ich möchte hie mal ein wenig herum philosophieren und psychologisieren. Ich schrieb gestern Abend an anderer Stelle, dass ich in den Beiträgen hier und unserem Aaustausch in erster Linie einen Denkanstoß sehe, sich u.a. mit anderen Sicht- und Denkweisen auseinander zu setzen. Und mein Denken wurde nun durch den Beleidigungs-Thread sozusagen angestoßen.
Nun ist es ja so, dass man die Dinge um sich herum immer nur aus sich selbst heraus betrachten, beobachten / wahrnehmen kann. Und dementsprechend fällt die eigene Be- oder Verurteilung von was auch immer aus. Sicher können wir alles von außen einströmende zur Kenntnis nehmen, aber sein Urteil kann der Einzelne immer nur aus dem eigenen Fühlen heraus fällen. Und dieses persönliche Fühlen wird bestimmt durch das, was wir, meistens unbewusst, aus der eigenen Psyche schöpfen, jenem unsichtbaren Körperorgan welches alles von außen einströmende verarbeitet oder auch wegen Überlastung erst mal auf Halde legt.
Ich selbst kann mich noch gut an Zeiten erinnern, in denen mich auch alles Mögliche auf die Palme gebracht, verletzt oder gekränkt hat, bis ich vor vielen Jahren in einem schlauen Buch mal einen entscheidenden Satz las der da sinngemäß lautet,
>das was dich am meisten nervt, aufregt, in Rage bringt etc, zeigt oft in dir selbst schlummernde, nicht verarbeitete Defizite<
Nun lese ich zwar gern derartige schlaue Bücher aber dennoch gibt es nur weniges daraus, was ich mir selbst zu Eigen mache. Nämlich nur das, was mir etwas bestätigt, was ich selbst schon erfahren und / oder beobachtet habe oder wenn ich eine gewisse Synchronizität mit meinem eigenen Fühlen spüre und dadurch meine Neugier geweckt wird. Und jener Satz weckte meine Neugier. Und ich begann mein eigenes Verhalten zunächst rückschauend zu analysieren.
Ich erinnerte mich z.B. daran, dass ich mich, wenn mich jemand außerhalb meines engsten Familienkreises angriff, beschimpfte oder beleidigte in dem Moment innerlich oft gefragt hatte > was will der Typ eigentlich von mir, der kennt mich doch gar nicht, wie kommt der nur darauf so etwas zu behaupten?!< Und manchmal habe ich diese Frage auch direkt gestellt. Und das war dann oft der Auslöser für ein völlig sinnloses Vorwurfs- und Rechtfertigungs-Ping-Pong. Ich bin dem aber bis dahin nie weiter nachgegangen, sondern habe es meistens mit einem Schulterzucken oder Kopfschütteln abgetan.
Doch nun war es plötzlich anders. Und das Interessanteste daran war, dass ich allmählich begann etwas bewusst zu begreifen. Es waren /sind eigentlich nie die Worte selbst, die ein Mensch, der mich gar nicht wirklich kennen KANN mir an den Kopf wirft, die mich in Rage bringen, sondern es ist das, was ich in meinem Denken daraus mache. Und warum mache ich das, was ich mache daraus?! Weil etwas in MIR ist, in mir selbst, was mich wütend macht.
Solange es einem aber nicht gelingt, die Ursache für die eigene Wut zu ergründen und sie aufzulösen, braucht die innere Wut ein Ventil um sich zu entladen. Man muss sie irgendwie loswerden, denn Wut fühlt sich immer voll Schei*e an.
Also muss erst mal ein Kompensator oder eine Projektionsfläche her. Es muss jemand her, dem man die Schuld für alles mit dem man selbst nicht klarkommt in die Schuhe schieben kann. Und diese Funktion übernimmt die Welt außerhalb des eigenen Inneren. Und da ist jeder willkommen, der gerade in Reichweite herumläuft. Wer kennt nicht den Ausspruch >lass deine miese Laune nicht an mir aus, ich kann schließlich nichts dafür< Nun ja, es trifft eben immer den oder die Unschuldigen der/die gerade greifbar ist/sind. Und besonders beliebt und immer wieder gern genommen sind da die, die sich nicht wehren oder nicht unmittelbar zurückschlagen können weil sie sich im Gesamtkonstrukt unserer sog. Gesellschaft verstecken.
Und das unterschwellige Wissen darüber, macht den betreffenden dann umso wütender. Und wenn man später dann alles fein abgeladen hat, kommt im günstigsten Fall jenes bekannte >es tut mir leid, ich hab`s nicht so gemeint< < dabei heraus.
Meine Erkenntnis, dass der innere Drang, andere zu beleidigen, zu verletzen zu kränken etc. die Projektion des eigenen inneren Ungemachs ist, ließ mich nun Attacken und Angriffe von außen in einem anderen Licht betrachten, und ich wechselte die Perspektive. Und seit dem gibt es kaum noch etwas, was mich selbst wirklich treffen kann, weil ich nichts mehr persönlich nehme.
Wenn einer mich mit einem dummen Text angreift, öffnet sich sofort ein innerer Schutzschild, der verhindert, dass die Worte selbst mich treffen können. Und dieser Schild besteht aus der einfachen Frage, >was mag der arme Typ wohl für ein Problem haben. Was quält ihn so, dass er sich nicht anders zu helfen weiß, als nun verbal so um sich zu schlagen?! Und erst Recht stelle ich mir diese Frage, wenn ich sehe, dass es nicht bei verbaler Gewalt und Psychoterror bleibt.
Ein Problem wurde noch nie mit (Waffen)Gewalt gelöst. Sie tötet bestenfalls Symptome. Und die wachsen nach wir Unkraut. Ich habe meine eigene innere Wut besiegt, indem ich sie in Mitleid für andere umgewandelt habe, weil ich im entscheidenden Moment das innere Leid des anderen in andern Vordergrund stelle. Für mich sind Aggressions - und Gewaltausbrüche ein sicheres Zeichen von innerer Unzufriedenheit und Unausgewogenheit, denn wer mit sich selbst und seiner Welt zufrieden ist, spürt nicht den Drang andere anzugreifen.
Gewalt ist die letzte Zuflucht des Unfähigen (oder Ohnmächtigen)
Isaak Asimov
An sich ist nichts weder gut noch böse. Erst das Denken macht es dazu.
Shakespeare
Seid gerecht. Sucht nicht Schuldige, sondern Ursachen
Werner Mitch
LG
sign
(...) wer also nicht die Eindamkeit liebt, der liebt auch nicht die Freiheit: Denn nur wenn man allein ist, ist man frei.
>Arthur Schopenhauer<
Indem ich dem Aggressor oder Provokateur nun ganz unvermutet die Rolle des Ratgebers und Helfers überstülpe, und an den natürlichen Beschützerinstinkt, den jeder latent in sich trägt, appelliere, gerät er fast zwangsläufig in einen Gewissenskonflikt und seine Angriffslust verpufft ganz plötzlich.