anderthalb Jahrzehnten ist es gelungen, einen in sich heterogenen und
widersprüchlichen Kulturkreis zu einer ubiquitären Bedrohung
aufzubauen, denn den Islam gibt es so wenig wie das Christentum, ja
die islamische Welt ist mit ihren zwei wichtigsten Konfessionen, sunna und shia,
mit ihren vier Rechtsschulen, mit unzähligen Formen eines von den
Schriften weit entfernten Volksislam, vor allem aber mit ihren
zahlreichen säkularen Gruppen noch weniger geeint als das Christentum
mit all seinen Varianten von Bigotten und Fundamentalisten bis zur
(katholischen!) Befreiungstheologie. Wie in allen Glaubensrichtungen
gibt es auch im Islam Phasen und Dimensionen einer Politisierung, die
jedoch nur aus dem historischen Kontext heraus zu erklären ist. Der
politische Islam oder Islamismus, der heute in Erscheinung tritt, muß
als eine Reaktion auf den Imperialismus und die koloniale Expansion
Europas in den Orient verstanden werden, eine Reaktion auf die auch mit
christlichem Sendungsbewußtsein vorgetragene zivilisatorische Mission
des Westens.
Ein religiös fundiertes anti-imperialistisches
Programm formulierten erstmals die Muslim-Brüder (gegründet 1928 in
Ägypten), die sich allerdings primär gegen die säkularen
politisch-militärischen Eliten ihrer Länder richteten. Diese Eliten
erhielten während des Kalten Krieges in ihrem Kampf gegen den
Kolonialismus und die Dominanz des Westens die Unterstützung der
Sowjetunion was sie nicht daran hinderte, in ihren Ländern die
Kommunisten und die linke Intelligenz gnadenlos zu bekämpfen und
Hunderte, ja Tausende von Menschen zu ermorden oder hinzurichten, vor
allem in Ägypten, Syrien, Irak. Dennoch lieferte die Sowjetunion
aufgrund von machtpolitischen und geostrategischen Überlegungen
weiterhin politische Unterstützung und Waffen. Seit Beginn der 1970er
Jahre also lange vor dem Krieg gegen die Sowjetunion in Afghanistan
und den dort von der CIA mit saudischem Geld aufgebauten islamistischen
Brigaden erfuhren die Islamisten zunehmende Unterstützung sowohl
seitens der USA wie der meisten Regime der Region, galten sie doch vor
allem an den Universitäten und in der gewerkschaftlichen Arbeiterschaft
als nützliches Gegengewicht gegen die atheistische Linke: So wurden
islamische Gewerkschaften gegründet und die Zellen der Muslimbrüder an
den Universitäten unterstützt. Damals förderte auch Israel die aus der
unbedeutenden palästinensischen Muslimbruderschaft hervorgegangene
Hamas, um ein Gegengewicht gegen die PLO zu schaffen, ihr geistiges
Oberhaupt Sheikh Yassin (im März 2004 von Israel ermordet) war gern
gesehener Interview-Partner im israelischen Fernsehen.
Mit dem realen Zusammenbruch des Sozialismus
sowjetischer Prägung verlor der Westen zugleich seinen Feind und sein
Feindbild. Diese Lücke füllte Samuel P. Huntington mit seinem Epoche
machenden (und drei Jahre später zu einem dicken Buch erweiterten)
Aufsatz The Clash of Civilizations?, der 1993 in der Zeitschrift Foreign Affairs
erschien. Begierig griffen die militaristischen Kreise des Westens das
neue Feindbild auf, ging es doch um ihre Legitimation und vor allem um
die der NATO: Schon 1994 stellte das französische
Verteidigungs-weißbuch fest: Der islamistische Extremismus
stellt ohne Frage die beunruhi-gendste Bedrohung dar. (...) Er nimmt
oft den Platz ein, den der Kommunismus innehatte als Widerstandsform
gegen die westliche Welt. Und der damalige NATO-Generalsekretär Willi
Claes dramatisierte in einem Interview mit der britischen Tageszeitung The Independent
(8. Februar 1995): Der islamische Fundamentalismus sei möglicherweise
eine größere Bedrohung, als der Kommu-nismus je gewesen sei.
Der 11. September 2001 lieferte dann den
endgültigen Beweis für den auf planetarischer Ebene entbrannten Kampf
der Kulturen und den daher notwen-digen, weltweit zu führenden Krieg
gegen den Terror. Solche Kriegführung paßt sich den Erfordernissen der
globalisierten Welt an: Bis zum Ende der Bipolarität standen sich
Staaten mit ihren Gewaltmonopolen auf klar definierten Territorien
gegenüber. Mit der Globalisierung expandieren nicht nur Finanz-kapital
und Märkte weit über staatliche Grenzen (und Regulation) hinaus, auch
die Transnationalisierung von Migration, Lebensstilen und Kulturmustern
ist ein wesentliches Merkmal dieser sich herausbildenden neuen
Weltgesellschaft. Das Feindbild Islam trägt dieser neuen Realität in
geradezu perfekter Weise Rechnung: Der Feind steht nicht mehr an den
Grenzen, er bedroht uns nicht mehr mit klassischen Armeen er ist
hier, unter uns, überall. Soziale Ängste, ihrerseits Folgen der
neoliberalen Globalisierung, und unterschwelliger Rassismus lassen sich
verschmelzen mit neo-imperialistischen Strategien zur Sicherung
unserer Rohstoffe. Und die beschworene Bedrohung wird dazu genutzt,
das Völkerrecht in einem Zug mit der Rechtsstaatlichkeit im Inneren zu
demolieren ...
campaigniran.org
Lasst euch nicht verhetzen!
Weder von Personen noch vom Staat.
Die Vollkommenheit ist unerreichbar. Gewiß ist die Vollkommenheit unerreichbar. Sie hat nur den Sinn, deinen Weg wie ein Stern zu leiten. Sie ist Richtung und Streben auf etwas hin.
- Antoine de Saint-Exupéry, Die Stadt in der Wüste
- Antoine de Saint-Exupéry, Die Stadt in der Wüste