[Film] Sin City

  • [Film] Sin City

    Originaltitel: Frank Miller's Sin City
    USA, 2005, 124 min, Keine Jugendfreigabe

    Wenn die Herausgeber oder Macher einer gezeichneten Geschichte von vorneherein klar machen wollen, dass es sich hierbei mitnichten um "leichte Kost" handelt, dann nennen sie die Geschichte nicht "Comic", sondern "Graphic Novel". Dieser Begriff markiert Geschichten für Leser, die sich selber zur Comic-Avantgarde zählen und einen gewissen künstlerischen Anspruchhaben. Die "Sin City"-Erzählungen von Frank Miller sind noch in anderer Hinsicht "graphic". Die Darstellung von Gewalt ereichte hier bislang ungeahntes "graphisches", sprich explizites Niveau. Hier wird knöcheltief im Blut gewatet und die Tatsache, dass es sich um schwarz-weiße Zeichnungen handelt, mindert die Intensität nur minimal.
    Es war also eher unwahrscheinlich - trotz allen Comic-Booms - dass es jemals eine Verfilmung dieser düsteren Geschichten geben würde, in denen es vor Sex und Gewalt, Huren und Kriminellen nur so wimmelt. Doch ausgerechnet Robert Rodriguez (Desperado, From Dusk till Dawn), der Hollywood-Outlaw, der stets ausschließlich in seinen eigenen Studios dreht und der in der Regel von der Kameraführung bis zum Schnitt alles selber macht, nahm sich der Aufgabe an, dieses düstere Meisterwerk zu verfilmen. Sein Respekt vor Frank Miller ging dabei soweit, dass er ihn als Drehbuchschreiber und Co-Regisseur angibt - obwohl Rodriguez durchaus auch selber Hand an das Skript anlegte.

    "Sin City", der Film, erzählt dabei gleich drei Geschichten aus dem Universum von Frank Miller (plus eine Kurzgeschichte). Die Erzählungen sind dabei relativ unabhängig voneinander, allerdings teilen sie sich denselben Figurenkosmos und überlappen sich auf der Seite der Handlung. Es wird ein Blick auf das illustre, mitunter schrille Personal geworfen, das Sin City bevölkert. Zum Beispiel Marv (Mickey Rourke) der ruppige Gigant mit leichtem Hang zur Schizophrenie. Er zieht eine unglaubliche Blutspur durch die Unterwelt von Sin City, da irgendjemand seine Goldie (Jaime King), die Hure mit dem goldenen Herz, umgebracht hat. Dann gibt es da Dwight (Clive Owen), der eigentlich nur seine Freundin Shellie (Brittany Murphy) vor ihrem Ex-Freund Jack (Benicio del Toro) beschützen will und dabei eine Kettenreaktion auslöst, die in Old City, dem Prostituiertenviertel der Stadt, droht die fragile Balance zwischen den Huren und der Polizei aus dem Gleichgewicht zu bringen. Und da ist schlussendlich auch noch der ehemalige Polizist Hartigan (Bruce Willis), der ins Gefängnis ging, um ein Mädchen vor einem bösartigen Kinderschänder (Nick Stahl) zu schützen. Als das Mädchen zu einer jungen Frau heranreift, ist die Sache nicht mehr ganz so einfach….

    Was zunächst einmal an "Sin City" verblüfft, ist die ungeheure Menge an Starpower, die sich in diesem Film vereint hat. Egal ob nun Bruce Willis, Jessica Alba, Elijah Wood oder Clive Owen - Rodriguez konnte aus dem Vollen schöpfen. Ganz offenbar haben hier etliche Schauspieler die Gelegenheit gewittert, einmal etwas ganz anderes machen zu können. Und in der Tat, so mancher Darsteller wird radikal entgegen seines bisherigen Portfolios besetzt (Elijah Wood zeigt uns als psychopathischer Killer, dass man mit Berechtigung mitunter ein ungutes Gefühl hatte, wenn Frodo den Zuschauer in "Der Herr der Ringe" mit großen Augen anstierte) und auch einem veritablem Comeback gibt dieser Film die Grundlage: Mickey Rourke als Marv lässt sich mit Fug und Recht als Idealbesetzung bezeichnen.

    Auch die künstlerische Umsetzung der "Graphic Novels" bringt frischen Wind in die Comicfilmszene. Der Film ist größtenteils schwarz-weiss, lediglich einige Farbtupfer akzentuieren die Szenerie. Da fast ausschließlich vor Greenscreens gedreht wurde und man die Kulissen anschließend digital einfügte, ergab sich für Robert Rodriguez die Gelegenheit eine Umgebung zu schaffen, die ebenso stilisiert ist, wie die Vorlage von Frank Miller. Folgerichtig beinhaltet die Umsetzung dann auch gewisse "Film Noir"-Effekte, wie zum Beispiel eine fast durchgängige Erzählerstimme aus dem Off; ein Stilmittel, das heutzutage fast in Vergessenheit geraten ist. Der schwarz-weiße Look ermöglichte wahrscheinlich auch, dass der Film überhaupt an den Zensoren vorbeikam: Durchgängig in Farbe wäre diese Eruption an Gewalt wohl niemals ungeschnitten auf die Leinwand gekommen. Im Gegensatz zu so weichgespülten Verfilmungen wie "Judge Dredd" konnte so Rodriguez die Comics geradezu 1:1 auf die Leinwand "übersetzen".

    Genau hiervon, nämlich von einer "Übersetzung" spricht dann auch Rodriguez selber. Es sei keine normale Verfilmung, sondern eine bildgetreue Adaption der Vorlage. Und in der Tat: Bis in die Perspektive von Einstellungen hinein orientiert sich Rodriguez an der Vorlage von Frank Miller. Doch genau dieses lässt schnell die Frage aufkommen, was das Ganze soll. Sicher, es ist eine interessante Sache, die Figuren aus "Sin City" überlebensgroß und in Bewegung auf der Leinwand zu sehen. Doch letzten Endes hinterlässt diese bildgetreue Übersetzung einen fahlen Nachgeschmack. Denn es stellt sich schnell die Frage, warum man sich das Ganze eigentlich ansehen soll, wenn man auch genauso gut die Comics lesen kann. Der Haken an der bemühten Werktreue ist schlicht und ergreifend, das Rodriguez nichts, aber auch gar nichts Neues und Eigenständiges zum Kosmos von "Sin City" beiträgt. Das wirkt dann insbesondere bei einem Comic enttäuschend. Schon bei Buchverfilmungen sind diejenigen Filme, die lediglich eine Bebilderung der Geschichte darstellen, aber keine Interpretation liefern, in der Regel laue Durchschnittskost. Bei einer Vorlage, die ohnehin schon aus Bildern besteht, enttäuscht eine derartige Vorgehensweise umso mehr.

    Hinzu kommt noch: Sin City ist zu lang. Auf Dauer wirkt die Nummernrevue aus Gewaltausbrüchen und geradezu naivem Machismo doch ermüdend. Folge um Folge wird uns ein weiterer harter Mann präsentiert, der behauptet, er würde keine Frauen schlagen und der genau dieses keine zwei Minuten später tut. Folge um Folge wird uns eine weitere Frau mit prächtiger Oberweite präsentiert, deren große Knarren dann wohl Frank Millers Vorstellung von Emanzipation darstellen. In dieser Welt hätte sich Charles Bukowski sicher sehr wohl gefühlt, als einzelner Comic, bei dem der Leser die "Laufgeschwindigkeit" bestimmen kann, ist es auch eine erfrischende Abwechslung. Als über zweistündiger Film wird es irgendwann schlicht und ergreifend anstrengend. Hier wäre weniger mehr gewesen. Dann hätte Rodriguez vielleicht auch Zeit gehabt, uns die Charaktere näher zu bringen, damit der Zuschauer auch eine Chance hat, zu ihnen eine Bindung aufzubauen. Das gelingt lediglich bei Hartigan und Nancy ansatzweise.

    Letzten Endes ist Robert Rodriguez mit seiner eigenwilligen Umsetzung eines Kultcomics gescheitert. Doch gerade für dieses Scheitern gehört ihm der größte Respekt. Denn der Film zeugt von einer Qualität, die in Hollywood rar geworden ist: Mut. Dem Mut, die Dinge einmal ganz anders anzupacken als der Mainstream. Dem Mut, gleich ein halbes Dutzend Filmtabus zu brechen. Dem Mut, im 21. Jahrhundert einen Film, der dann letzten Endes doch auf ein Massenpublikum zielt, in schwarz-weiss zu drehen. Der stilisierte, künstlerische Look des Films ist dann auch über jeden Zweifel erhaben und dürfte wohl in den nächsten Jahren nicht ohne Einfluss auf die Filmwelt bleiben. Schon allein deshalb lohnt sich trotz aller Schwächen der Filmbesuch.
    NOTE: 2 - 3 (je nach Blutaffinität)

    (Quelle: planet-confusion.de/Reviews/Film/reviews_film_sin_city.html )

    Einfach ein stylischer film!
    maky