Halli Galli & Dekadenz - Impressionen einer Weltmeisterschaft

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  • Halli Galli & Dekadenz - Impressionen einer Weltmeisterschaft

    Liebes Forum,

    mit diesem Beitrag gebe ich meinen Einstand und hoffe damit etwas zum Forum beitragen zu können, aber zum Thema :

    Halli Galli & Dekadenz - Impressionen einer Weltmeisterschaft

    Ich bin nicht der Typ der sich einfach mal auf irgendwelche Großveranstaltungen begibt, ich mag die breite Masse nicht und kann mich für ein Sardinengefühl nur wenig begeistern - einem geschenkten Gaul schaut man nichts Maul.
    So habe ich mich dann, in anbetracht des enormen Preises von immerhin knapp 27Euro breit schlagen lassen, auf zur WOK WM 2008, natürlich in Altenberg. Ich stamme aus Sachsen, wohne wenige Kilometer von besagten Bergbauort, der ca. 3km vor der Grenze nach Tschechien gelegen ist, entfernt. Im Vorfeld hat sich natürlich die gesamte Region gefreut, hier im Weißeritzkreis gibt es eine hohe Arbeitslosenquote, der Männerüberschuß, bedingt durch die Abwanderung von jungen Frauen, ist mehr als problematisch (siehe: *1) und akkut krank werden oder einen ernsten Unfall, wie folgender Artikel zeigt: sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=1230297, haben kann tödlich enden.
    Viele erhoffen sich einen Schneeballeffekt, denken jetzt wo die große Welt in das beschauliche Erzgebirge kommt, bekommen auch wir etwas vom großen Kuchen ab.
    Aber backen wir erstmal kleine Brötchen, die Zufahrt zum Austragungsort, der Rennschlitten und Rodelbahn Altenberg, war problemlos, die Ordnungsmacht hatte alles im Griff und mich gleich zum nächstgelegenen Parkplatz, ca. 5km entfernt, dirigiert. Von dort ab mit dem Pendelbus zum Austragungsort, dachte ich, Raabs Vasallen, vornehmlich junge, sehr attraktive Damen, stürmten den Bus und kassierten erstmal ab - 2 Euro die Fahrt. Den ersten Schreck überwunden kam ich endlich an, die Anlage und der umliegende Wald war in ein Neonweiß getaucht welches selbst Steven Spielberg begeistert hätte. Die grimmig schauenden Wachmänner am Eingangstor verstärkten die etwas surreal wirkende Szene - Science Fiction pur. Nun war ich da, an einem Ort den ich eigentlich nicht besuchen wollte...
    Zu meiner Überraschung war kein Gedränge, ein paar Leute waren schon zu sehen aber eben nur ein paar, mein Eindruck verstärke sich beim eigentlichen Rundgang, alles wirkte irgendwie leer. Im Vorfeld war nun die Rede das alle Karten ausverkauft sein, wobei die dubiose Gestalt welche mir noch schnell ein paar Karten vor der Veranstaltung andrehen wollte ziemlich verdutzt war als ich ihm zum Vorzugspreis von 30Euro meine Karte feil bot. Ich dachte das Ding sei voll, unter Ausverkauft assoziiere ich Sardinenbüchsengefühl und Gruppenschieben, bei Raab ist das halt nicht so und mir war es ganz Recht, vielleicht wird der Abend doch nicht so schlecht.
    Abgesehen von der Showbühne, welche etwas stärker frequentiert war, hatte man überall ausreichend Platz. Nun wollte ich ja was sehen, also nichts wie hin zu Kelly, Hackel, Raab und Co. Die drei schwarze gekleideten Herren im Schrankformat erinnerten mich und meine Bekleitung höfflich und direkt daran das wir eben keine "sehr wichtigen Personen" sein, eben der Pöbel. Einer der Herren zeigte mit dem Finger auf einen verschlammten Weg, "dort können sie mehr sehen". Bloß gut ich bin nicht im Anzug aufgelaufen, dachte ich mir so als ich eine junge Frau in Stöckelschuhen durch den Schlamm waten sah. Da standen wir nun in der Zielkurve und glotzen wie der Rest auf eine überdimensionale Leinwand - die Zieleinfahrt war weiträumig abgesperrt worden, TV machts möglich.
    Zum Rennen kann und möchte ich nichts sagen, es war belanglos, die Szenerie aber nicht. Da mich auch der Magen etwas drückte habe ich mich dann doch durchgerungen eine Bratwurst zu essen. Der überhebliche Bayer (ich dachte wir sein in Sachsen) hat mir, nachdem er mich ca. 5min warten lies, für 3Eur, ein unverschämt hoher Preis, eine s.g. Bratwurst verkauft. Das Ding, war geschmacklich neutral, mehr lau als warm und hat mich irgendwie an meine Bundeswehrzeit erinnert. Der Glühwein, 0.2l für 2.5Eur, den mir eine russische Hostess verkaufte, hat meine Stimmung auch nicht wirklich heben können (wenn bedenkt das der Wirt ca. 400% Gewinn damit macht ist das schon irgendwie erschreckend).
    Da vier Stunden eine lange Zeit sind und die endlosen Werbepausen meiner Stimmung den gänzlichen Rest gaben keimte in mir das Gefühl das richtig verarscht zu werden.
    Viele der Leute, welche für viel Geld eine Karte gekauften haben, und man sah ihnen an das sie es nicht wirklich leisten können, wirkten, genau wie ich, gelangweilt. Nach zwei Stunden waren genug Leute heim gegangen um mal einen Blick auf die Prominenz werfen zu können - in ca. 50-100m Entfernung. Ich habe es dann doch wieder vorgezogen auf die Leinwand zu schauen.
    In der Sächische Zeitung kommentiert Jörg Stock den Umstand so :
    "Was ein rechter Zirkus ist, der kümmert sich um seine Zuschauer. Natürlich lässt man sie nicht die Löwen streicheln. Aber die Ponys oder die Kamele. Und in der Pause kommt der Clown und treibt mit den Leuten Späße. Der Altenberger Wok-Zirkus war ganz anders, obwohl ihm mit Stefan Raab einer der meistgelobten Komiker des Landes vorsteht. Die Stars in der Manege waren nicht zum Anfassen, ja oft nicht mal zum Angucken. In den Pausen blieb das Publikum sich selbst und bayrischem Bier überlassen. Ein Party unter Ausschluss der Besucher - und das für fast 30 Euro Eintritt ?
    Die Macher der Bobbahn heben die Hände. Klar, dass es vor allem um die Fernsehshow ging. Aber die Werbung für unsere Region sei schließlich unbezahlbar. Hoffentlich lassen sich die Unzufriedenen von dieser Aussicht trösten.
    " (*2
    Auch die Stars kommentieren ganz bescheiden, "Ich liebe den Osten. Das Land ist schön, die Menschen sind reich im Herzen, meine erste Freundin kam aus dem Osten - ich fühle mich hier ein bisschen wie zu Hause. Wenn Stefan Raab wieder nach Altenberg ruft, komme ich. [...] " (*3 Kelley liebt den Osten so sehr, das er, wie die anderen übrigens auch, in einem Dresdner Nobelhotel, abgeschottet von der Öffentlichkeit, abstiegen, für 2 Tage 140 Zimmer plus Hotelbar mieteten und sich im Prinzip nur selbst feierten.
    So war mein erster Gedanke, wir leben in Deutschland, nicht im Osten oder im Westen. Obwohl man beim Lohngefälle, in Ostdeutschland wird laut BAT-OST immer noch weniger verdient und das fast 20Jahre nach der Wende, denken könnte wir haben ein geteiltes Land.
    Weiterhin finde ich das so ein Spektakel nicht mehr vermittelbar ist, der Pöbel soll schön draußen bleiben, die abgehalfterten, gelangweilten Stars und ach so "wichten Personen" werden von starken Männern in schwarzen Jacken bewacht. Sind wir es nicht die denen eine Daseinsberechtigung geben, sind nicht die Zuschauer die Stars ? Ist man nur dann wichtig wenn man Geld hat und die Show nur "Opium fürs Volk" ?

    Weiterhin möchte ich jetzt keine tiefe Diskussion über den Sinn oder Unsinn von Raabs TV Zirkus vom Zaun brechen, diese Veranstaltung ist exemplarische für so viele, sondern beleuchten ob es nicht an der Zeit wäre mit diesem vorgegauckle aufzuhören ? Oder muss eine 4x250KW Rennschlittenanlage im März betrieben werden (die eigentliche Session geht von Nov. - Feb.) ?


    *1 - hilda-ev.de/projekte/studieoe.php
    *2 - Sächsische Zeitung; Print - Ausgabe 10. März 2007
    *3 - Zitat: Joey Kelly


  • Hallo Jens,
    persönlich als zahlender Statist und Staffage an einem Fernsehereignis teilzunehmen ist so ähnlich, wie im Theater hinter die Kulissen zu schauen. Es ist entlarvend. Alles nur Lug und Trug. Während der Normalbürger immer noch denkt, das wahre Leben findet nur im Fernsehen statt, ist die Fernsehproduktion selbst nur das Erzeugen einer Illussion. Es braucht da keiner Spass zu haben, es muß nur so aussehen! Und das nichts los war sieht man im Fernsehen ja nicht, weil die paar Zuschauer eben vor den Kameras zusammengetrieben werden.

    Ich hatte mein Aha-Erlebnis bei einem Tagesbesuch in Venedig. Wir machten einen Familienurlaub im Herbst in Südtirol und mein Schwager wollte unbedingt nach Venedig. Also sind wir runtergefahren. In der Stadt hat man ständig den Eindruck, man läuft durch eine Filmkulisse. Und wenn man in die Seitengassen und die Kanäle schaut, die hinter den Palästen verlaufen, bestätigt sich der Eindruck noch. Was man aber auf den Fotos und in den Filmen nicht vermittelt bekommt, ist der Gestank des Brackwassers.

    Die ganze Stadt ist ein Touristennepp, ein Espresso auf dem Markusplatz sollte 8 DM kosten, eine Querstrasse weiter, kostete er nur noch 4 Mark. Überall trampeln die Touris rum und lassen sich mit den Tauben fotografieren. Das sind so viele, dass wenn sie dann als Schwarm auffliegen, hinterlassen sie eine deutlich sichtbare Dreckwolke.

    Ach und wir trafen einen ehemaligen Nachbarn aus unserer Heimatstadt. Ich war froh als wir wieder weg fuhren.
    Wir wollten eigentlich bunte Gläser aus dem berühmten Muranoglas kaufen oder große Marmorkugeln, die in allen Schaufenstern auslagen. Die Marmorkugeln waren absurd teuer und die Gläser waren nach dem Geschmack der Amerikaner mit kitschig goldenen Abziehbildern verunziehrt. Die Marmorkugeln fanden wir dann zu einem Drittel des Preises in einem Keramiklagen in Südtirol und das Muranoglas konnten wir günstig in einem Spezialgeschäft in Münster erwerben, wo wir wohnten. Und zwar ohne geschmacklose Bemalung!

    Da ist es wirklich besser, einen eigenen Aussichtspunkt am Berg zu haben oder eben mit den Nachbarn ein kleines Grillfest auf der Strasse zu veranstalten, weil das Wetter gerade passt.

    Gruß, EO
    nenn mich EO
    zu Ende denken
  • Danke EO,

    auch ich war in Venedig, habe die besagten 8DM bezahlt (ich war wirklich so blöde) und mich fürchterlich über den fürchterlichen Gestank gewundert - aus heutiger Sicht würde ich nie wieder nach Venedig fahren, Dresden, meine Heimat, ist schöner.

    Ich habe eine Zeit lang für einen s.g. Star gearbeitet, kenne die Methoden und weiss über die Macht der Medien. Jedoch kann ich mich nie daran erinnern das wir für eine Fernsehproduktion das Publikum in der Art ausgeklammert und verarscht haben - diese Qualität war für mich vollkommen neu. Ich habe immer den Standpunkt vertreten das es die Menschen sind die das Produkt konsumieren, wenn man ihnen den kleinen Finger gibt und sie einen kurzen Moment an jetwas großen teilhaben lässt, werden diese sich daran erinnern wenn es mal nicht so gut läuft. Alles ist ein Geben und Nehmen.

    Das ist aber nur ein Teil, mich hat es gewundert das so viele dies als gegeben hinnehmen und generelle kritischen Fragen ausgeklammert werden. Ich habe einen gefragt ob er es nicht auch "Schei*** findet das keiner der Stars ein Autogramm schreibt", darauf habe ich die Antwort bekommen, "wer weiß, die haben bestimmt schlechte Erfahrungen mit Fans gemacht". Einen Kommentar dazu habe ich mir verkniffen - wahrscheinlich hat mal einer gefragt ob die Gage für hungerleidende Kinder in Deutschland gespendet werden könnte. Die Menschen sind gleichgeschaltet, auf ein rein fiktives Produkt fixiert und einfach nur willen- und gedankenlos - die Matrix ist dagegen ein Lacher. Was mich irgendwie an eine dunkle Zeit in Deutschland erinnert, die Nazis als auch die Kommunisten haben die Medien in der gleichen Art verwendet, Propaganda in eigener Sache. Nur steht heute kein Führer oder ein Ideologie zur Schau, sondern ein Produkt und letzt endlich das Geld.

    Ok, man könnte maßlosen Konsum, die Dekadenz, als Ideologie bezeichnen, welche aber weniger das Ziel verfolgt persönliche Machtgelüste eines narzisstisch veranlagten Führers im Stile eines Kim Jong-il zu befriedigen, sondern die narzisstischen gelüste einer ganze Elite zu kosten der Bürger. "Die hohe Steuerlast [...] förderten die Unzufriedenheit von Teilen der Bevölkerung,[...] dies bewirkte eine deutliche Schwächung des Loyalitätsempfindens." (*1 - dort wo Deutschland heute steht, daran ging schon das große römische Reich zu grunde.

    *1 - de.wikipedia.org/wiki/R%C3%B6m…nde_des_antiken_Imperiums
  • Ohja, Vendig Stadt der Romantik. *lol*
    Habe auch den Fehler gemacht dort gewesen zu sein. Es muffte an jeder Ecke und an alle Fans der italienischen Küche.
    Fahrt doch mal nach Venedig und geht in eine Pizzeria. Brrr. Man war die ekelig. Enttäuscht war noch untertrieben.

    Also da kann man echt mal alle Freunde scharen und ein schönes Straßenfest machen.
    Die Vollkommenheit ist unerreichbar. Gewiß ist die Vollkommenheit unerreichbar. Sie hat nur den Sinn, deinen Weg wie ein Stern zu leiten. Sie ist Richtung und Streben auf etwas hin.
    - Antoine de Saint-Exupéry, Die Stadt in der Wüste