Wie es wirklich ist

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    Wie es wirklich ist

    "Darf ich Sie kurz ansprechen? Denn in Wahrheit ist alles ganz anders! Sie kennen sicher diesen Kinofilm, in dem die Maschinen die Macht ?bernommen haben. SF-Fan, sehe ich doch! Diese v?llig abstruse Story dar?ber, dass die Maschinen ihre Energie aus Sonnenlicht erzeugt haben, und dass im Kampf Mensch gegen Maschine die Menschheit auf die verzweifelte Idee gekommen ist, kein Licht, keine Energie, keine Bedrohung mehr durch die Maschinen. Der Himmel verfinstert sich, Apokalypse und das ganze drumherum, und - denkste. Was machen die Maschinen: greifen sich die Menschen, besiegen sie und nutzen sie als Energiequelle, als Batterie. Na prima. Mir ist vollkommen unklar, wie jemand auf eine solch bl?dsinnige Idee kommen kann: Menschen als Energiequelle zu nutzen, sie immerzu zu f?ttern, zu pflegen und ihnen zugleich mit viel Aufwand eine heile Welt vorzugaukeln. Mag ja philosophisch, so von der Idee her, ganz nett sein, und die Action in dem Kinofilm hat was, sicher - aber in WNette ahrheit ist alles ganz anders."

    "Wie, das sei nur ein Film, und ich solle mich nicht so anstellen? Es sei ganz normal, dass in Filmen mit der Wirklichkeit verschwenderisch umgegangen werde, und dass da nicht immer alles ganz logisch sei? Aber h?ren Sie mal! Glauben sie etwa, ich w?sste nicht, dass diese Filme mit einem immensen Aufwand an Geld und Marketing produziert werden? Da steckt doch ein System dahinter! Solange wir nur gen?gend von den wirklichen Zust?nden abgelenkt werden, und sch?n brav mitspielen, werden da selbst so abstruse Ideen hochgeschaukelt wie in dieser Trilogie. Samt Helden und Erl?sungsfigur. Und Anleihen bei Superman. Aber ich schweife ab. Jetzt unterbrechen Sie mich nicht! Wollen Sie denn nicht wissen, wie es wirklich ist? Lassen Sie mich einfach kurz diesen Gedanken zu Ende f?hren, dann werden Sie es auch begreifen. Ich verlange gar nicht, dass Sie mir Glauben schenken. Wenn Sie nur eine Spur Vernunft haben, m?ssen Sie meiner Argumentation einfach folgen, das gebietet schon alleine die Logik der Logik, sozusagen."

    "Passen Sie auf: Sie kennen doch sicher auch diesen Spruch, dass wir nur zehn Prozent unserer geistigen Kapazit?t nutzen, ja? Gut. Der kommt von den Scientologen oder so, aber das spielt jetzt keine Rolle. So durchgeknallt bin ich auch nicht, zu glauben, dass wir versto?ene Au?erirdische w?ren. Die spielen eine ganz andere Rolle. Aber Sie werden es gleich sehen. Denn das mit den zehn Prozent, das stimmt. Jedenfalls so ungef?hr. Ich habe Versuchsreihen angestellt, und bin dabei auf etwa zw?lf Prozent gekommen, die wir selbst nutzen. Vielleicht variiert das auch von Person zu Person. Es w?re f?r mich sehr wichtig, weitere Probanden zu gewinnen. Vielleicht m?chten auch Sie mir helfen?"

    "Sie runzeln die Stirn? Sie wissen es noch nicht, sind noch nicht ganz ?berzeugt? Bleiben Sie da, ich bin ja noch gar nicht fertig. Vielleicht sollte ich erst einmal mit meiner Ausf?hrung zu einem Ende kommen. Also: etwa zw?lf Prozent plusminus nutzen wir selbst. Da fragt sich doch jeder: und was ist mit dem Rest? Der Rest der Gehirnkapazit?t - liegt der einfach brach, tr?umt so vor sich hin, stellt sich was sch?nes vor, denkt an nichts, kommt vielleicht sogar der Erleuchtung nahe? Das h?tten Sie wohl gerne. Ist aber nicht so. Wenn Sie einen Beweis daf?r wollen, gerne: haben Sie schon einmal das Diagramm eines Hirnscanners gesehen? Ja? Da leuchtet sehr viel mehr auf als nur zw?lf Prozent. Also passiert auch mit dem Rest etwas. Nur was?"

    "Ich m?chte Ihnen jetzt ein Geheimnis verraten. Mich hat diese Frage auch lange besch?ftigt. Inzwischen bin ich zu einer Antwort gekommen, die alles erkl?ren kann. Nein, Sie m?ssen daf?r nichts zahlen, ich bin Altruist. H?ren Sie mir nur zu: die restlichen achtundachtzig Prozent unserer Gehirnkapazit?t: ihrer, meiner, die von uns allen, damit ist es fast wie in diesem Film, nur umgekehrt. Die nutzen n?mlich Au?erirdische. Als Rechenkapazit?t, quasi als gigantischen Supercomputer. Vernetzt, verstehen Sie? Computerexperten nennen so was einen Cluster, ein Grid. Genau das ist es. Und das erkl?rt wirklich alles. Nennen Sie mir irgendein ?unerkl?rtes Ph?nomen', und ich kann es Ihnen begreiflich machen. Mit meiner Theorie!"

    "Sie sagen Telepathie? Ganz einfach: irgendwie m?ssen die einzelnen Knotenpunkte im Rechnernetzwerk, also unsere Gehirne, ja vernetzt sein. Ich tippe mal auf Sub-Etha-Wellen, oder Taychonen. Vielleicht ist auch die Zeit nur eine Illusion, aber das tut jetzt nichts zu Sache. Also, die Knoten sind vernetzt, und kommunizieren miteinander. Normalerweise ist das gut abgeschirmt, schlie?lich sollen wir ja nichts davon mitkriegen, das wir nur Rechenkapazi-t?t f?r die darstellen, wie in diesem Film halt auch, nur ist es so herum ja viel intelligenter. Also, die meisten Leute merken nichts davon. Aber manchmal - etwa wenn eine oft genutzte Verbindung abbricht, also jemand eng Vertrautes in Gefahr ger?t, oder wenn die Abschirmung nicht funktioniert - dann leckt etwas durch. Dann kommen unsere zw?lf Prozent und deren achtundachzig Prozent in Verbindung, und nicht nur das, pl?tzlich steht der Zugang zum Netzwerk offen, wusch, Telepathie. Ganz einfach, finden Sie nicht?"

    "Aha, sie runzeln wieder die Stirn. Ich sehe es ihnen an: Sie zweifeln noch. Nehmen wir also ein anderes Ph?nomen. Die Wissenschaft, selbst amerikanische Wissenschaftler, r?tselt noch immer, was eigentlich "Tr?umen" sei. Wahrscheinlich ist es so, dass bestimmte Funktionalit?ten, auf neudeutsch k?nnte man auch sagen Features, im Gehirn nur einmal vorhanden sind. Bestimmte Logikchips, sozusagen. Aber auch die werden gebraucht, sind f?r die Nutzung der Gehirnkapazit?ten durch Au?erirdische extrem wichtig. Was also tun? Unsere au?erirdischen Freunde haben eine L?sung auch f?r dieses schwierige Problem gefunden: Schlaf! Wir verpassen zwei Drittel unseres Lebens, nur damit Au?erirdische bestimmte Logikchips nutzen k?nnen. Haben Sie mal jemanden bei einer REM-Phase gesehen. Wie da die Augen flackern? Ich sage Ihnen was: da handelt es sich um Kryptographie. Ganz klar. Codierung, Decodierung, all so was. Machen wir im Schlaf. Dabei gelangen nat?rlich Reste aus deren Gehirnteil in unser Gehirnteil. Und das nennen wir dann Tr?umen. Sie sehen, meine Theorie bietet f?r alles eine L?sung an."

    "Oder Ufos: Relaisstationen f?r das Netzwerk, normalerweise aus unserer Wahrnehmung ausgeblendet. Also auch ganz einfach. Oder Drogen, oder Religion. Was die meisten ?Bewusstseinserweiterung' nennen, das ist einfach der neurochemikalisch m?glich gemachte Zugriff auf die Sph?re X, so nenne ich das, also auf die anderen achtundachtzig Prozent, auf den Brain-Cluster. K?nnen wir in so einem Zustand nat?rlich nichts mit anfangen, m?ssen es irgendwie umdeuten: fertig ist die ?Bewusstseinserweiterung'."

    "Sch?n, dass Sie noch immer da sind. Es freut mich regelrecht, dass Sie mir immer noch interessiert zuh?ren. Die meisten Menschen laufen schnell davon, wenn ich sie anspreche. Fast scheint es mir, als w?rden wir ?ber eine Art Abwehrinstinkt, ein nat?rliches Tabu verf?gen. Vielleicht, damit wir daran gehindert werden, die Wahrheit zu erkennen. Schade eigentlich - so wird es noch eine Weile dauern, bis wir ?berhaupt etwas von der au?erirdischen Invasion in unseren K?pfen merken. Wahrscheinlich arbeiten wir schon seit Tausenden von Jahren in deren Diensten, als ein einziges gro?es Rechenzentrum. Stellen Sie sich mal vor, was wir alles machen k?nnten, wenn wir die Trennung ?berwinden k?nnten. Nicht nur, dass unsere Gehirnkapazit?t sich um den Faktor f?nf verdoppeln w?rde! Nein, wir h?tten dann auch sofort Zugriff auf das Telepathie-Funknetz, alles. Sicher ein Quantenmechanismus, diese Trennfunktion. Hoffentlich werde ich den Tag noch miterleben! Aber ich werde sentimental. Sagen Sie doch auch einmal etwas."

    "Wie, ich habe Recht? Nichts weiter, keine Einw?nde? ?h ... das bringt mich jetzt ganz aus dem Konzept. Ehrlich gesagt. Normalerweise widersprechen mir immer alle. Dabei ist es doch ganz logisch, auch wenn einzelne Details vielleicht noch etwas unausgereift sein m?gen. Sie arbeiten auch daran? Und ich soll, ich darf in ihr Labor mitkommen? Ich f?hle mich geehrt, mache ich gerne. Jetzt gleich, an der n?chsten Station? Eigentlich hatte ich heute noch etwas anderes vor, aber wenn es sich grade so ergibt, meinetwegen. Ist ja doch eine spannede Sache, so an der vordersten Front der Wissenschaft. Vielleicht k?nnte man gemeinsam einen Artikel einreichen, etwa bei Nature. Die sind da sicher dran interessiert, was meinen Sie?"

    "Aha, das ist also ihr Gehirnscanner? Imposantes Ger?t. Dann setze ich mich jetzt also hier hin, und sie zeigen mir live den Mechanismus. Das es so etwas gibt - sagenhaft! Ich bin gespannt!"



    Als ich in der Berliner U-Bahn aufwachte, erinnerte ich mich noch daran, dass ich mich angeregt unterhalten hatte. Endlich mal jemand, der nicht gleich davongelaufen war, dem ich meine Idee schildern konnte. Meine Idee, genau. Worum ging es noch mal? Ich kann mich kaum daran erinnern, wor?ber wir so angeregt gesprochen haben. Irgendetwas mit der Matrix, mit Telepathie? Kommt mir alles sehr verworren vor. Das war wohl nicht wirklich wichtig.
    ? Till Westermayer, 23.03.2005.

    Nette kleine Geschichte aus dem Netz !Sowelu