"Laut einer alten Theorie kann der Mensch nur das begreifen, wofür er auch Wörter hat - und je mehr Wörter er für eine Sache besitzt, desto differenzierter ist sein Bild von ihr. Nachdem diese Annahme lange als widerlegt galt, mehren sich in jüngerer Zeit die Anzeichen, dass doch einiges daran ist. Die aktuelle Ausgabe von G&G stellt diese spannende Wende auf dem Gebiet der Psycholinguistik vor.
Als ich zu Studienzeiten Vorlesungen in Linguistik hörte, war "Chomsky" in aller Munde. Noam Chomsky, der schon in den frühen 1990ern berühmte Professor vom Massachusetts Institute of Technology, prägte die Vorstellung einer allen Menschen angeborenen universellen Grammatik. Nach dieser Theorie funktioniert das Denken weit gehend unabhängig von der jeweiligen Muttersprache, die jemand erlernt.
Viele Semester lang deklinierten Studenten diesen Leitsatz durch. Jetzt aber mehren sich experimentelle Hinweise dafür, dass Sprache sehr wohl den Geist prägt, etwa die Art, wie wir bestimmte Dinge wahrnehmen oder uns an sie erinnern. So unterscheiden das Russische und das Griechische Hell- und Dunkelblau durch je zwei verschiedene Wörter; und Russen wie Griechen können entsprechende Blautöne in der Tat leichter differenzieren, als etwa Deutsche und Engländer dazu in der Lage sind. Wie Klaus Wilhelm in seinem Artikel ab S. 14 erklärt, äußern sich derlei subtile Abweichungen bereits auf einer vorbewussten Ebene.
Was hingegen alle Menschen zu einen scheint, ist die tiefe Verankerung unseres Denkens in körperlichen Kategorien. Daher rühren etwa Redewendungen wie "der Nabel der Welt" oder "seine Hände in Unschuld waschen". Die amerikanische Journalistin Siri Carpenter unternimmt ab S. 20 einen Streifzug durch das junge Forschungsfeld der "Embodied Cognition".
Auch Neuroforscher nutzen gern Sprachphänomene, um die Funktionsweise des Gehirns zu ergründen. Denn anders als bei anderen kognitiven Leistungen stehen ihnen hier bereits ausgereifte Theorien der Linguisten zur Verfügung, an die sie bei ihren Experimenten anknüpfen können, so Angela D. Friederici vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig im Interview ab S. 26. Der Blick ins Gehirn verrät, dass die Sprachverarbeitung nicht bei jedem gleich verläuft: "Studien deuten darauf hin, dass Menschen, die eine piktografische Schrift erlernt haben, andere Faserverbindungen verstärkt nutzen als Europäer oder Amerikaner.""
Wo wir sind, da ist immer auch Ägypten.
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