Geheimdienste werden zur Gestapo

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  • Geheimdienste werden zur Gestapo

    Heribert Prantl

    Die Angst besetzt das Denken

    Wie die Terrorbek?mpfung das Recht verschiebt


    Der Guerillero besetzt das Land, der Terrorist das Denken. Er richtet
    nicht nur dort furchtbare Sch?den an, wo seine Bomben explodieren. Er
    richtet auch Sch?den an, wenn seine Bomben nicht funktionieren - wie
    zuletzt bei dem versuchten Anschlag auf Z?ge in Deutschland. Der
    Terrorist macht Angst. Angst ist eine Autobahn f?r Sicherheitsgesetzte.
    Der Terrorist besetzt das Denken in den staatlichen Apparaten, in denen
    Gesetze gemacht werden. Und er besetzt das Denken der Menschen, die
    diesen Gesetzen unterworfen sind - mit der Folge, dass jede Ma?nahme,
    die mehr Sicherheit verspricht, allgemeine Billigung findet.

    Seit dem 11. September 2001 wird viel vom Aufbau einer "neuen
    Sicherheitsarchitektur" geredet, seit dem j?ngst aufgedeckten geplanten
    Anschlag noch intensiver als bisher. Neue Sicherheitsarchitektur? Das
    klingt kompliziert, ist es aber nicht. Das neue System der inneren
    Sicherheit ist schon installiert: Es sieht aus wie eine Sanduhr. Das
    obere Gef?? enth?lt die B?rger- und Freiheitsrechte, das untere die
    Sicherheitsgesetze, Telefon?berwachung, Lauschangriff, Datenspeicherung,
    geheimdienstliche Ermittlungsmethoden der Polizei und Polizeibefugnisse
    f?r den Geheimdienst. Das obere Gef?? mit den B?rgerrechten wird immer
    leerer, das untere immer voller.

    Nach f?nf Jahren, so sah es die Sondergesetzgebung nach dem 11.
    September 2001 vor, sollte das System, also die Sanduhr, wieder
    umgedreht werden - auf dass die B?rger- und Freiheitsrechte nicht ganz
    auslaufen. Nun hat das Bundeskabinett beschlossen, dies nicht zu tun.
    Die Sicherheitsgesetze werden verl?ngert, und das Loch in der Sanduhr
    wird vergr??ert: Die Geheimdienste erhalten noch mehr Kompetenzen, und
    zwar nicht irgendwelche, sondern Kompetenzen im Bereich der
    Kriminalit?tsbek?mpfung. Das hei?t: Der Geheimdienst ?bernimmt immer
    mehr Polizei- und Staatsanwaltsaufgaben, ohne aber den gerichtlichen
    Kontrollen zu unterliegen, wie sie f?r Polizei und Staatsanwaltschaft
    vorgesehen sind. Aus dem Geheimdienst wird mehr und mehr eine Art
    Geheimpolizei.

    Den Geheimdiensten sind Sonderrechte eigentlich nur zum Schutz der
    freiheitlichen Grundordnung einger?umt. Die neuen Gesetze aber verleihen
    ihnen diese Sonderrechte auch zur allgemeinen Kriminalit?tsbek?mpfung
    und losgel?st von den Kontrollen, die sonst bei der Verh?tung und
    Verfolgung von Straftaten gelten. Auf diese Weise setzt sich die
    Staatsgewalt eine Tarnkappe auf. Es ist aber problematisch, wenn die
    Regeln, die das Polizeirecht und die Strafprozessordnung formulieren,
    dadurch umgangen werden, dass man die Bek?mpfung von Straftaten einem
    Organ ?bertr?gt, f?r das diese Gesetze gar nicht gelten. Wenn ein
    Geheimdienst wie eine Polizei arbeitet, muss er auch wie die Polizei
    angeleitet und kontrolliert werden - von Staatsanwaltschaft und Justiz.
    In Deutschland haben vor 33 Jahren hunderttausende von Menschen gegen
    die Notstandsgesetze demonstriert. Die Sicherheitspakete der Jahre
    2001ff verdienen diesen Namen wirklich. Was einst im Kampf gegen die RAF
    begonnen wurde, wird mit diesen Sicherheitsgesetzen offensiv
    fortgesetzt.

    Der Bielefelder Rechtsprofessor Christoph Gusy hat bei der
    Sachverst?ndigenanh?rung im Innenausschuss des Bundestages im Herbst
    2001 beschrieben, wie die Sicherheitsgesetze das deutsche Recht
    ver?ndern: "Es geht nicht prim?r um die Verfolgung begangener
    Straftaten. Es geht auch nicht um die Verhinderung einzelner krimineller
    Handlungen. Vielmehr geht es um die Etablierung eines Fr?hwarnsystems
    bei der Erkennung auch weiter entfernter Risiken." Dabei werden freilich
    Mittel und Methoden angewandt, wie sie bisher nur gegen Verd?chtige
    erlaubt waren. "Es entsteht", so konstatiert Gusy, "die Notwendigkeit
    eines hohen Ma?es an ?berwachung f?r ein relativ geringes Ma? an
    Ertragschancen."

    Es gibt rechtsstaatliche Fundamentalgewissheiten: Die ?ffentlichkeit des
    Strafverfahrens. Die Trennung von Polizei und Geheimdienst. Die
    alsbaldige Kontrolle von Verhaftungen und sonstigen
    Grundrechtseingriffen durch unabh?ngige Richter. Das Recht auf
    Akteneinsicht. Das Recht auf freie Wahl eines Verteidigers. Die
    ?ffentliche Beweisf?hrung. Der Grundsatz im Zweifel f?r den Angeklagten.
    Die Gleichheit vor dem Gesetz. Das Verbot bestimmter
    Vernehmungsmethoden. Der Grundsatz des fairen Verfahrens. Weltweit ist
    nach dem 11. September 2001 damit begonnen worden, solche Grunds?tze
    unter Vorbehalt zu stellen.

    Am weitesten geht dabei bisher die Bush-Regierung. Die Fahndungs-,
    Justiz- und Einwanderungsbeh?rden, so hat es in den USA im Herbst 2001
    der damalige US- Justizminister John Ashcroft angek?ndigt, werden
    "mobilisiert und unter Kriegsbedingungen reorganisiert". Die Trennung
    von polizeilichen und geheimdienstlichen Ermittlungen wurde praktisch
    aufgehoben, das Abh?ren von Telefonen kinderleicht gemacht. 1.200 Araber
    wurden in Gef?ngnissen festgesetzt, ohne dass sich jemand dazu erkl?rte,
    was ihnen vorgeworfen wird. 5.000 arabische Muslime wurden verh?rt,
    gegen die nichts als die Erkenntnis vorlag, dass es sich um arabische
    Muslime handelte. Die Grunds?tze des aufgekl?rten Strafverfahrens
    standen und stehen unter Kriegsvorbehalt. Das hei?t: Verd?chtige
    Ausl?nder bleiben ohne Anklage inhaftiert, falls der Justizminister
    "eine Gefahr f?r die Sicherheit der Nation" ausmacht.

    Terror t?tet. Die deutsche RAF hat 34 Menschen ermordet, die nordirische
    IRA 1.500 seit 1970; 3.500 Menschen kamen bei den Flugzeug-Attentaten
    der islamistischen Terroristen in New York und Washington ums Leben. So
    unterschiedlich die Terrorgruppen waren und sind: Sie alle verbreiten
    Angst. Angst ist die Triebfeder des Krieges, auch f?r den im Inneren.
    Angst produziert Gesetze wie das Luftsicherheitsgesetz, das den Abschuss
    eines entf?hrten Flugzeugs erlauben wollte und insoweit im Februar 2006
    vom Bundesverfassungsgericht als Versto? gegen die Menschenw?rde der
    Passagiere f?r verfassungswidrig erkl?rt wurde. Bundesinnenminister
    Wolfgang Sch?uble und der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelsp?tz
    ?berlegen seitdem, ob man nicht das Eindringen eines im Ausland
    entf?hrten Flugzeugs auf deutsches Hoheitsgebiet als feindlichen Angriff
    werten und es mitsamt seinen Passagieren nach Kriegsrecht abschie?en
    k?nne.

    Die Frage ist kennzeichnend f?r den heutigen sicherheitsrechtlichen
    Diskurs: Er trachtet nach rechtlichen Sanktionen, die zugleich
    Strafverfolgung, polizeiliche Pr?vention und Krieg sind.
    Au?ergew?hnliche Gef?hrdungslagen beschleunigen die Bestrebungen, die
    Grenzen zwischen Strafverfolgung, Polizei, Geheimdienst und Milit?r
    einzuebnen. Zun?chst in den F?llen besonderer Gefahr werden das
    Strafrecht und das Polizeirecht zusammengef?hrt zu einem einheitlichen
    Recht der inneren Sicherheit. Dieses allgemeine Gefahrenrecht fragt
    nicht mehr wie das Tatstrafrecht nach einer konkreten Tat, es l?sst eine
    Gefahrenlage gen?gen; es bemisst nicht mehr, wie das Schuldprinzip, die
    Strafe nach personalen Ma?st?ben, sondern es l?sst die vermutete
    Gef?hrlichkeit eines Menschen ausreichen; es verlangt nicht mehr einen
    konkreten Tatverdacht als Eingriffsschwelle, sondern l?sst die blo?e
    Ahnung eines Verdachts gen?gen, dass der Betroffene sich verd?chtig
    machen k?nnte. Die rechtsstaatlichen Regularien gelten dem neuen
    Gefahrenrecht als hinderliche F?rmlichkeiten, man stattet daher das neue
    Gefahrenrecht mit au?ergew?hnlichen Befugnissen aus und macht es zu
    einem umfassenden Vorbeugungsrecht. Bei dieser Gefahrenvorbeugung ist
    bedeutend mehr erlaubt, als bei der Strafverfolgung je erlaubt war. Bei
    der Bek?mpfung von Terror ist eine Rechts-Verschiebung festzustellen:
    Das Strafrecht, bisher f?r terroristische Gewalttaten zust?ndig, wird
    auf andere Gebiete geschickt, auf denen es eigentlich nichts zu suchen
    hat - dorthin, wo es noch gar keine Straftaten gibt, die man bestrafen
    k?nnte, sondern allenfalls Gesinnungen. Das Strafrecht deckt also das
    Terrain ab, f?r das fr?her das Polizeirecht zust?ndig war; daf?r greift
    das Polizeirecht auf die Bereiche zu, in denen der Mensch fr?her
    komplett in Frieden gelassen wurde.

    F?r den neuen Pr?ventionsstaat kommt es nicht mehr darauf an, die
    Schuldigen zu finden, sondern darauf, Schuld auf Mutma?ungen zu st?tzen,
    die in ihrer Vagheit unwiderlegbar sind. Grunds?tzlich jeder muss es
    sich gefallen lassen, dass er, ohne irgendeinen konkreten Anlass daf?r
    gegeben zu haben, "zur Sicherheit" kontrolliert wird. Er muss beweisen,
    dass er nicht gef?hrlich ist. Lange war es umgekehrt: Wer keinen Anlass
    f?r staatliches Eingreifen gab, wurde in Ruhe gelassen.

    Im Text der Sicherheitsgesetze, die in Deutschland nach dem 11.
    September 2001 erlassen wurden, findet sich bezeichnenderweise 37mal das
    Wort "Sicherheit"; das Wort "Freiheit" wird dagegen kein einziges Mal
    erw?hnt. Der Terrorismus hat keine Rechtfertigung, aber Ursachen - so
    hat es Jutta Limbach, die damalige Pr?sidentin des
    Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2002 auf dem Deutschen Anwaltstag in
    M?nchen gesagt. Nicht nur und nicht prim?r Armut und Ausbeutung machen
    Terroristen, sondern vor allem Entw?rdigung und Dem?tigung. Wer auf
    Terrorismus so reagiert, dass neue Entw?rdigung und Dem?tigung
    entstehen, der f?rdert den Terrorismus. Guantanamo und Abu Ghraib - das
    sind Stationen der Entw?rdigung. Sicherheit entsteht nicht aus Krieg und
    Folter, sondern aus Recht und Freiheit. Stark ist nicht der Staat, der
    sich vergisst, der zuschl?gt, bei dem der Zweck die Mittel heiligt.
    Stark ist der Staat der inneren Gewissheit - der Gewissheit dar?ber,
    dass die Menschen- und B?rgerrechte noch immer die besten Garanten der
    inneren Sicherheit sind.

    Der Autor ist Leiter der innenpolitischen Redaktion der "S?ddeutschen
    Zeitung".

    Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit
    der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
    ? Deutscher Bundestag und Bundeszentrale f?r politische Bildung, 2006.

    http://www.bundestag.de/cgibin/druck.pl?N=parlament