?bersetzt von Holger Fliessbach
Leseprobe
Nachwort
Frank Nullmeier
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Murray Edelmans ?Politik als Ritual? verdanken wir einen eigenen Kritiktypus: Wann immer wir eine Politik als ?symbolisch? bezeichnen, rekurrieren wir auf den Grundgedanken seines Buches. Symbolische Politik steht f?r falschen Schein, bewusste T?uschung, eine Politik des ?Als-ob?, f?r Placebopolitik, Verschleierung, Verstellung, ?bert?nchung, Verdr?ngung, f?r Politik als Unterhaltungsshow, als ?sthetische Inszenierung, als Medienspektakel und Massenmanipulation. ?Wer eine Politik als symbolisch bezeichnet, kritisiert sie schon allein durch die Wahl dieser Bezeichnung und impliziert damit, dass man es anders und besser machen k?nnte und sollte? (Hansj?rgens/ L?bbe-Wolff 2000: 12). Symbolische Politik basiert auf strategischem Handeln politischer Eliten, die an der Intransparenz der ?wahren?, der ?eigentlichen? Politikprozesse interessiert sind. Politik zerf?llt in zwei Wirklichkeiten: die f?r den B?rger vor allem medial zug?ngliche Welt des sch?nen Scheins und die im Stillen sich vollziehende Interessenpolitik. Diese kann sowohl darin bestehen, gro?e Ver?nderungen zugunsten einzelner Gruppen und Akteure herbeizuf?hren, als auch darin, dass ?berhaupt nichts Relevantes passiert. Die Politik des Scheins vermag ein ?u?erst bewegtes ebenso wie ein beinahe unbewegtes Sein zu verbergen. So kann man einerseits beklagen, dass ?blo? symbolische Politik, mithin nur eine Oberfl?chenbewegung ohne Substanz stattfindet, oder andererseits, dass etwas gegen die Interessen vieler Menschen und zum Nutzen von Wenigen geschieht, was jedoch angesichts geschickter ?ffentlicher Inszenierung gar nicht sichtbar oder absichtlich verdeckt wird. In beiden F?llen lebt die Rede von symbolischer Politik davon, dass eigentlich etwas anderes geschieht als das, was zu sehen ist. Das Kritikmuster ?symbolische Politik? tritt heute ? nach dem Ende der Ideologien ? das Erbe der Ideologiekritik an.
Statt Ideologien beherrschen Inszenierungen und Scheinpolitiken die Zustimmungsbereitschaft der W?hler. Folglich muss sich die Kritik auf die M?glichkeiten erstrecken, mit Bildern und Sprache, mit Mythen und Ritualen die Herrschaftssicherung mittels passender ?berzeugungen auf Seiten der B?rger zu betreiben. Im Wahlkampf findet diese Kritik ihren vornehmsten Gegenstand. Ein zunehmend professionelleres Management der Wahlk?mpfe nutzt die jeweils modernsten Symbolformen. Sind Bilderwelten wirksamer als Texte, werden sie sich im Wahlkampf durchsetzen. So ist der Wahlkampf Musterfall symbolischer Politik und zugleich Spiegel des gerade erreichten Standes der Wirkungsweise von Symbolen und ihrer h?chst unterschiedlichen Kraft.
Die Kritik an symbolischer Politik und Wahlritualen in Wissenschaft wie ?ffentlichkeit fand ihren bisherigen H?hepunkt Ende der 1990er Jahre bis zur Bundestagswahl 2002. Die Modernisierung der Politikpr?sentation, der Ausbau der Wahlkampfapparate, die verst?rkte Medialisierung von Politik allgemein und speziell die auf Medienpr?senz ausgerichtete Politik des Bundeskanzlers Schr?der haben die ?Show?- und ?Performance?-Dimension des Politischen in den Vordergrund ger?ckt. Medienberater und Spin Doctors, Wahlkampfmanager und Kommunikationsagenten wurden zu die ?ffentlichkeit stark interessierenden Strategen der Politik. Politik schien zu Politainment zu mutieren, Wahlk?mpfe zu Inszenierungen, die auf expressive ?berw?ltigung der W?hler zielten. Als Ursache dieses Vorrangs der Showpolitik nannte man oft die Medien und deren neue Machtstellung. Partei- und Regierungspolitik m?sse aus Gr?nden des Wirksamwerdens immer mehr auf die Funktionsweise und Aufmerksamkeitszyklen der Massenmedien eingehen. Der Parteienstaat werde durch die zunehmende Medienvermittlung der Politik und die gesteigerte Konkurrenz unter den Medien zur ?Mediokratie? (Meyer 2001).
Durch Konzentration auf Wahlk?mpfe und deren immer perfektere Inszenierung kam es aber sowohl auf Seiten der Wissenschaft wie auf Seiten der ?ffentlichkeit zu der Vorstellung verselbstst?ndigter, autonom gewordener symbolischer Politik. Fasziniert von der Kraft der Inszenierungen verlor sich der Bezug zu den Politikinhalten endg?ltig. Die Show steht in dieser Sichtweise nicht mehr im Dienste der Verh?llung, sie ist eine Politikrealit?t sui generis. Ihr ist nicht l?nger die Beziehung zu materiellen Politiken immanent, sie steht f?r sich. Entsprechend werden an symbolische Politik nun eigene Ma?st?be angelegt: Nur was gut inszeniert ist, wird politisch belohnt, nur gute Shows erhalten noch die Unterst?tzung der W?hler und W?hlerinnen. Eine autonome politische Symbol-Welt entsteht, in der der Parteienkampf ausgetragen wird. Statt ideologischer Koh?renz und der ?berzeugungskraft von Parteiprogrammen oder politischen Forderungspakten sind nun die Inszenierungen selbst das wahlentscheidende Produkt des politischen Spiels. [...]
Die Vollkommenheit ist unerreichbar. Gewiß ist die Vollkommenheit unerreichbar. Sie hat nur den Sinn, deinen Weg wie ein Stern zu leiten. Sie ist Richtung und Streben auf etwas hin.
- Antoine de Saint-Exupéry, Die Stadt in der Wüste
- Antoine de Saint-Exupéry, Die Stadt in der Wüste