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Man kann nicht wirklich behaupten, dass die Lektüre von Nouriel Roubinis (und Co-Autor Stephen Mihms) jüngstem Buch "Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft" für zuversichtliche Stimmung des Lesers sorgt, ganz im Gegenteil.
"Die jüngste Krise hat deutlich gemacht, dass uns eher ein Zeitalter der großen Instabilität bevorsteht als ein langer Aufschwung. Spekulationsblasen und Einbrüche können sich mehren und Krisen, die nach früherer Überzeugung nur ein, zwei Mal in jedem Jahrhundert auftreten, könnten die Weltwirtschaft deutlich öfter beuteln. Ereignisse, die früher unvorhersehbar und selten waren, sind vielleicht bald der Normalzustand," prognostiziert uns der Autor eine eher ungemütliche Zukunft.
Ein undogmatischer Pragmatiker
Das ist einerseits nicht weiter überraschend, anderseits aber durchaus beunruhigend. Absehbar, weil der Ökonom Roubini in seinem Fach auf den Spitznamen "Doctor Doom" (also etwa "Dr. Weltuntergang") hört, weil seine Prognosen meist nur wenig Anlass zur Freude geben. Beunruhigend hingegen ist seine Vision von der mehr oder weniger permanenten Wirtschaftskrise über viele Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte, weil er in der Vergangenheit mit seinen Prognosen bemerkenswert richtig lag.
Dass er "als einziger die Finanzkrise hat kommen sehen" (Klappentext), ist zwar leicht übertrieben – aber eben nur leicht. Weshalb sich auch seine Beratungsfirma "Roubini Global Economics" der Aufträge von Unternehmen und Regierungen kaum erwehren kann. Der Mann, als Sohn iranischer Juden in Istanbul geboren, in Teheran und Tel Aviv herangewachsen, später über Italien in die USA gegangen, wo er heute als Unternehmer und Professor der New York University lebt, ist heute in seinem Fach ein echter Star. Auch wenn er aus seiner Sympathie für einen stärkeren Staat zum Behufe der Linderung der Krise kein Hehl macht – klar einer ökonomischen Richtung ist er nicht zuzuordnen.
Gelegentlich geriert er sich ganz im Zeitgeist als Gelegenheitskeynesianer, manchmal hingegen (vor allem in der Frage der Staatsverschuldung) lässt er sogar ein wenig Sympathie für die Keynes wenig gewogene "Austrian School" der Nationalökonomie erkennen. In erster Linie versteht er sich als undogmatischer Pragmatiker, der überschaubaren Respekt vor ökonomischen Fundamentalismen aller Art hat.
Was gleichzeitig eine Stärke wie eine Schwäche des Buches darstellt. Denn gerade der fachlich nicht so besonders versierte Leser wird zwar schätzen, dass Roubini in jenem Teil des Buches, das die Ursachen der Krise beschreibt, nicht nur sehr verständlich schreibt, sondern auch einander durchaus widersprechende Theorien zu Wort kommen lässt. Das ehrt den Autor, lässt den Leser aber gelegentlich ohne Gewinn an neuen Überzeugungen (oder wenigstens Bestätigung der alten Vorurteile) zurück. Fast könnte man das Buch als eine Art Lexikon der Krise, ihrer Ursachen und ihrer Folgen verstehen und verwenden, das allein schon macht es wertvoll und nützlich. Wer nur ein einziges Buch zu diesem Thema lesen will, ist mit dem Roubinis sicher gut bedient.
Trotz seines grundsätzlichen Bekenntnisses zu einem etwas stärkeren Staat – wohl primär im amerikanischen Kontext zu lesen – zählt Roubini nicht zu jenen Vulgärkeynesianern, die uns glauben machen wollen, mehr Staatsschulden seien ein Allheilmittel gegen die Krise. "Die Vorstellung vom perfekten Konjunkturanreiz ohne Nebenwirkungen ist ein schöner Traum – zumindest in den meisten Demokratien. Haushaltspolitische Maßnahmen (.. .) münden oft in sinnlosen, verschwenderischen und populistischen Projekten." Dem wird man, auch und gerade aus dem lokalen österreichischen Blickwinkel, nicht wirklich widersprechen wollen.
Auf globaler Ebene aber bergen diese vulgärkeynesianischen Ausgabenexzesse existentielle Risken, konzediert Roubini: "Heute gründet sich das globale Währungssystem auf ungedecktes Papiergeld, auf eine Währung also, die keinen Substanzwert hat (.. .) In gewisser Weise hat der Dollar die Rolle übernommen, die früher Gold hatte. Wenn er zusammenbräche, dann wäre das, als hätten Regenten vergangener Zeiten ihre Gewölbe geöffnet und festgestellt, dass ihre wertvollen Münzbestände zu Staub zerfallen sind. Das könnte passieren, wenn die Defizite der Vereinigten Staaten weiter aus dem Ruder laufen."
Leider ist genau das der Fall. Roubini hat sein Buch noch vor Beginn der Griechenland-Krise und der davon ausgelösten weltweiten Furcht vor staatlichen Schuldenexzessen geschrieben; dennoch plädiert US-Präsident Obama weiter für Staatsschulden, als gäbe es kein Morgen. Sollte der ehemalige Clinton-Berater Roubini recht haben, eine eher bedenkliche Politik von Bill Clintons Nachfolger im Weißen Haus.
"Inflation in einer Höhe, wie wir sie zuletzt in den 1970er-Jahren gesehen haben" (also um die zehn Prozent, Anm.) hält Roubini für durchaus denkbar als Folge der Schuldenexzesse mancher Staaten, auch wenn er für 2010/11 eher die Deflation als Gefahr ortet, der anhaltenden anämischen Wirtschaftslage wegen. Einen "Zerfall der Europäischen Währungsunion" hält Roubini für ebenso denkbar wie das neuerliche Platzen einer durch die Politik des superbilligen Geldes ausgelösten Blase. Dann, so Roubini, "werden erneut Werte und Wohlstand vernichtet und die Welt steht vor einer neuen Krise."
Kann China die globale Konjunktur pölzen?
Die Hoffnung vieler Politiker im Westen, Peking könne durch weiterhin ungebremste Nachfrage die globale Konjunktur pölzen, teilt Roubini nicht wirklich: "China ist zunehmend vom Absturz bedroht, wenn (. . .) vermehrte Kreditausfälle eine ernste Bankenkrise auslösen könnten."
Zu pessimistisch? In der Vergangenheit hat Nouriel "Dr. Doom" Roubini leider oft in einem Ausmaß recht behalten, dass man seine jüngsten Warnungen nicht so einfach beiseite schieben kann. Auch diese Wirklichkeit verschwindet nicht davon, dass man einfach wegsieht.
(Nouriel Roubini, Stephen Mihm: Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft. Übersetzt von Jürgen Neubauer und Petra Pyka. Campus Verlag, 470 Seiten, 25,60 Euro.)
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