ausflug ins behindertenheim

  • ausflug ins behindertenheim

    Die Meisterin der Trance
    oder wie eine Pflasterbrille entsteht.
    Arschloch!


    Ei jeijei, ei, Ei jeijei,ei, Ei jeijei, ei, Ei jeijei, ei, Ei jeijei, ei, Ei jeijei, ei, Ei jeijei, mit dem Kopf vor- und zur?ckschaukelnd zwirbelt sie dabei ein Pflaster um einen kaputten Sonnenbrillenb?gel, tastend, schaukelnd, singend, Ei jeijei, ei, Ei jeijei, ei, Ei jeijei.
    ?ber dem rechten Auge eine durchsichtige Plastik- Piratenklappe, wegen der Operation vor ein paar Tagen. Sie ist so gut wie blind. Grauer Star.
    Aber das scheint sie nicht sonderlich zu interessieren. Interessant dagegen sind die Pflaster und fasziniert schaue ich zu, wie sie immer wieder Pflaster zwirbelt, um die Brille, um die Finger, aufeinandergeklebt, wieder auseinandergerissen, hundertmal zwischen den Fingern gerollt und betastet.
    Auf dem Kopf zwischen ihren schwarzen kurzen Haaren kahle Stellen, an den F??en alte Turnschuhe, einer mit rosarotem Schuhband, einer mit schwarzem Schuhband, eine Hose, die mit einem braunen Lederg?rtel am schmalen K?rper gehalten wird.
    Aus dem Radio ert?nt ein Lied von "D?F" : Da da da- aha aha aha- woraufhin sie schrill mit "Nein, nein nein!!! " antwortet. Ihre Stimme ist immer etwas schrill. Ich lache.
    Gini ist ein Unikat.
    Zwirbel, zwirbel, zwirbel, schaukel, schaukel, Kopf schr?g, dann sagt sie todernst: "Brauchst a Watsch`n?"
    Ich antworte: "Nein Gini, heute nicht mehr- vielleicht morgen." Sie nickt, l?chelt, zwirbel, zwirbel, schaukel, schaukel, schaukel, eine kurze Bewegung um sich die klebrigen Finger an der Hose abzuwischen, zwirbel, zwirbel, schaukel, schaukel, mit der anderen Hand kurz getastet, ob die Zuckerbeutel noch in der kleinen Seitentasche des Fischerhutes auf ihrem Kopf sind.
    Ja, sie sind noch da; Zucker ist wichtig.
    Schaukel, schaukel, zwirbel, wisch, tastend nach der ungewohnten Augenklappe- akzeptiert.
    Zwirbel, zwirbel, schaukel, schaukel, schaukel, Ei jeijei, ei, Ei jeijei, ei, Ei jeijei, ..... zur Entspannung.
    Dann ein Griff nach hinten in die Hosentasche. Die neue Sonnenbrille von gestern sieht heute aus wie... naja, wie eine kaputte Sonnenbrille. Die Gl?ser sind irgendwo in ihren Taschen verschwunden, die B?gel mit Pflastern angeklebt.
    Tastend stellt sie fest: "Sonnebrille kaputt"! Gleichzeitig reisst sie die alten Pflaster runter, klebt sie wieder drauf, schaukel, schaukel, schaukel, schaukel, zwirbel, zwirbel, wisch, sie setzt sich die kaputte Sonnenbrille auf die Nase und dreht den Kopf wieder in meine Richtung. "I hob Di lieb. W?st a Bussi?" Und schon wischt sie sich den Sabbermund am dreckigen T- Shirt ab und dr?ckt mir einen leichten Kuss auf die Wange. Gro?e Ehre.
    Schaukel, schaukel, schaukel, Ei jeijei, ei, Ei jeijei, ei, Ei jeijei, ei, Ei jeijei, zwirbel, zwirbel, zwirbel, ein Griff zum Hut, Zuckerbeutel sind noch da, da f?llt ihr ein: "Gini an Kakao hab`n?"
    Ich hole ihr Kakao. Tastend greift sie nach dem Becher, stellt fest, da? es keine harte Tasse sondern eine weicher Becher ist, nimmt ihn vorsichtig und leert mit der anderen Hand halb Zucker rein, dann trinkt sie ihn mit einem einzigen gro?en Schluck aus, wischt sich mit der Hand ?ber den Mund. Schaukel, schaukel. Kakao ist ja noch harmlos. Witzig wird`s f?r den Zuseher erst, wenn Cornflakes, Joghurt, Kakao und andere Zutaten vermischt werden in einer zu kleinen Sch?ssel, in der sie dann heftig umr?hrt, soda? rundherum am Tisch alles klebt und schwimmt, w?hrend sich unter dem Tisch die klebrigen Pflasterreste und Papierfetzen h?ufen.
    Griff nach den Pflastern- sie werden weniger. "Gemma Gini Pflaster kaufen?" fragt sie mich.
    "Du hast noch genug, wir kaufen sp?ter welche" sage ich.
    Schaukel, schaukel- sie denkt nach dar?ber und nickt mit dem Kopf. Zwirbel, zwirbel- sie greift nach ihrer Sonnenbrille und klebt den zweiten kaputten B?gel mit Pflastern exakt genauso gerade an, wie den B?gel der anderen Seite.
    Tastend, schaukelnd, zwirbelnd, klebend baut sie ihre Sonnenbrille zusammen.
    "Du bist a Arschloch" sagt sie zu mir.
    Ich l?chle.
    "Bist a brave Gini" sage ich zu ihr und streichle sie am Nacken und auf dem Kopf.
    Schaukelnd legt sie ihre Hand auf meinen Kopf und sagt:" Sonja auch duschen?"Gini duschen! Mit Haarshampoo!"
    Aus Erfahrung wei? ich, da? es sich dabei nicht nur um einige handvoll Haarshampoo handelt, sondern um eine ganze Flasche davon.
    Dann zwirbelt sie ihre Pflaster weiter, w?hrend ich ihren Kopf und Nacken streichle, und ihr sage, wie gut sie duftet und wie weich ihre Haare sind vom Haarshampoo und wie h?bsch sie aussieht- so frisch geduscht. Eine dreiviertel Stunde geduscht.
    Zu zweit.
    Mit Schimpfausbr?chen.
    Ihr Betreuer war fix und fertig danach.
    Schaukel, schaukel, schaukel, schaukel, dann steht sie auf, bleibt bucklig stehen, schaukel, schaukel, schaukel ( das geht auch im Stehen), zwirbel, zwirbel, zwirbel, jemand kommt vorbei und sagt "Hallo Gini!"- sie beachtet ihn kaum und antwortet: "I sog das, Du kriagst so a Watschn!"
    Schaukel, schaukel, schaukel, schaukel, schaukel, schaukel, zwirbel, zwirbel, Griff nach dem Zucker im Hut- noch da, alles in Ordnung. Sie setzt sich wieder.
    Ihr Betreuer kommt um ihr Pflaster vom Auge zu l?sen- wegen den Augentropfen die sie nehmen mu?. Das Pflaster klebt ein bisschen an den Augenbrauen.
    Gini schreit laut:"Du Arschloch! Drecksau!"
    Ich lache. Alle lachen. Sie ist fuchsteufelswild.
    Dann l?sst sie brav alles ?ber sich ergehen, hilft auch noch mit, das Augenlid runterzuziehen, damit er die Tropfen reingeben kann. Schaukel, schaukel, schaukel, zwirbel, zwirbel, abwischen an der Hose, zwirbel, zwirbel, zwirbel, ei jeijei, Ei, ei jeijei, Ei, ei jeijei, ...
    Gini ist gl?cklich. Ihr Betreuer hat ihr neue Pflaster gekauft und eine edle Spenderin hat ihr eine neue Sonnenbrille geschenkt. F?r die liebe Gini.
    Einen Tag sp?ter geht`s auf zum baden an den Strand. Mit Badeanzug und Fischerhut- am Arm ihres Betreuers wird sie gef?hrt.
    Kaum erreichen wir den Strand pinkelt sie auf die Liegewiese ohne mit der Wimper zu zucken. Normalerweise tut sie das nicht, es kommt von der Aufregung, der Umstellung, dem unregelm?ssigen Tagesablauf.
    Na, was soll`s. Wir haben "Narrenfreiheit".
    Sp?ter unter einem schattigen Baum: Schaukel, schaukel, schaukel, zwirbel, tastend greift sie die neue Sonnenbrille an. Knacks, schon fehlt der erste B?gel.
    "Gini Sonnebrille kaputt!"- sie h?lt mir die angeknackste Brille unter die Nase.
    "Naja, sage ich, die kannst ja wieder kleben, oder?"
    L?chelnd nickt sie, greift in die Hosentasche und zieht ein neues Pflaster hervor.
    Schaukel, schaukel, schaukel, schaukel, schaukel, zwirbel, zwirbel, zwirbel, sie wickelt das Pflaster um die gebrochene Stelle. Zwirbel, zwirbel, schaukel, schaukel, ei jeijei, Ei, ei jeijei, Ei, ei jeijei, Ei, ei jeijei, die neue Sonnenbrille ist wunderbar geklebt und sitzt ganz toll auf ihrer Nase.
    W?hrend ich mich umdrehe und gehe h?re ich noch wie sie sagt: "Du bist so deppat, w?st a Watschn?"



    majun
    schamanismus:
    raabenweib.de.tl
    kunst und lyrik:
    krah-krah.de.tl
  • Die Rollstuhlreise

    Ich gehe auf sie zu,
    sehe den Speichel aus ihrem Mundwinkel das Kinn runter laufen… Ich soll
    sie zwei Stunden mit dem Zug nach Klagenfurt begleiten als Betreuerin.
    Noch nie zuvor in meinem Leben habe ich mit Rollstuhl-Fahrern zu tun
    gehabt. Ich bin etwas verlegen und weiß nicht wie ich sie begrüßen
    soll. Ihr die Hand geben? Kurz betrachte ich ihre verkrüppelte Hand,
    die sie in einer seltsamen Stellung verdreht Richtung Bauch hält. Ist
    sie erwachsen? Sag ich „Hallo“ und bin automatisch per DU mit ihr?


    Ich gehe entschlossener auf sie zu, greife nach ihrer Hand und schüttle sie ein wenig und sage: „Hallo, ich bin die Sonja!“


    Sie verzieht das Gesicht zu einer Grimasse und sagt: „Challa“


    Später werde ich wissen, dass die Grimasse ein Lächeln ist und dass das Wort „Challa“ soviel wie „Hallo“ bedeuten würde. ...





    Ich warte auf den Bahn-Bediensteten, der mir mit einer Rampe helfen soll, den Rollstuhl ins Abteil zu kriegen.

    Ich schweige, weil ich nicht weiß was ich sagen soll. Weil ich
    nicht weiß, ob sie mich versteht. Weil ich nicht weiß, worüber man mit
    einer Rollstuhl-Fahrerin sprechen könnte. Weil der Rollstuhl und die
    Behinderung so vordergründig ist, dass es unmöglich scheint, die Themen
    auf etwas anderes zu lenken.


    Ich bin nervös.


    Sie beobachtet mich.


    Verdreht die Augen, ihr Kopf wackelt hin und her.


    Dann kommt endlich der Bahn-Bedienstete. Er schiebt den Rollstuhl auf ein rotes Metallgerüst und schiebt das Gerüst zum Zug.


    Eine Hebebühne hebt uns alle in den Zug.


    Ich nehme den erstbesten Platz der groß genug ist, schiebe den Rollstuhl mir gegenüber und setze mich.





    Sie beobachtet mich. Sie sagt etwas und fuchtelt ganz aufgeregt mit den Händen herum. Ich verstehe sie nicht.


    Ich sage etwas hilflos: „Ich verstehe Dich nicht“


    Noch einmal versucht sie es, diesmal etwas langsamer und lauter: „Ach ban da Chandra!“


    Nachdem ich die Worte noch mal durch meinen Kopf gehen lasse, verstehe ich: „Ich bin die Sandra!“


    Sie freut sich und nickt, soweit ihr das möglich ist.


    Sie sagt: „Kann ach tranchan“?


    Ich denke nach und sage stirnrunzelnd: „Wir brauchen ein Wörterbuch. Sandra-Deutsch, Deutsch-Sandra“


    Sie beginnt zu lachen und hüpft im Rollstuhl herum.


    Ich lache mit ihr.


    Etwas später verstehe ich, dass sie trinken will.

    Ich nehme aus der Tasche, die auf dem Rollstuhl hängt, ein
    Babyfläschchen mit Saft heraus und sie beugt den Kopf zurück, ich halte
    die Flasche und sie trinkt, sabbert, ich wische mit einer Stoffwindel
    den Saft von ihrem Kinn und ihrem Hals.





    Leute betreten den Waggon und setzen sich gegenüber.


    Sie starren uns an.


    Sollen sie doch.


    Sandra fragt mich, woher ich komme.


    Langsam verstehe ich, was sie sagt. Es ist reine Gewöhnungssache.


    Sie erzählt mir, dass sie für eine Zeitung schreibt.


    Ich bin verblüfft.


    Sie erklärt mir, dass sie dafür eine Schablone benutzt, die über die Tastatur des Computers gelegt wird.


    Eine „Chablane“…


    Ihr T-Shirt ist dreckig.

    Ich weiß, dass ich in dieser Woche zuständig bin dafür, sie zu
    baden, zu wickeln, ihr die Zähne zu putzen, mit ihr spazieren zu gehen,
    und ich überlege, wie das alles funktionieren soll.


    Sie wiegt bestimmt um die 50 Kilos.


    Ich denke nicht mehr darüber nach.


    „Ach haba Hanger!“


    Ich krame in ihrem Rucksack nach dem Weißbrot. Reiße es in kleine Stücke und füttere sie damit.


    Die Leute gegenüber starren uns noch immer an.


    Ich wische ihr die Mundwinkel mit der Stoffwindel ab.


    „Kannscht da mach amdrahan?“

    Ich drehe sie um, sodass sie zum Fenster sehen kann, und sie schaut
    der vorbeiziehenden Landschaft zu. Sie erzählt mir, dass sie bei der
    Geburt zu lange im Geburtskanal stecken blieb und zu lange keinen
    Sauerstoff erwischte.


    Ich habe sie nicht danach gefragt, aber ich bin heilfroh, dass sie es von sich erzählt.


    Sie ist querschnittgelähmt. Aber am Kopf hat sie nichts sagt sie grinsend.


    Sie weiß alles. Sie sieht alles und sie hört alles.


    Sie tut sich nur schwer mit dem Sprechen.


    Für die paar Sätze im Zug brauchten wir fast drei Stunden.


    Mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Man wird langsamer.





    Als wir in Klagenfurt angekommen waren und wieder per Hebebühne an Land gingen, waren wir Freundinnen geworden.


    Ich mochte ihren Humor.

    Nachdem wir in der Jugendherberge angekommen waren, half mir ein
    Betreuer, Sandra aus dem Rollstuhl zu heben und in ein Bett zu legen.


    Sie war schwer. Ich nahm sie an den Kniekehlen, der Betreuer unter den Armen. Wir hievten sie ins Bett.


    Er begann sie auszuziehen, um ihre Windeln zu wechseln.


    Als er die Windel öffnete ging ich raus.


    Ich konnte es nicht.








    Ich hörte sie kreischen.


    Sie schrie vor Wut.


    Es war ein tierisches Schreien.


    Höllisch.


    Ich kannte dieses Quieken, wenn bei unserem Nachbarn zu Hause die Schweine abgestochen wurden.


    Genauso hörte es sich an.


    Gänsehaut.

    Sie schrie, und schrie, und schrie… dass sie nicht abhängig sein
    will von uns, dass sie selbstständig sein möchte, dass sie ihren
    Rollstuhl hasst, dass sie ihr Leben hasst.


    Ihre Stimme überschlug sich.


    „Ach hassa manan Rallstahl!“





    Mir war klar, dass sie ganz genau wusste was sie sagte.


    Sie war eine intelligente junge Frau.


    Keine 25 Jahre alt.


    Und gefesselt.


    Ihr Leben lang abhängig vom Wohlwollen anderer.





    Ich stand draußen und schluchzte und hielt mir die Hand vor den Mund.


    *****e….


    Ich heulte…


    Holte tief Luft und ging wieder rein.


    Ich streichelte sie bis sie ruhiger wurde.


    Der Betreuer zog sie wieder an.


    Ich entschuldigte mich dafür, dass ich raus gegangen war.


    Ich sagte: „Ich muss das erst lernen!“


    Und sie nickte.


    Sie wusste es.


    Es war nicht einfach.


    Für keinen von uns.


    Aber wie klein waren meine Probleme gegen die von ihr.




    Danach machten wir ein Rennen zum Speisesaal. Wir schnitten Kurven,
    sie schrie vor Aufregung und fuchtelte ganz wild mit den Händen und
    riss den Mund weit auf.


    Im Speisesaal wussten wir beide, dass es immer einfacher werden würde.

    Ich holte ihr zu essen und zu trinken, fütterte sie, gab ihr das
    Fläschchen, und danach wurde sie wieder zurück ins Zimmer geschoben.


    Ich schob sie ins Bad und ich putzte ihr die Zähne.


    Verteilte auch etwas Zahnpaste auf ihrer Nase.


    Vor lauter Lachen verschluckte sie sich fast an der Zahnpaste.





    Während dieser Urlaubswoche gingen wir sogar in die Disko.


    Man gewöhnt sich an die Blicke der Menschen.


    Zu viert trugen wir sie samt Rollstuhl eine Wendeltreppe nach unten auf die Tanzfläche.


    Wir tanzten, indem ich ihren Rollstuhl herumdrehte.


    Sie klatschte in die Hände und ihr Mund stand weit offen, sie strahlte….


    Die Leute rundherum gafften zu uns herüber.


    Ich frage sie: „Gewöhnt man sich eigentlich auch an die blöden Gesichter der Menschen rundherum?“


    Sie gackerte wie ein Huhn und rief: „Da chauan ammer so blad!“ (Die schauen immer so blöd)


    Lachend tanzten wir noch eine Runde.

    Um danach ins Taxi zu gelangen, wurde der zusammenklappbare
    Rollstuhl in den Kofferraum gelegt. Der Taxifahrer musste mir helfen,
    Sandra ins Auto zu heben. Zu Hause sind wir völlig erschöpft ins Bett
    gefallen und eingeschlafen.








    Am nächsten Tag stand Duschen am Programm.


    Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, wie das funktionieren sollte.


    Ein Betreuer kam ins Zimmer, half mir, Sandra auszuziehen.


    Dann setzten wir sie nackt in ihren Rollstuhl.


    Der Betreuer fragte mich, ob ich einen Badeanzug dabei hätte.


    Ich nickte und schaute ihn etwas fragend an und er meinte: „Man wird nass“

    Eine Weile später standen wir in Badesachen in der Dusche. Der
    Betreuer hielt Sandra unter den Armen und stützte sie von hinten,
    während ich vor ihr stand, und sie einseifte und wusch.

    Sandra lachte und kicherte, der Betreuer versuchte verzweifelt auf
    den Beinen zu bleiben und hatte damit zu kämpfen, dass sie ihm nicht
    aus den Armen rutschte.


    Immerhin war sie nass und glitschig wie ein Fisch.


    Wir lachten Tränen. Sandra meinte, sie hätte noch nie so verrückte Betreuer gehabt.


    "Ihr schaid die baschtan Betrauer die ich jamalsch hatta!"


    Ich freue mich und grinse vor mich hin.

    Danach ziehen wir sie wieder an, und ich mache Witze darüber, dass
    ich ihr eine gelbe und eine grüne Socke anziehen könnte, und sie könne
    gar nichts dagegen tun.


    Sie gackert vor lauter Lachen.





    Am Ende der Woche verrate ich ihr ein kleines Geheimnis von mir, und nun hat sie etwas womit sie mich erpressen kann.

    Immer wenn ich nicht genau das tu was sie sagt, klatscht sie vor
    Freude in die Hände und schreit: „Ach weiß atwas! Ach weiß atwas!“


    Ich spiele dann die Entrüstete und drohe ihr damit, ihr den Mund mit Weißbrot zu stopfen, sodass sie nichts mehr sagen kann.


    Sie windet sich vor lauter Lachen im Rollstuhl.

    Wir stellen eine neue Rekordzeit zum Speisesaal auf und ernten
    schiefe Blicke, wenn wir wieder mal mit quietschenden Reifen um die
    Kurve schlittern, laut kreischend und lachend.


    Wenn ich sie aufziehen will, sage ich: „Sandra, raus aus dem Ding und zehn Liegestütze!“


    Dann kreischt und lacht sie und klatscht und gackert vor sich hin.








    Dann ist die Woche vorbei.


    Wieder sitzen wir im Zug.


    Jetzt brauchen wir kein Wörterbuch mehr.


    Ich verstehe alles.


    Die Blicke der Leute sehe ich nicht mehr.


    Es ist mir egal ob sie gaffen oder nicht.


    Sie verstehen ja doch nichts.


    Wir tauschen Adressen aus.


    Sie wird mich nie einfach so besuchen kommen.


    In ein Auto steigen und herkommen.


    Anrufen ohne fremde Hilfe.





    Ein ganzes Leben lang abhängig.
    schamanismus:
    raabenweib.de.tl
    kunst und lyrik:
    krah-krah.de.tl