Essen: Bedenkliches und Bedenkenswertes

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    • Essen: Bedenkliches und Bedenkenswertes

      „Mit Selbstgekochtem kann man sich ein Stück Wahrheit einverleiben, und das will in unseren Tagen etwas heißen. Häusliches Kochen ist die Reaktion gegen Entfremdung von der Natur, aber auch Suchen nach kulinarischen Wurzeln.“ Vincent KLINK (Meisterkoch)


      Schon lange ist unser Essen ins Gerede gekommen. Zu Recht. Der Fleischerzeugung schlägt tiefe Skepsis entgegen, Obst steht unter Herbizidverdacht, und wachsender Argwohn begleitet die Zauberkunststücke der Nahrungsmittelchemie. Eine gigantische Industriemaschinerie ist damit beschäftigt, Tüten und Päckchen und Dosen und Folien mit solchen Nahrungsmitteln zu füllen, deren Zusammensetzung und vor allem deren Wirkung im menschlichen Körper niemand mehr nachvollziehen kann. Schlimmer noch: Dass die Bindung an bestimmte Produkte durch legale Suchtstoffe gefestigt werden kann, ist inzwischen kein Geheimnis mehr.

      Dabei ist es noch längst nicht aussichtslos, jenseits der Fast Food- und Convenience-Unkultur gut zu essen. Gut essen? Das bedeutet nach meiner Überzeugung, dem Körper möglichst solche Stoffe zuzuführen, mit denen er sich gattungsgeschichtlich langsam angefreundet hat. Für eine solche Freundschaft aber ist die Geschichte der Nahrungsmittelchemie viel zur kurz.

      Ist das zu schaffen? Gibt es eine Chance, gegen den Strom zu schwimmen, sich der aufdringlichen Verfügbarkeit der Ernährungsindustrie zu verweigern? Ich meine, ja. Das aber gelingt nicht voraussetzungslos. Erster Schritt: Emanzipieren. Selber kochen. So oft wie möglich.

      SommergemüseEin hehres Prinzip, wendet der Skeptiker ein, hoch genug jedenfalls, um es mühelos zu unterqueren. Keine Zeit? Zeit ist unpersönlich, genau genommen hat sie jeder. Es kommt nur auf die Einstellung an: Wer Kochen als lästigen Aufwand zur Behebung von Hungergefühl versteht, wird die Zeit in der Küche möglicherweise als Zeitverschwendung betrachten. Glücklicher dran sind jene, die schon der phantasievollen und kreativen Zubereitung von Speisen eine Menge Genuss abgewinnen können – und nicht im Traum auf den Gedanken kommen, ihre wertvolle Zeit vertan zu haben.

      Warum also nicht einfach mal die satte Zufriedenheit erleben, die ein gelungenes selbst gekochtes Essen schenken kann? Die Schwierigkeiten allerdings, so ist oft zu hören, beginnen bei der praktischen Umsetzung. Hier stehen Entscheidungen an, wie eigentlich überall. Beim Einkaufen, beim Auswählen. Und erst die Tücken der Zubereitung!

      Einige einfache Grundsätze, pragmatisch angewendet, können helfen, einen Weg der Vernunft zu gehen, gut zu kochen und besser zu essen:

      [size=medium] o Tradition ist ein wertvolles Gut
      o Wissenschaftliche Erkenntnisse nutzen
      o Region und Jahreszeit beachten
      o Frisch geht vor
      o Bewusst auswählen
      o Abwechslung ist Trumpf
      o Internationalität entwickeln
      o In Qualität investieren
      o Lustvoll vernünftig essen
      o Vorsicht beim Nachkochen![/size]

      Tradition ist ein wertvolles Gut

      Romanautor und Gourmet: Alexandre DumasGutes Essen ist vor allem Ergebnis kultureller Entwicklungen. Stets haben sich Menschen darum bemüht, aus den Grundstoffen, die ihnen zur Verfügung standen, sättigendes Essen in kreativer Weise immer genussvoller zu bereiten. Was sich über Jahrtausende an Zutaten und Zubereitungsformen entwickelt hat, ist kostbares Wissen, das es zu bewahren gilt. Es wäre jedoch eine falsche Interpretation von Kochtradition, wenn dahinter ein Verständnis von Unveränderbarkeit stehen würde. Alle guten Gerichte sind das Ergebnis von Weiterentwicklung. Heute, da für uns nahezu alle Kräuter und Gewürze der Welt zugänglich sind, ergeben sich für Weiterentwicklungen und Neuinterpretationen vielfältige Chancen.

      Wissenschaftliche Erkenntnisse nutzen

      Erweisen wir den Naturwissenschaften die Referenz, die sie verdienen, sogar der Nahrungsmittelchemie. Immerhin haben sie unser Wissen um die Inhaltsstoffe von Nahrungsmitteln erheblich erweitert. Das wiederum eröffnet uns zahlreiche Selbst produzierte Gemüse-WürzmischungMöglichkeiten, auf bestimmte Bestandteile von Speisen bewusst zu verzichten und andere zu ersetzen.

      Verzichten möchte ich beispielsweise auf alle Light-Produkte, möglichst auf gehärtete Fette, aber auch weitgehend auf industrielle Hilfsmittel wie Geschmacksverstärker, Emulgatoren, Stabilisatoren, Bindemittel, Aromen, Farb- und Konservierungsstoffe. Produkte wie Ketchup und Fertigmayonnaise sowie Vergleichbares sind ohne Genussverzicht entbehrlich. Vieles lässt sich problemlos ohne Geschmackseinbuße ersetzen. Zum Beispiel „gekörnte Brühe“ durch selbstgemachte Gemüse-Würzmischung oder industrieller Saucenbinder durch simple Kartoffelstärke.

      Region und Jahreszeit beachten

      Empfehlenswert scheint mir eine Rückbesinnung auf die Jahreszeitlichkeit, und zwar nicht aus nostalgischer Stimmung, sondern als Gebot der Vernunft. Wer kauft, was die Region zu bestimmten Zeiten bereithält, hat gute Chancen, frische Produkte preiswert zu erwerben. Frische Kräuter und Gemüse im FrühjahrÜberdies sind diese oft wertvoller und schmackhafter als Interkontinental-Importe, deren Weg auch noch ein ökologisches Dilemma verdeutlicht: Entweder müssen diese künstlich haltbar gemacht werden oder sie erfordern den Transport auf dem Luftweg. Um nicht falsch verstanden zu werden: Dies ist kein Aufruf zum Boykott von Bananen aus Guatemala, Rindfleisch aus Argentinien oder Wein aus Australien, sondern nur eine Anregung, denjenigen Produkten etwas mehr Aufmerksamkeit zu widmen, die zu bestimmten Zeiten gewissermaßen in der Nachbarschaft zu Hause sind. Die Rückbesinnung auf den Wert regionaler Produkte hat nichts mit dumpfer Provinzialität zu tun. Im Gegenteil, sie ist für mich ein wichtiger Aspekt zeitgemäßen Kochens. Auf Olivenöl möchte deshalb nicht verzichten müssen.

      Frisch geht vor

      Wer sich schon einmal über längere Zeit ausschließlich mit „Fast Food“ und industriell hergestellten Nahrungsmitteln ernährt hat, wird es wissen: Irgendwann signalisiert der Körper ein Defizit. Das angenehme Gefühl,Spargel mit Kartoffeln, Zitrone und Olivenöl richtig satt und zufrieden zu sein, will sich einfach nicht mehr einstellen. Hier sollte man den Signalen seines Körpers vertrauen und zur Eigentätigkeit schreiten. Ein selbst produziertes Essen aus frischen Zutaten mit einem angemessenen Rohkostanteil ist vom Nährstoffgehalt nicht zu übertreffen. Zugegeben, es ist viel einfacher, sich mit Produkten in Dosen oder Fertiggerichten zu bevorraten. Nur: Wer das tut, verzichtet nicht nur auf wichtige Nährstoffe, sondern auch auf Genuss.

      Doch hier wie überall gilt, dass das kein Dogma sein muss. So haben beispielsweise geschälte Tomaten in Dosen in meiner Küche kein Aufenthaltsverbot. Wer auf eine gewisse Vorratswirtschaft nicht verzichten kann oder will, sollte Tiefkühlprodukten den Vorrang vor Dosenware geben.
      Bewusst auswählen

      Das Angebot ist riesig, also stehen täglich Entscheidungen an. Meine Devise: Lebensmittel so naturbelassen wie möglich einkaufen und verwenden. Das kann heißen: Kartoffeln statt Tütenpüree, Vollkornbrot mit Natursauerteig statt aufgeblasener Brötchen aus Fertigbackmischung, kaltgepresste Öle statt raffinierter Produkte, reine Gewürze statt dubioser Würzmischungen. Doch hier wie überall in der Küche ist Dogmatismus fehl am Platz: Ein frisches Baguette beispielsweise oder ein türkisches Pitabrot muss man sich nicht versagen.

      Abwechslung ist Trumpf

      Bei der Auswahl der Nahrungsmittel sollte Vielfalt herrschen, denn Nährstoffe sind nun mal nicht gleichmäßig verteilt. Wer sich abwechslungsreich ernährt, beugt nicht nur Langeweile, sondern auch Mangelerscheinungen vor. Frisches Obst und Gemüse sollten jeden Tag auf den Tisch, Vollkornbrot auch. Abwechslung kann auch heißen, auf tägliche Fleischmahlzeiten zu verzichten und sich öfter mal bewusst für ein fleischloses Gericht zu entscheiden.
      Internationalität entwickeln

      Heute haben wir die Möglichkeit, im Zeitraffertempo zu erleben, was sich früher nur langsam und als Ergebnis vielfältiger Ursachen abspielte: die Übernahme von Kocherfahrungen anderer Länder und anderer Völker. Ich halte besonders im Sommer die puren einfachen Gerichte der Mittelmeerküche für nachahmenswert. Auch asiatische Zubereitungsweisen haben ihren Reiz und gesundheitlichen Wert.

      Asiatische Zubereitungsweisen haben ihren ReizZugegeben, die Internationalisierung der Küche hat auch Rückschläge zu verkraften. Ich denke dabei an die Ketten von standardisierten Hamburgerbrätereien, Hühnertotalverwertern und Pizzabäckereien mit dem speziellen Angebot „All you can eat“ – Stopfen bis zum Würgereiz. Unterm Strich jedoch hat sich das Spektrum der wirklichen Genussmöglichkeiten erheblich erweitert.

      Vorsorglich möchte ich allerdings darauf hinweisen, dass Geschmack erheblich variieren kann. So dürfte ein Harzer Käse für die meisten Asiaten ein fast unüberwindliches Hindernis darstellen, während ein Harzer Mensch an der chinesischen Interpretation des Hot Dog vermutlich wenig Gefallen finden wird. Halten wir daher fest, dass Internationalität etwas Wunderbares ist, selbst wenn nicht allen überall alles schmeckt.

      In Qualität investieren

      Nachhaltig plädiere ich für Sorgfalt, wenn es um die Qualität der verwendeten Produkte geht. Wer gut kochen will, benötigt nun einmal gute Zutaten. Die sind häufig ziemlich teuer, vor allem bei Fleisch. Doch nicht allein hier: Auch Eier vom Bauernhof oder Gemüse und Obst vom regionalen Biobauern sind leider oft ein kostspieliges Vergnügen, das sich nicht jeder jeden Tag leisten kann. Was also tun? Zunächst: Sorgsam aussuchen, Verzicht statt Ramsch. (Die Einwohner Kretas sind selten krank und leben lange, ohne wohlhabend zu sein. Viel Geld zu haben ist offenbar nicht alles...). Sodann: Phantasievoll kann man auch mit Zutaten kochen, die als einwandfreie Produkte noch bezahlbar sind, zum Beispiel Kartoffel- oder Pasta-Gerichte. Es muss ja nicht immer Kaviar sein...
      Hüttenkäse mit Basilikum und Olivenö

      lLustvoll vernünftig essen

      In gewisser Weise ist unser Organismus traditionsgebunden. Unbeirrbar folgt er uralten Reflexen: Steht viel Nahrung zur Verfügung, so wird gegessen. Was aber die Körperchemie automatisch vollzieht, muss in Zeiten des Überflusses durch den Kopf korrigiert werden. Nicht alles, was uns gerade so verlockend vor Augen steht, tut uns gut. Wie genussvoll können „einfache“ Gerichte wie Quark mit den ersten frischen Frühlingskräutern oder eine selbst produzierte Kartoffelsuppe sein. Üppige Festtagsgerichte können immer noch jenen Tagen vorbehalten bleiben, denen sie ihren Namen verdanken.
      Vorsicht beim Nachkochen!

      Ein letzter guter Ratschlag bezieht sich auf eine gewisse unerlässliche Skepsis beim Kochen nach Rezepten. Was dort oft als kinderleichter Prozess oder sicheres Resultat beschrieben wird, hält einer praktischen Prüfung nicht immer stand. Beispiele: Es ist eben nicht ganz einfach, mal eben nebenher frische Pasta mit der eigenen Nudelmaschine zu produzieren, auch wenn manche Kochanleitungen diesen Eindruck zu vermitteln suchen. Es wird einem Anfänger vermutlich nicht auf Anhieb gelingen, das Steak in der gewünschten Art zu braten, Linsen bis zur bevorzugten Konsistenz zu garen oder auch nur ein saftiges Rührei zu bereiten. Noch schwerer ist es, den Zufall aus der Küche zu verbannen und ein Gericht mehrfach in gleicher Güte herzustellen. Naturprodukte entziehen sich glücklicherweise der Standardisierung. Also bitte nicht entmutigen lassen, wenn mal etwas daneben geht; früher oder später bewahrheitet sich auch in der Küche die alte Weisheit, dass Übung zur Meisterschaft führt.

      Den letzten Satz bitte deutlich unterstreichen, da die Frau doch des öfteren schmunzeln muss, wie ihr männlicher Freund trotz wunderbarer Theorie das Schnitzel in der Pfanne verbrutzelt. ;)