[Alternativen] Regionalgeld /Freigeld und die Vision des Silvio Gesell

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  • [Alternativen] Regionalgeld /Freigeld und die Vision des Silvio Gesell

    Einführungsbeitrag

    Norbert Rost: Globalisierung mitgestalten – Regionalgeld als Hebel

    Regionalgeld ist angewandte Kapitalismuskritik. "Kapitalismuskritik", weil die Betrachtung der Wirtschaftswelt aus Sicht des Geldes Kritikpunkte an unserer Art des Wirtschaftens offenbart, "angewandt", weil Regionalgeld als umsetzbares und in verschiedenen Regionen umgesetztes Werkzeug die Kritik nicht nur im Reden sondern im Tun real werden läßt. Unser Wirtschaftssystem ist nicht perfekt. Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrisen, eine zunehmende Schere zwischen Arm und Reich sowie die Umweltzerstörung sind Aspekte, die deutlich machen: Es gibt sehr viel Raum für Verbesserungen. Ein Beispiel: Geldvermögen wachsen durch Zins und Zinseszins exponentiell. Geld stellt jedoch einen Anspruch ans Bruttoinlandsprodukt (BIP) dar, also quasi ein Anteilsschein auf die Menge aller produzierten Produkte und Leistungen einer Volkswirtschaft. Wachsen die Geldvermögen immer weiter, so bedeutet dies, daß immer mehr Ansprüche auf ein Stück des BIP-Kuchens existieren – entsprechend müßte das BIP mindestens mit derselben Wachstumsrate wachsen, wie die Ansprüche darauf. In der Realität passiert dies nicht, dort wachsen die Geldvermögen (=Ansprüche) derzeit mit ca. 5% pro Jahr während das BIP "nur" auf ca. 2% kommt. Aus den wachsenden Ansprüchen des Kapitals (Kapitaleinkommen) läßt sich ableiten, daß die Ansprüche der Arbeit (Arbeitseinkommen) tendenziell sinken müssen:

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    Abbildung 1: Arbeitseinkommen = BIP - Kapitaleinkommen

    Doch es gibt weitere Entwicklungen, die uns darüber nachdenken lassen sollten, wie wir künftig wirtschaften wollen. Eine dieser Entwicklung wird mit dem Schlagwort "Peak Oil" umschrieben. Es kennzeichnet die Situation, daß die Nachfrage nach Öl weiter steigt, während die Fördermenge auf ihren Höhepunkt zustrebt. Es befinden sich zwar noch sehr große Mengen Öl im Erdboden, allerdings wird es zunehmend schwerer, die Fördergeschwindigkeit mit der Verbrauchsgeschwindigkeit in Einklang zu halten. Steigende Öl-Preise sind erst der Beginn, knapper werdendes Öl destabilisiert jedoch die eingefahrenen Wirtschafts-Wege, denn Öl ist Grundlage jedes Transports, bei der Produktion von chemischen Verbindungen (z.B. Plastik), in der Landwirtschaft (Öl als Grundlage für Düngemittel) usw.

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    Abbildung 2: Das Peak Oil-Problem auf Basis eines 2004er Szenarios

    Dazu Lester Brown, Präsident des Earth Policy Institut in der ARTE-Doku "Die demografische Zeitbombe - 2030" (Sendedatum 27.03.2007):

    "Wenn in China im Jahr 2030 auf 3 Menschen 4 Autos kämen wie heute bei uns, wären das 1,1 Milliarden Autos. Die gesamte Weltflotte liegt derzeit bei 800 Millionen. China würde dann täglich 99 Millionen Barrel Öl verbrauchen. Heute liegt die Weltproduktion bei 84 Millionen täglich. Und das lässt sich nicht wesentlich steigern.

    China zeigt uns eines ganz deutlich: Das westliche Modell einer ölabhängigen, autozentrierten Wegwerfgesellschaft funktioniert dort nicht. Und es funktioniert nicht für Indien, wo bald vielleicht sogar noch mehr Menschen leben und nicht für die 3 Milliarden Menschen in den Entwicklungsländern, die ebenfalls den amerikanischen Traum träumen."


    Ergänzend möchte ich fragen: Wie kann dieses Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell dann langfristig in der westlichen Hemisphäre funktionieren?

    Globalisierung ist toll!

    Wir können

    - global reisen
    - global kommunizieren
    - global arbeitsteilen
    - und es entsteht ein globales Bewusstsein! (Stichwort: Klimaschutz)

    Aber unsere Art der Globalisierung birgt Probleme:

    Überregionale Probleme wie

    - Peak Oil-Problem
    - Kreditkrise ausgehend vom US-Immobilienmarkt
    - globale Arbeitslosigkeit
    - globale Umweltzerstörung
    - Preisanstieg bei Rohstoffen
    - sinkende Löhne

    sowie regionale Probleme wie

    - Kaufkraftabfluss
    - Abwanderung
    - Strukturschwäche

    Regionalgeld bzw. Regionalwährungen können Werkzeuge sein, um diese Probleme anzugehen. Sie stellen zugleich ein fachübergreifendes "Spielfeld" dar:

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    Abbildung 3: Regionalgeld als fachübergreifendes Instrument

    Wie funktioniert (Regional-)Geld?
    Ein Grundprinzip der (produzierenden) Ökonomie lautet: Jedem Geld-Fluß steht ein Leistungs-Fluß in entgegengesetzter Richtung gegenüber. Oder anders: Immer wenn jemand Geld ausgibt, um damit eine Leistung zu kaufen, fließt diese Leistung in Gegenrichtung des Geld-Flusses. (Abb. 4)

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    Abbildung 4: Leistungsfluss <--> Geldfluss

    Dieses Grundprinzip kann nun in einen geografischen Kontext gesetzt werden (Abb. 5)

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    Abbildung 5: Geld in einem geografischen Kontext

    und macht dabei deutlich: Geld fließt aus jenen Regionen ab, die besonders viele Waren und Leistungen importieren und es fließt zu jenen Regionen, in denen diese Leistungen produziert werden. Da Menschen jedoch nur dort ihre Leistung verkaufen können, wo das Geld zum Kauf dieser Leistung vorhanden ist, fließen die Menschen dem Geld hinterher. Abwanderung folgt in riesigen Währungsräumen, in denen keine Puffer mehr zwischen wirtschaftsstarken und strukturschwachen Regionen vorhanden sind.

    Regionalgeld funktioniert nach denselben Prinzipien: Jedem Geldfluss steht ein Leistungsfluss gegenüber (Abb. 6).

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    Abbildung 6: Regionalgeld funktioniert nach denselben Gesetzen, nur kleinräumiger

    Allerdings können Erlöse in Regionalgeld nicht außerhalb der Region ausgegeben werden und fließen deshalb immer wieder in die Region zurück, in der sie erzielt wurden (Abb. 7).

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    Abbildung 7: Wirkung: Kaufkraft bleibt regional gebunden und vermittelt regional Aufträge

    Die im Regionalgeld gebundene Kaufkraft zirkuliert regional, setzt regionale Produkte und Leistungen um, fördert lokale Unternehmen (vor allem KMU) und damit auch den Arbeitsmarkt.

    Zusammenfassung Regionalgeld:

    - Regio ergänzt Euro, Freiwilligkeit der Nutzung
    - Kaufkraftbindung
    - regionale Wirtschaftskreisläufe
    - regionale Wertschöpfungsketten
    - Versorgungssouveränität
    - Produktion rückt näher zum Konsum
    - Transportwege verkürzen sich
    - Vision: Europa der Regionen (Abb. 8 )

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    Abbildung 8: Europa der Regionen - geformt durch regionale Wirtschaftskreisläufe, ergänzt durch kontinentalen Leistungsaustausch

    Global gesehen läßt sich daraus die Entwicklung eines mehrdimensionalen Währungssystems ableiten: Kleinräumigere Währungssysteme ergänzen die bereits existierenden National- oder Kontinentalwährungen, die ihrerseits um eine globale, supranationale Währung ergänzt werden.

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    Abbildung 9: Mehrdimensionales Währungssystem

    Regionalgeld ist ein Werkzeug, welches sich durch seine Nähe zum Menschen auszeichnet:

    Regionalgeld

    - liegt im Einflußbereich
    - erweitert den Einflußbereich
    - wirkt auf Wirtschaftsstrukturen
    - konkrete Globalisierungs-Ergänzung
    - Dafür statt Dagegen
    - schafft Handlungsspielraum
    - bildet Bewußtsein

    Dadurch unterscheidet es sich von vielen anderen Instrumenten und Strategien, die oft darauf abzielen, globale Entwicklungen zu beeinflussen oder anzustoßen und dabei übersehen, daß sich das Globale ebenfalls aus dem Lokalen zusammensetzt und deshalb dort der erste Ansatz zu suchen sein sollte.

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    Abbildung 10: Netzbewusstsein

    Regionalgeld hilft, die Auswirkungen des eigenen ökonomischen Handelns vor Augen zu führen. Vernetztes Denken tritt verstärkt zu Tage.

    Investieren <-> Kaufen

    bewusst <-> bewusstlos

    zielgerichtet <-> ziellos

    langfristig orientiert <-> kurzfristig orientiert

    Auswirkungen einbeziehend <-> Auswirkungen ausblendend


    Regionalgeld gibt uns als Geldbenutzer ein Werkzeug in die Hand, mit dem wir mitbestimmen können, wie gewirtschaftet wird. Dies ergibt sich aus dem Phänomen, daß Menschen die Regionalgeld einnehmen, dies immer wieder regional ausgeben müssen und sich dadurch ihre Lieferantenstruktur ändert – hin zu einer regionalen Orientierung.

    Doch Regionalgeld berührt noch tieferliegende Fragen unserer Ökonomie. Es stellt nämlich auch die Frage in den Raum:

    Wem gebührt in einer demokratischen Gesellschaft das Recht auf Geldschöpfung?

    (Zusammenfassung eines Vortrages im Rahmen der Umweltringvorlesung "Politik machen mit dem Einkaufskorb" an der TU Dresden am 6. Dezember 2007)

    Dazu noch die Diplomarbeit von Norbert Rost:
    N-Maschine.pdf
  • Fritz Schwarz - Das Experiment von Wörgl

    Im Jahr 1932 wurde in der Tiroler Gemeinde Wörgl aufgrund der Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise ein Modellversuch mit freiwirtschaftlichem Ansatz durchgeführt. Kernpunkt war die Einführung einer mit einer Umlaufsicherungsgebühr behafteten Währung mit einer 1% Abwertung im Monat. In der Folgezeit wurde der Geldkreislauf und auch die Wirtschaftstätigkeit entgegen dem allgemeinen Trend wiederbelebt. Die positiven Auswirkungen führten dazu, dass man den Modellversuch in der Presse damals als das Wunder von Wörgl bezeichnete und das Interesse daran derart stieg, dass über hundert weitere Gemeinden in Österreich dem Beispiel folgen wollten. Allerdings legte die Österreichische Nationalbank vor Gericht erfolgreich Widerspruch ein, woraufhin das Modell von Wörgl und alle weiteren Planungen verboten wurden. Da in der Folge die Weltwirtschaft wieder anzog und bald darauf der 2. Weltkrieg ausbrach, gerieten das Modell und sein Erfolg vorerst in Vergessenheit. 1951 und 1983 erinnerten Freiwirtschaftskongresse in Wörgl an das Währungsexperiment, ebenso eine Tagung 1996. Das 2003 gegründete Unterguggenberger Institut widmet sich einerseits der Dokumentation und Öffentlichkeitsarbeit über die historischen Vorgänge 1932/33 im Rahmen der Wörgler Nothilfeaktion, andererseits werden Informationen zum Thema Komplementärwährungen heute gesammelt und weitergegeben. Das Jahr 2007 stellt die Stadt Wörgl unter das Motto Freigeldjahr, wozu eine Reihe von Veranstaltungen zum Thema Wörgler Freigeld und Komplementärwährungen stattfinden werden.

    Dazu unbedingt lesen: Fritz Schwarz - Das Experiment von Wörgl