Tja, da ich nun offizieller Moderator des Unterforums für Geschichte bin, wollte ich die Gelegenheit nutzen und mich vorstellen und euch auch zeigen wieso ich das gerade machen will und was so meine Vorstellungen sind. Einige werden mich sicherlich schon kennen, andere vielleicht nicht. Ich will jetzt auch keine großen Reden über mich schwingen, dafür gibt es schließlich eigene Threads.
Jedenfalls, als (hoffentlich) baldiger Geschichts und Philosophiestudent, sehe ich es als gute Gelegenheit hier mal aktiv zu werden, da hier bisher noch kein Moderator gewesen ist.
Warum Geschichte? Warum sich überhaupt die Mühe machen und Moderator für so was werden? Ich höre öfters das Geschichte, oder speziell Geisteswissenschaften nicht mehr benötigt werden. Die Debatte ist ja grad aktuell, und da wir ja im Jahr der Geisteswissenschaften sind, wird dies mal wieder hervorgekramt.
Die Debatte ist nicht neu, nein sie ist sogar recht alt. Man gibt ihr heute nur ein aktuelles Aussehen und man sei der Meinung man hätte vorher nie darüber diskutiert. Sind Geisteswissenschaften wirklich so sinnlos? Manche Journalisten und Wissenschaftler sagen, dass Geisteswissenschaften nur noch dazu dienen, die Moral in der Wissenschaft zu erhalten. Hinzu kommen noch die altbewährten Argumente, das Geisteswissenschaften keinen Bezug zur Praxis haben, unverständlich für den Normalbürger sind und verstaubtes Wissen darbieten.Ja es ist einfach Geisteswissenschaften als sinnlos für die heutige Gesellschaft darzustellen. Dies ist nichts Neues und wurde schon öfters probiert.
Sicherlich gibt es Schwächen und berechtigte Kritik, aber wieso wird nie oder kaum danach gefragt, wieso das so ist oder was man dagegen tun kann?
Eine, meiner Meinung nach, sehr gelungene Betrachtung und Kritik der Geschichtsforschung ist Joris Karl Huysmans gelungen. Sie ist in dem Roman Tief unten enthalten und ich möchte sie euch nicht vorenthalten:
Die Geschichtsforschung verdrängte in Durtals Gunst den Roman, dessen erfabelte Handlungsführung zu Kapiteln geschnürt, en gros verpackt, zwangsläufig platt und gängigen Mustern verhaftet ihn unangenehm berührte.
Und trotzdem schien ihm die Geschichtsforschung nur ein Notbehelf, denn er glaubte nicht an die Wirklichkeitstreue dieser Wissenschaft;historische Ereignisse, sagte er sich, sind einem Manne von Talent doch nur ein Sprungbrett für Einfälle und persönlichen Stil; schließlich verändern sie sich ja, werden glimpflicher oder bedrohlicher, wie es die vertretende Sache jeweils erfordert oder dem Temperament des Schreibers gemäß ist, der sie zurechtrückt.
Was die Dokumente betrifft, die sie belegen sollen mit denen ist es noch schlimmer! Es ist nämlich keines unter ihnen, das sich nicht auf andere Quellen zurückführen ließe, und alle sind sie in sich anfechtbar. Ist ein Dokument einmal nicht apokryph, kommen irgendwann später neue, ebenso gesicherte Materialien zutage, die es als Fälschung entlarven, bis die nach Aushebung weiterer, ebenso zuverlässiger Archive ihrerseits in Misskredit geraten.
Gegenwärtig, wo verbissen jeder alte Aktenkarton restlos ausgekratzt wird, dient die Geschichtsforschung bloß noch zur Befriedigung literarischer Geltungssucht von Provinzadeligen, die jene Schubladen Pastetchen backen, denen sabbernd vor Appetit das Institut de France seine Ehrenmedaille und Großen Preise zuerkennt.
So betrachtete Durtal die Geschichtsforschung denn als die würdevollste der Lügen, die kindlichste der Selbsttäuschungen. (...) Die Wahrheit ist, dass es zuverlässige Exaktheit nicht geben kann, sagte er sich. Wie sollte es auch gelingen, in Geschehnissen des Mittelalters einzudringen, wo doch nicht einmal Episoden der allerjüngsten Vergangenheit Erklärer finden etwa die Hintergründe der Revolution, das unterirdische Pfahlwerk der Pariser Kommune? Da bleibt einem nur ein Weg: man muss sich seine eigene Vorstellung fabrizieren, sich Geschöpfe früherer Zeiten herbeiphantasieren, in ihre Haut schlüpfen, sich, wenn möglich, in das äußere Erscheinungsbild ihrer hinterlassenen Gewänder kleiden kurz, aus geschickt ausgewählten Einzelheiten immer wieder ein täuschend wirklichkeitsähnliches Ganzes zusammenschmieden. Genauso ist im Grunde Michelet verfahren; nun war dieses Waschweib, diese nervenschwache Alte zwar viel durch Nebensächliches geschweift, hatte bei Nichtigkeiten verweilt, sich leicht irre redend in Anekdoten ergangen, die er aufblies und zu Unermesslichkeiten stilisierte, sobald Gefühlsausbrüche und chauvinistische Anfälle ihm heimsuchten, die die Treffsicherheit seiner Mutmaßungen beeinträchtigten, seine sonst kerngesunde Befähigung zu Hypothesen kränkeln ließen und doch war er der einzige in Frankreich, der über den Jahrhunderten geschwebt hatte und von hoch oben herabgestoßen war auf die lange, düstere Reihe alter Berichte.
Ja, sie war hysterisch und geschwätzig, seine 'Geschichte Frankreichs', schamlos und voller Intimitäten und dennoch wurde sie stellenweise vom frischen Windhauch der Weite durchweht und solchen Niederungen enthoben; seine historischen Gestalten waren lebendig, verließen jene Zwischenreiche, in welche seine Kollegen sie mit Zitat Urnen eingruften; von daher betrachtet spielte es kaum noch eine Rolle, dass Michelet unter den Historikern vielleicht der am wenigsten wahrheitsgetreue gewesen war schließlich war er der originellste und der am stärksten künstlerisch veranlagte unter ihnen. Was die anderen betraf, so schnüffelten sie jetzt in alten Papieren herum, begnügten sich damit, Vemischte Nachrichten an ihre Korkwand zu spießen. Im Gefolge von Taine beleimten sie ihre Notizen, klebten sie der Reihe nach hintereinander, bewahrten freilich nur diejenigen auf, die die einfallsreichen Konstruktionen ihrer Erzählungen stützen konnten. Diese Leute versagten sich jegliche Phantasie, jeglichen Enthusiasmus, behaupteten, nichts zu erfinden was sie ja auch wirklich nicht taten, doch frisierten sie sich die Geschichte nicht minder zurecht, nämlich durch die Auswahl der Dokumente. Und wie einfach war ihr System! Man entdeckte, das sich in mehreren Gegenden Frankreichs ein bestimmtes Ereignis zugetragen hatte und schloß daraus gleich, dass an dem und dem Tag in dem und dem Jahr zu der und der Stunde das ganze Land so und so lebte, so und so dachte.
Sie waren wackere Fälscher, darin standen sie Michelet nicht nach, aber sie hatten weder seine geistige Spannweite noch seine Schaukraft; sie waren die Kleinkrämer der Geschichtsforschung, Lumpensammler, Fußnotenhäufer, die viel herumpünkteln, ohne als Ergebnis ein Ganzes zu bieten, genau wie die heutigen Maler, die wahllos Farbtöne nebeneinanderzwecken, genau wie die Dekadenten, die Wortfrikadellen braten!
Wiederum anders verhält es sich mit den Biographen, sagte Durtal zu sich. Die bilden die Fraktion der Haarauszupferinnen. Da haben Leute Bücher geschrieben, um darzutun, das Theodora keusch war und Jan Stehen keineswegs trank. Ein anderer hat den François Villon entflöht, hat sich bemüht darzutun, dass die Dicke Margot aus der Ballade wohl keine Frau, sondern ein Schenkenschild war, den Dichter stellte er fast schon als einen prüden und enthaltsamen, vernünftigen und redlichen Menschen hin.
Diese Historiker schienen beim Verfassen ihrer Monographien zu befürchten, sie brächten Schande über sich, wenn sie Autoren oder Maler anrührten, deren leben von heftigen Windstößen durchrüttelt worden war. Ohne Zweifel hätten sie in diesen Künstlern gern solche Spießbürger gefunden, wie sie selber waren; herausgeputzt wurde das Ganze übrigens immer mit Hilfe jener berüchtigten Art von Belegstücken, die man so schön zerklauben, verdrehen, zurechtsortieren kann.