Wie die Bedrohung durch Zecken erfunden und vermarktet wird

  • Wie die Bedrohung durch Zecken erfunden und vermarktet wird

    Wie gef?hrlich sind Zecken wirklich?

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    Die Zeckenimpfung ist in ?sterreich ein hervor?ragendes Gesch?ft f?r Pharma?firmen, ?rzte und Apotheker - der Kunden?strom ver?siegt dank Dauerkampagen nicht
    Eine Kamerafahrt ?ber einen Kinderspielplatz, in Bodenn?he, unruhig, suchend, wie ein Raubtier auf der Jagd. Dazu bedrohliche Spannungsmusik und eine Stimme aus dem Off, die von einem angefallenen Kind berichtet. Was wie der Vorspann eines Thrillers wirkt, ist ein Werbespot f?r die Zeckenimpfung.

    Klar, Werbung ist manipulativ

    Aber der Spot weist einen Sch?nheitsfehler auf: Zecken jagen nicht. Sie sitzen meist am Ende eines Grashalmes und warten monatelang stupide und regungslos, bis irgendwann mal ein S?ugetier vorbei geht. Die Dramatik des Werbespots h?tten Zecken wohl gerne in ihrem Leben. Klar, Werbung ist immer manipulativ, das ist ihr Job. Im Falle eines Pharmapr?parats sollte man das aber nicht mit einem Achselzucken zur Kenntnis nehmen. Hinter dem Spot steckt ein Millionengesch?ft.

    Big Business

    Angeblich sind in ?sterreich 88 Prozent der Menschen FSME-geimpft, bei immerhin rund sechzig Prozent soll die letzte Impfung weniger als f?nf Jahre her sein. Genauere Zahlen, etwa wie viele Impfungen j?hrlich durchgef?hrt werden, sind nicht zu erhalten. Die ARGE Gesundheitsvorsorge, die die Werbespots lanciert und finanziert, sollte ja ein Interesse haben, den Erfolg ihrer aufwendigen Kampagne zu messen.

    Der Kreis schlie?t sich

    Aber die Arbeitsgemeinschaft verweist auf ihre PR-Agentur Hochegger|COM. Dort verweist man auf die ?rztekammer, dort auf den Linzer Kinderarzt Dr. Wolfgang Sedlak, einen Spezialisten aus dem Impfreferat der Kammer. Der freut sich, dass die hohe Impfquote "ein Erfolg des Marketings ist" und meint, die Zeckenimpfung w?rde zu diesem Land geh?ren, "wie Mozartkugeln und Hofreitschule", nennt aber keine genauen Zahlen und verweist auf die Hersteller der Impfmittel, Baxter und Novartis. Baxter soll mit gro?em Abstand Marktf?hrer sein, aber dort verweist man auf die eigene PR-Agentur: Hochegger|COM. Der Kreis schlie?t sich.

    Die Nummern sind die gleichen

    Pl?tzlich f?llt auf: Die Telefonnummer der Arbeitsgemeinschaft Gesundheitsvorsorge ist identisch mit der des Pharmakonzerns Baxter. Die Adresse deckt sich mit jener der PR-Agentur. Und die Domain www.zecken.at wurde von der Baxter registriert.

    Marketing - "unabh?ngig und sozial"

    Auf Plakaten, Foldern und Hompage der ARGE findet sich kein Hinweis auf etwaige Geldgeber, wohl aber bei der PR-Agentur. Die behauptet in einer Fallstudie Arbeitsgemeinschaft und Kampagne w?rden "von unabh?ngigen, sozialen Vereinen aus dem Bereich der Gesundheitsvorsorge getragen". Will man das wissen, ger?t die Pressesprecherin in Verlegenheit.

    Zun?chst m?chte sie ihre eigenen Auftraggeber gar nicht kennen, dann f?llt ihr die Selbsthilfegruppe der Zeckenopfer ein. Erst nach und nach auch ?rztekammer und Apothekerkammer. Und schlie?lich auch Baxter. Da schau her. ?rzte, Apotheker und Pharmaindustrie. Oder: Berater, Vertrieb und Hersteller des ?sterreichischen Impfstoffs FSME Immun.

    Millionenumsatz - wieviel Geld flie?t?

    Aber wieviel Geld flie?t in dieses System? Wenn die ver?ffentlichte Durchimpfrate halbwegs stimmt, kommt man vorsichtig gesch?tzt auf j?hrlich 2 Millionen Dosen zu EUR 22,50 bzw. EUR 19,30 f?r Kinder. Macht einen Markt von midestens 40 Millionen Euro, dazu kommen noch etwa f?nf Millionen, die die ?rzte von den Krankenkassen f?r das Verabreichen der Spritzen kassieren.

    Dazu geh?rt auch die finanzielle Unterst?tzung der Selbsthilfegruppe f?r Zeckenopfer. Dort nimmt man das Geld gern, weist es aber nicht aus. "Baxter finanziert Informationsmaterial, aber wir machen keine Werbung f?r sie und geben keine Logos oder sonst was drauf", sagt Christine Freund, Gesch?ftsf?hrerin des Vereins, w?hrend sie gerade drei Tage lang mit einem Stand auf der Seniorenmesse Werbung macht. F?r Vorsorge, nicht f?r Baxter, versteht sich.

    Das Schema "F" funktioniert

    Freund ist auch Gesch?ftsf?hrerin der Selbsthilfegruppe Meningokokken, die an der selben Adresse in Wien-Neubau sitzt und die selbe Telefonnummer wie die Zecken-Gruppe hat. Was haben eigentlich Zecken und Meningokokken miteinander zu tun? "Nichts", sagt Christine Freund. "Mir w?re lieber, sie schreiben das nicht, das verwirrt die Leute nur." Vielleicht liegt es ja daran, dass Baxter seit 2001 auch Impfstoff gegen Meningokokken vertreibt.

    ?hnlich wie die ARGE Gesundheitsvorsorge gibt es seitdem auch eine "Initiative Menigokokken". Tr?gerorganisationen: Selbsthilfegruppe, ?rztekammer, Apothekerkammer. Auf der Homepage pr?stentiert man sich als Initiative von 20 f?hrenden ?rzten, darunter Marketingfan Dr. Sedlak. Keiner von ihnen hat seine Praxis an der im Impressum angegebenen Kontaktadresse Porzellangasse 35. Dort findet sich eine auf medizinische Themen spezialisierte PR-Agentur.

    Kopie der Zecken Kampagne?

    Wer auf der Homepage fast abgeht, ist Baxter. Nur in der Link-Sammlung wird unkommentiert zum Pharmaunternehmen verwiesen. Aber es gibt doch eine aussagekr?ftige Verbindung: Baxter hat die Homepage registriert und ist der Eigent?mer des Domainnamens, genau so wie bei der Zeckenimpfung. Die Meningokokken-Kampagne scheint eine detailgetreue Kopie des erfolgreichen Vorbilds zu sein.

    FSME - ein ?sterreichischen Ph?nomen

    Die Zeckenimpfungskampagne ist ein rein ?sterreichisches Ph?nomen, was geschichtliche Gr?nde hat. In den 1920er Jahren wurde im Krankenhaus Neunkirchen ein neues Krankheitsbild bei Waldarbeitern diagnostiziert. 1956 gelang es zwei ?sterreichischen ?rzten das FSME-Virus erstmals zu isolieren und 1973 entwickelte Professor Kunz vom Institut f?r Virologie der Universit?t Wien den Impfstoff FSME-Immun.

    Drei Jahre sp?ter gr?ndete er das Unternehmen Immuno und stellte in Orth/Donau den Impfstoff industriell her. Zun?chst wurden nur Forstarbeiter geimpft, aber dieser Markt war zu klein, das Unternehmen nicht abgesichert. 1981fiel daher der Startschu? zur ersten Impfkampagne, nachdem Kunz Vertreter des Gesundheitsministeriums davon ?berzeugt hatte, dieses Marketing zu finanzieren. Die ?ffentliche Hand finanzierte diese Werbung bis in die Neunziger Jahre hinein.

    Medizinische Relevanz der Massenimpfung

    Eine Reihe parlamentarischer Anfragen der Opposition zeigte auf, dass mehrere Milliarden Schilling ausgeben wurden, ohne dass Immuno aussagekr?ftige Studien ?ber die medizinsche Relevanz der Massenimpfungen nachweisen konnte. Erst Ende der Neunziger endete die ?ffentliche Finanzierung der Werbung und der amerikanische Pharmariese ?bernahm Immuno. Das Universit?tsinstitut f?r Virologie unterst?tzt jedenfalls nach wie vor sowohl Baxter als auch die ARGE Gesundheitsvorsorge mit gemeinsamen Presseaussendungen, um jedes Jahr die ersten Zeckenopfer prominent in die Medien zu bringen.

    Die reale Gefahr

    Wie gef?hrlich sind Zecken nun aber wirklich? Um Quellen zu finden, die nicht aus dem wohlgeschlossenen Kreislauf rund um Baxter stammen, muss man in die Schweiz und nach Deutschland gehen. Das Schweizer Bundesamt f?r Gesundheit empfiehlt die Zeckenimpfung auch in "Epidemie-Gebieten" nur f?r Hochrisiko-Gruppen wie Forstarbeiter, auch in der Bundesrepublik sind Massenimpfungen unbekannt.

    Jeder 20.000ste Zeck

    In Baden-W?rtemberg geht man davon aus, dass im Schnitt nur jede 20.000ste Zecke das Virus in sich tr?gt, selbst in Epidemiegebieten soll es nur eine von 1.000 sein. Auf ?hnliche Werte kommen die Eidgenossen. In ?sterreich werden keine Durchschnittswerte, sondern statistische Ausschl?ge kommuniziert: Vor Jahren wurde einmal eine Wiese in Graz untersucht, da war fast jede zweite Zecke Virentr?gerin. Seit dem geistert diese Wiese durch die Medien.

    Beim Bergwandern ist man sicher

    Was in der Schweiz ganz offen kommuniziert wird und sich in ?sterreich auf keinem Informationsblatt findet: ?ber 1.000 Metern Seeh?he wurden noch keine FSME-Zecken gefunden. Beim Bergwandern ist man v?llig sicher. Selbst bei einem Biss einer infizierten Zecke findet in 60-70 Prozent keine Ansteckung statt.

    Ansteckungsrisiko von 0,03 Prozent

    Wenn man von einem Epidemiegebiet ausgeht, in dem jede tausendste Zecke das Virus tr?gt, so liegt das Ansteckungsrisiko nach einem Biss also bei sagenhaften 0,03 Prozent. Aber selbst im Fall einer Ansteckung ist die Sache f?r zwei Drittel der Leute nach ein paar Tagen erledigt, das k?rpereigene Immunsystem t?tet das Virus mit Fiebersch?ben.

    Das andere Drittel sind jene armen Menschen, bei denen FSME das Nervensystem angereift. Ein bis zwei Prozent der Angesteckten sterben, das sind in einem Hochrisikogebiet etwa 0,0003 Prozent der gebissenen Menschen.

    Kinderimpfung

    Gerade f?r Kinder und Jugendliche besteht eine noch geringere Chance, ernsthaft durch FSME zu erkranken. Ihr Immunsystem ist so stark, dass das Virus im Regelfall keine Chance hat. Das Schweizer Bundesamt f?r Gesundheit empfiehlt daher die Zeckenimpfung erst ab dem Alter von sechs Jahren, darunter sei das "nicht angezeigt, da schwere Erkrankungen in desem Alter sehr selten sind."

    Bleibende Sch?den - eine Rarit?t

    Laut dem Paul-Ehrlich-Institut des bundesdeutschen Gesundheitsministeriums sind nach einer FSME-Erkrankung "Bleibende neurologische Sch?den" eine Rarit?t. In ?sterreich hat Baxter eigene Kinderimpfstoffe am Markt, Babys k?nnen schon nach sechs Monaten geimpft werden. Kinderarzt Dr. Sedlak berichtet von einer beinahe hundertprozentigen Impfquote. "Die Eltern sind nat?rlich durch die Fernsehspots aufgekl?rt und wollen das Beste f?r ihre Kinder", sagt er.

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