arbeitspl?tze -
europ?ischer Haftbefehl
- Europa = Ein Willk?r- und Tyrannenstaat, ja eine Diktatur eines
kleinen Kreises von EU-Politikern, der nicht einmal gew?hlt, sondern nur
berufen wurde? Leider mit der EU-Verfassung wohl ja ...
Der Verfassungsvertrag als Erm?chtigung
Er enth?lt M?glichkeiten, die Angst machen sollten: etwa die der
Wiedereinf?hrung der Todesstrafe, nicht in jeder Situation, aber im
Kriegsfall und bei unmittelbar drohender Kriegsgefahr! Ins Recht gesetzt
wird auch die T?tung, wenn sie n?tig ist, um Auflauf und Aufruhr
niederzuschlagen. Das hei?t, laut EU-Grundrechtecharta h?tte man in
einer Situation wie in Leipzig 1989 schie?en d?rfen!
Wenn ein Bundestagsabgeordneter Ja zu dem Vertrag sagt, dann wei? er
nicht, was er tut! Er kennt den Vertrag nicht.
Hinzu kommt: Die Bestimmung IV-445 erm?glicht die vereinfachte ?nderung
dieses Vertrages und damit der zuk?nftigen Verfassung f?r 500 Millionen
Menschen. Das betrifft die gesamte Wirtschaftsverfassung mit
Binnenmarkt, W?hrungsunion, Wettbewerbsrecht, bis hin zum
Verbraucherschutz und Sozialpolitik, aber auch die Sicherheitsverfassung
in der Innenpolitik, den "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des
Rechts". Diese gesamten Regelungen in Titel III Teil III des Vertrags
k?nnen durch Beschlu? der Staats- und Regierungschefs, also durch
Europ?ischen Beschlu?, ge?ndert werden. Das Europ?ische Parlament wird
dazu nur angeh?rt, die nationalen Parlamente werden ?berhaupt nicht
einbezogen.
Das hei?t, dieses Papier wird keinen langen Bestand haben, es ist ein
Erm?chtigungsgesetz.
Das ist raffiniert geregelt, ich habe das nur mit M?he entdeckt. Der
normale Politiker kann einen solchen Vertragstext gar nicht lesen. Da
steht z.B., ein solcher, den Inhalt der Verfassung ?ndernder
Europ?ischer Beschlu? "tritt erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im
Einklang mir ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in
Kraft". Das klingt wunderbar, aber in Deutschland gen?gt die Zustimmung
der Bundesregierung. Bundestag und Bundesrat sind ?berhaupt nur
zustimmungsberechtigt, wenn v?lkerrechtliche Vertr?ge geschlossen werden.
Europ?isches Recht bricht nationales Recht - bedeutet ja, da? unsere
Verfassung dann nur noch untergeordneten Wert h?tte?
Schachtschneider: Ja, so ist das geregelt: Das gesamte europ?ische
Recht, auch das Sekund?rrecht und Terti?rrecht, also jede kleine
Regelung, hat Vorrang vor den Verfassungen der Mitgliedstaaten.
Verlust der "existentiellen Staatlichkeit"
Wir haben die existentielle Staatlichkeit, sprich: die unverzichtbare
nationale Hoheit, im Bereich der Wirtschaft fraglos verloren. Die
Wirtschaftspolitik ist weitestgehend, die W?hrungspolitik v?llig der
Union ?berantwortet. Im Bereich der Besch?ftigungs und Sozialpolitik
sind uns dadurch, aber auch durch Befugnisse der Union, die H?nde
gebunden.
Wir haben insbesondere die existentielle Staatlichkeit in Sachen des
Rechts, die Rechtshoheit, verloren. Das ist besonders schmerzlich. Wir
stehen im Begriff, durch den Verfassungsvertrag die Hoheit in der
Innenpolitik, n?mlich in Sachen der Polizei und der Justiz, zu
verlieren. Das geht noch viel weiter als der europ?ische Haftbefehl.
Auch in Sachen Verteidigungspolitik haben wir kaum noch etwas zu sagen.
Durch die Integration in die NATO war Deutschland nie souver?n, aber
jetzt geht die Hoheit auf diesem Gebiet g?nzlich auf die Union ?ber, die
freilich an die NATO gebunden bleibt. Der Europ?ische Rat kann die
Gemeinsame Verteidigung beschlie?en, nicht nur f?r den Einzelfall.
Deutschland erwirtschaftet das st?rkste Sparkapital, aber es wird am
wenigsten in Deutschland investiert. Unser Kapital wird woanders
investiert oder woanders hingegeben. Das ist unertr?glich f?r
Deutschland! Dieses kapitalpolitische Problem ist viel wichtiger als die
lohnpolitischen und sozialpolitischen Probleme. Damit haben wir uns die
H?nde gebunden. Die deutsche Politik wird solange nichts bewirken
k?nnen, bis wir einsehen und fordern: Entweder werden die
"Grundfreiheiten" ge?ndert und die Kapitalverkehrsfreiheit aufgegeben,
oder wir scheiden aus der Union aus. Sonst hat Deutschland
wirtschaftlich keine Chance. Jede andere Politik begleitet lediglich den
wirtschaftlichen Niedergang zu Lasten der Bev?lkerung. Die Shareholder
machen auch im Niedergang Gewinne. Der Niedergang ist zur Ausbeutung
bestens geeignet. Aber der deutschen Bev?lkerung steht eine schwere
Krise bevor, weil die Regelungen, die Rahmenbedingungen so sind.
Weder die Bev?lkerung noch die Abgeordneten haben gemerkt, da? wir mit
dem Art. 56 EGV die M?glichkeiten der Politik weitestgehend aufgegeben
haben. Wir haben uns der Wirtschaftshoheit begeben. Aber das gilt auch
f?r die Dienstleistungsfreiheit, die Entsendeproblematik, das
Herkunftslandprinzip. Herkunftslandprinzip hei?t, da? f?r lebenswichtige
T?tigkeiten im Lande nicht mehr wir die politische Verantwortung
?bernehmen und haben, nicht mehr wir bestimmen k?nnen, wie die
Lebensmittel beschaffen, die Arbeitsverh?ltnisse gestaltet sind und
vieles andere mehr, sondern irgendein anderes Land das regelt, auf
dessen Politik wir keinen Einflu? haben. Das ist demokratisch untragbar.
Ein wesentliches Grundrecht wurde aus dem Grundgesetz gestrichen,
n?mlich: Kein Deutscher darf ans Ausland ausgeliefert werden. Jetzt
erm?glicht der europ?ische Haftbefehl, da? jemand verhaftet und
ausgeliefert wird, selbst wenn die Tat, die er begangen hat, in
Deutschland nicht strafbar ist. Mit der Einf?hrung einer Europ?ischen
Staatsanwaltschaft verlieren wir auch die Hoheit in Strafsachen.
Der Grundrechtestatus der Bundesb?rger wird ganz erheblich
verschlechtert. Diese vielger?hmte Grundrechtecharta bedeutet einen
schweren Verlust an Rechtlichkeit und rechtlicher Kultur. Sie ist genau
das Gegenteil eines Fortschritts. Schon allein das zwingt, gegen den
Vertrag zu Felde zu ziehen.
Der europ?ische Gro?staat ist sogar eine Kriegsgefahr. Er will ja Kriege
f?hren; die Milit?rverfassung enth?lt die Verpflichtung zur Aufr?stung.
Er verpflichtet sich, f?r den Frieden der Welt zu sorgen, neben den
Vereinigten Staaten. Europa will eine Gro?macht sein, erkl?rterma?en -
und das hei?t, Kriege zu f?hren, wie die Vereinigten Staaten sie f?hren.
Das sind einfach v?lkerrechtswidrige Kriege. Der Irakkrieg war ein
Angriffskrieg, das sagen fast alle V?lkerrechtler in Deutschland.
Also: Achte den andern als Menschen und lebe mit ihm im Recht, das aber
gemeinsam gefunden wird. Diese Art von Sittlichkeit k?nnen Sie auch
?bersetzen - sehr christlich - als: Liebe deinen N?chsten wie dich
selbst. Der kategorische Imperativ ist nichts anderes als das
christliche Liebesprinzip, und das hei?t eben, den anderen als Menschen
achten und ihn nicht unterdr?cken.
Das hei?t Republik f?r mich, und kann nur in den vielen kleinen
Einheiten, wie schon angesprochen, verwirklicht werden.
Quelle
http://www.bunkahle.com/Forum/YaBB.cgi?board=neues;action=display;num=1117781382