Stefan George

  • Stefan George

    Stefan George:
    Entrueckung, 1907


    Ich fühle luft von anderem planeten.

    Mir blassen durch das dunkel die gesichter

    Die freundlich eben noch sich zu mir drehten.

    Und bäum und wege die ich liebte fahlen

    Dass ich sie kaum mehr kenne und Du lichter

    Geliebter schatten -- rufer meiner qualen --

    Bist nun erloschen ganz in tiefern gluten

    Um nach dem taumel streitenden getobes

    Mit einem frommen schauer anzumuten.

    Ich löse mich in tönen . kreisend . webend .

    Ungründigen danks und unbenamten lobes

    Dem grossen atem wunschlos mich ergebend.

    Mich überfährt ein ungestümes wehen

    Im rausch der weihe wo inbrünstige schreie

    In staub geworfner beterinnen flehen:

    Dann seh ich wie sich duftige nebel lüpfen

    In einer sonnerfüllten klaren freie

    Die nur umfängt auf fernsten bergesschlüpfen.

    Der boden schüttert weiss und weich wie molke . .

    Ich steige über schluchten ungeheuer .

    Ich fühle wie ich über lezter wolke

    In einem meer kristallnen glanzes schwimme --

    Ich bin ein funke nur vom heiligen feuer

    Ich bin ein dröhnen nur der heiligen stimme.



    (Stefan George: "Der siebente Ring". In: ders.: "Gesamt-Ausgabe der Werke. Endgültige Fassung". Berlin: Georg Bondi, 1931, S. 122f.)