Von Rainer Hank
Küche statt Klassenzimmer: Mathe und Englisch lassen sich auch zu Hause pauken
09. November 2007
Schule ist in Deutschland eine Sache des Staates. Wer eine private Schule
aufmachen will, muss mit großen Schwierigkeiten rechnen. Wer seine Kinder
gar selbst unterrichtet oder zu einem Hauslehrer schickt, bekommt es mit der
Polizei zu tun. Denn er begeht eine Ordnungswidrigkeit.
In Deutschland gilt absolute und strafbewehrte Schulpflicht. Das klingt für
die meisten Menschen selbstverständlich. Und ist es doch nicht, weder
historisch noch im europäischen oder gar internationalen Vergleich: Der
deutsche Schulzwang ist, sieht man von einigen Diktaturen ab, die Ausnahme
und nicht die Regel. In den meisten anderen Ländern gibt es stattdessen eine
vom Staat überwachte Bildungspflicht. Ob die Kinder zur Schule gehen oder
die von der Gesellschaft geforderten Standards anderswo erwerben, ist ihnen
(und ihren Eltern und Erziehern) freigestellt.
Bildungspflicht statt Schulzwang
Warum werden in keinem freien Land der Welt Eltern, die ihre Kinder selbst
erziehen möchten, vergleichbar stark kriminalisiert wie hierzulande? Nach
den Verbrechen des Nationalsozialismus sei es zu einem stillen Einvernehmen
zwischen Eltern und Staat gekommen, dass Erziehung zur Demokratiefähigkeit
für ein gelingendes Gemeinwesen unabdingbar sei und dass diese Erziehung nur
durch den Staat organisiert werden könne, vermutet der Bonner Pädagoge
Volker Ladenthin. Deutsche Eltern haben ein größeres Vertrauen in den
Erzieher Staat als die Nachbarn in anderen Ländern.
Das ist ihr gutes Recht. Aber warum wird Eltern, die ihre Kinder selbst
erziehen wollen, dieser Wunsch streitig gemacht? Wäre nicht eine gesetzliche
Bildungspflicht dem staatlichen Schulzwang überlegen? Schon der deutsche
Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt (1767 bis 1835) hatte gegenüber dem
Staat als Erzieher große Bedenken. Soll die Erziehung nur, ohne Rücksicht
auf bestimmte, den Menschen zu erteilende bürgerliche Formen, Menschen
bilden, so bedarf es des Staates nicht. Öffentlicher Schulzwang führt nach
Humboldts Auffassung dazu, dass die Eltern die Verantwortung für die
Aufzucht der Kinder an den Staat delegieren und dafür einen hohen Preis
zahlen müssen: Statt zu freien und gebildeten Menschen werden die Schüler
von früh an zu Staatsbürgern gemacht, zu Untertanen also.
Monopol nicht gut begründet
Tatsächlich ist das staatliche Bildungsmonopol - wie die meisten Monopole -
nicht gut begründet. Bildungsökonomisch ließe sich für die Schulen
allenfalls ins Feld führen, dass es effizienter ist, Kinder in Klassen
zusammen zu unterrichten, anstatt den Familien die Suche nach Hauslehrer und
Gouvernante zuzumuten (für statistisch 1,3 Kinder) oder aber die Eltern von
der Berufsausübung abzuhalten. Staatliche Lehrerbildung bürgt zudem für eine
gewisse Professionalität bei der Erstellung des Produkts Bildung.
Doch gegen die Qualität der staatsschulischen Leistung sprechen nicht nur
die wiederholten Pisa-Befunde, sondern auch die zunehmende Abwanderung der
Schüler in Privatschulen. Gäbe es die Möglichkeit, die Kinder zu Hause zu
unterrichten, würden Eltern gewiss davon Gebrauch machen. Spätestens beim
staatlich für alle vorgeschriebenen Bildungstest käme heraus, wo es die
bessere Bildung gibt. In allen Ländern, welche die Ausbildung pluralisieren
und dezentralisieren, stößt diese Freiheit auf Zustimmung, wenngleich der
Anteil der häuslichen Beschulung kaum über drei bis vier Prozent der
Bevölkerung hinausgeht - freilich mit stark zunehmender Tendenz. Selbst in
Österreich ist Homeschooling neuerdings erlaubt. In Kanada erhalten
Eltern, die ihre Kinder zu Hause unterrichten, sogar bis zu 1000 Dollar
monatlich vom Staat. Das soll für Chancengleichheit mit der staatlichen
Schule sorgen.
Was sollte Regel sein, was Ausnahme?
Ursprünglich war der Schulzwang nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Die
Schulpflicht wurde eingeführt, weil die bildungsfernen Schichten ihre Kinder
zu Hause behielten und zum Kartoffelausbuddeln und Getreideernten
gebrauchten, sagt der Pädagoge Ladenthin. Dadurch schädigten Eltern ihre
Kinder. Das Gebot der Subsidiarität, das in Deutschland in Festreden immer
hochgehalten wird, besagt: Der Staat braucht nur dann einzuschreiten, wenn
die Privaten versagen. Er muss die Schüler vor ihren Eltern also auch nur
dann schützen, wenn er befürchtet, ihnen werde Bildung vorenthalten oder
aber sie würden auf gefährliche Weise indoktriniert.
Damit ist ein gewichtiger Einwand gegen das Homeschooling vom Tisch. Viele
Zeitgenossen befürchten nämlich, radikale oder religiöse Elterngruppen
könnten den Hausunterricht dazu missbrauchen, ihre Kinder zu Gegnern der
europäischen Werteordnung und aufgeklärten Rechtsstaatlichkeit zu erziehen.
Die Angst vor Parallelwelten geht um, sie ist nicht von der Hand zu weisen.
Doch abgesehen davon, dass auch die Staatsschule Parallelwelten nicht
verhindert (Neukölln), behielte die Obrigkeit immer die Gewalt, im Fall von
Missbrauch oder Versagen die Kinder ihren Eltern zu entziehen.
Ohnehin würden wohl eher die gebildeten Eliten und nicht die unteren
Schichten von der Möglichkeit des Homeschooling Gebrauch machen. Auch diese
Vermutung taugt freilich zum Einwand dagegen. Wachsende Ungleichheit und
eine Privilegierung der von Hauslehrern erzogenen Reichenkinder seien die
Folge, heißt es. Doch auch hier gilt: Schon heute päppeln die Bildungsbürger
ihre Nachkommen mit Cellounterricht, Sprachkursen und privater Nachhilfe.
Oder sie schicken sie gleich aufs Internat. Dass in Deutschland Begabungen
brach liegen, Geld und Sozialhintergrund den Bildungserfolg bestimmen, ist
wahr. Der staatliche Schulzwang kann die Misere nicht verhindern.
Literatur: Ralph Fischer und Volker Ladenthin (Hrsg.): Homeschooling.
Tradition und Perspektive. Würzburg 2006.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 04.11.2007, Nr. 44 / Seite 56
(gefunden bei MaxNews)
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Ich las gerade diese Zusammenfassung
Die Kent-Depesche beschäftigt sich zurzeit ebenfals ausführlich mit diesem Thema
was haltet ihr von dieser Argumentation?
ist sie realistisch?
würde die Dekadenz nur noch beschleunigt?
wie könnte man die Schule sonst verbessern?
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